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Foto: © Dieter Wuschanski / Die Theater Chemnitz gGmbH
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Zemlinskys „Der Zwerg“ an der Oper Chemnitz: Kitsch contra Kälte

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Das Chemnitzer Premierenpublikum liebt sein Opernhaus. Und so gab es bei der Zemlinsky-Premiere für knappe 80 Minuten ebenso viel herzlichen Applaus wie für eine abendfüllende Produktion. Andernorts wurde der kurzweilige Einakter kombiniert mit „Eine florentinische Tragödie“, „Herzog Blaubarts Burg“ oder – zuletzt in Mainz – mit „Gianni Schicchi“. Es war eine künstlerische Entscheidung der Leitung, das Publikum mit diesem Fin-de-siècle-Spätling ohne Anhängsel zu beschenken.

Ja, zu beschenken: Riesige Packungen verheißen in Pink und Übergröße ungebrochenes Konsumglück zum 18. Geburtstag der Infantin, die im Quellentext von Oscar Wilde erst 12 Jahre alt wird. Sie, ihre adretten Hofdamen und Zofen streifen von Kiste zu Kiste, erfreuen sich an Luxus und Tand - und sie schießen sich mit Champagner in einen sanften Taumel. Als lebende Girlanden atmen sie ganz Wohlklang (Choreinstudierung: Stefan Bilz, Nikolaus Müller), Grazie (Choreographie: Sabrina Sadowska) und Kolorit. Frank Beermann, der sich in Chemnitz für Pionierprojekte wie Meyerbeers vollständigen „Vasco da Gama“ engagierte, staffelt am Pult Zemlinskys formale Schichtungen von filigranen Hispanismen, Konversationston, Ariosi und Ausbrüchen äußerst einprägsam. Mit professionellem Selbstverständnis stellte die Robert-Schumann-Philharmonie die farbige Partitur und ihren zukunftsorientiertem Deklamationsgestus aus. Und mit vollgriffiger Klangverliebtheit. Im Vergleich zu anderen musikdramatischen Evokationen über exklusive Vamps und bizarre Kerle bewegt sich Zemlinskys 1922 in Köln uraufgeführte Oper nicht im lautesten Pegel – die Solisten mussten kaum zu hoch rauschende Orchesterwogen fürchten.

Wohl aber die überall im Spielraum lauernden Reizungen postpubertären Geschenkewahns. Die Ausstattung von Okarina Peter und Timo Dentler enthielt neben designten Naturmotiven auf Postertapeten alles, was der hässliche Zwerg für sein Liebesglück herbeisehnt: Weiße Treppe in die rosarote Zukunft, Badewanne mit Verwöhnschaum, Doppelbett mit Riesenteddy in der Horizontale dahinter. Das wird verführerisch angespielt von der ignoranten Infantin, die so den psychischen Totalkollaps ihres menschlichen Spielzeugs vorbereitet. Zwangsläufig erkennt der Zwerg sein Wesen in der Spiegelung an der Silberalufolie eines allerletzten Geschenks, die ihm dazu noch das ungeschönte Ansehen der Welt gleißend entgegenschleudert.

Dan Karlström, Mime im „Siegfried“ der Oper Leipzig, und Maraike Schröter sind das polarisierte Nicht-Paar. Beide geben ihren Partien im Kontrast zum Ambiente eine sehr irdische Vitalität – sie die Vollweib-Puppe, er mit mehr Attacke als Anbetung. So konnte Walter Sutcliffe in seiner Regie den Geschlechterkampf, wie ihn der Textdichter als symbolistisch aufgeladenes Action Play fokussierte, direkt ausagieren lassen. Kitsch kaschiert den permanenten Pfeilhagel kleiner Grausamkeiten schon gar nicht mehr: Mit der Infantin in fleischfarbener Robe ist nicht zu spaßen. Auch nicht mit ihren hysterischen Ausbrüchen, die sie in der zur Schau gestellten Rolle als beste Freundin ihrer Entourage überkommen. Maraike Schröters Sopran klingt dabei gut gefasst, klar fokussiert und textverständlich.

Den namenlosen Zwerg hat das Kreativteam mit einem amorphen Schädel und vergrößertem Hinterkopf ausgestattet. Seine blumige Ausstaffierung zeigt sofort, dass er am trügerischen Schein von idealisierenden Kopfgeburten leidet und nicht am ausgestellten Selbstbewusstsein. Wie er seine Andersartigkeit schon lange vor sich selbst leugnet wird dadurch sehr plastisch – auch weil Dan Karlström Parfüm und Poesie in der richtigen sparsamen Dosis parat hat. Das kommt der musikalischen und szenischen Spannung sehr zugute.

In dem so durchgestylten Ambiente ist doch offenkundig, dass ein attraktiver, devoter Angestellter mit delikatem Fetischismus für tiefrote Damendessous und dezente Beinmassagen mehr zu melden hat als ein softer Entertainer. Fast ein Sympathieträger ist Kouta Räsänen als Haushofmeister Don Estoban mit gepflegtem Kavalierston. In Chemnitz trifft es Franziska Krötenheerdt als Zofe Ghita, dass sie die lyrisch-klare Gutmensch-Miene zum bösen Spiel machen muss und damit den Untergang des Zwergs mit anrührend gläsernem Legato besiegelt.

Termine: 13., 18. November, 18. Dezember 2015, 7. Januar 2016

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