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Kein Produktionsfoto. Screenshot der Website der Hochschule für Bildende Künste Dresden
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Zitronenbäumchen am Urinal – Kurt Schwaens „Leonce und Lena“ als Hochschul-Produktion in Dresden

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Musikalische oder analytische Gründe standen bei der Entscheidung für Kurt Schwaens 1961 in (Ost-)Berlin uraufgeführter Kammeroper „Leonce und Lena“ als 5. Musiktheaterprojekt der Studienrichtung Lehramt Musik in Kooperation mit der Hochschule für Bildende Künste nicht im Vordergrund. Mit zwei Besetzungen konzentriert man sich im Labortheater vor allem auf die Quelle Georg Büchners. Auf der Bühne und in der Dramaturgie klammerte man allerdings die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zur Entstehung der Partitur komplett aus. Schade, denn die musikalische Realisierung zeigte sich den Anforderungen vollauf gewachsen.

Man kann darüber diskutieren, welche Ziele eine Musiktheater-Produktion des Studiengangs für Lehramt im Fach Musik haben kann: Schärfung der eigenen aktiven Kompetenzen, Vermittlung von Inhalten, Vergegenwärtigung historischer Hintergründe... Im Falle der Entscheidung für eine der ganz raren Aufführungen der Kammeroper „Leonce und Lena“ des in der ehemaligen DDR hochgeschätzten Kurt Schwaen (1909-2007) kommt es einem massiven Versäumnis gleich, die Entstehungsbedingungen des Werks nicht mitzudenken.

Denn das Opernschaffen der DDR ist auf den Bühnen kaum noch präsent. Maßgebliche Einspielungen der Opern von Paul Dessau (dessen „Leonce und Lena“ 1979, also achtzehn Jahre nach Schwaens Opus an der Deutschen Staatsoper Berlin herauskam) und Udo Zimmermann durch die DDR-Labels AMIGA und NOVA wurden auf CD verfügbar gemacht. Eine Wiederveröffentlichung der Aufnahme von Schwaens „Leonce und Lena“ aus dem Jahr 1968 mit Schauspielern für die Dialoge und Melodramen gab es im Vorfeld des Büchner-Jubiläumsjahres 2013, wofür also eher literarische als musikalische Gründe den Ausschlag gaben. Jetzt bestätigt die Dresdner Studentenaufführung, dass die Aufarbeitung des Musiktheaterschaffens der DDR im Vergleich zu anderen Kultursparten in Hinblick auf eine Sichtbarmachung des gesellschaftlichen Entstehungsrahmens und dessen Einfluss auf das Werk selbst stagniert.

Dabei stellten sich die Gesangssolisten und das von Romy Rexheuser hinter die Rückwand ihres weißen Bühnenraums gesetzte Kammerorchester den musikalischen Anforderungen der freitonalen Oper, ihren geschlossenen Formen und Stilzitaten mit einer kurzweiligen und runden Gesamtleistung. Die Generalpausen der Partitur erweiterte man durch umfangreiche Dialogpassagen aus Büchners Lustspiel, die Schwaen für die zehn Bilder seines Textbuchs gestrichen hatte. Auch durch Katharina Quandts filigran zwischen Rokoko, stilisierter Gesellschaftskleidung und abstraktem Schwarz-Weiß für das Landvolk abgestimmten Kostümen zeigt sich, dass hier die beißende Satire auf den in Nichtstun, Weltfremdheit und Daseinsleere lebenden Adel der deutschen Kleinstaaten im Vordergrund steht: Eine ganz böse Komödie wird zur nicht ganz leichtfüßigen Literatur-Operette.

Im musealen Elfenbeinturm

Beim Einlass streifen die später als repräsentative Jubelstatisterie instrumentalisierten Bauern erst einmal Foliendecken von den Zuschauersitzen. Auf der Bühne steht eine Nachbildung des von Marcel Duchamp mit „R. Mutt“ signierten, im New Yorker Grand Central Palace 1917 ausgestellten Urinals und wird sinnfällig-mehrdeutig angespielt. Bühne frei für das wächserne Figuren-Arsenal im ästhetisierten Environment! Mehrere Zitronenbäumchen bringen ebenso lyrische Poesie ins Geschehen wie die sängerisch und szenisch märchenhaft gläserne Prinzessin Lena (Christiane Thamm) mit ihrer nobel-protektiven Gouvernante (Sinah Seim-Olesch). Die von Schwaen sehr rezitativisch geführte und von zu viel Melos ferngehaltene Männersphäre des Prinzen Leonce (ephebisch mit feinem Tenorino: Sandro Hähnel) und seines Vertrauten Valerio (Sophia Hohenöcker als Hosenrolle mehr bodenständig als beißend) wird von der Regisseurin Katharina Dickopf feinsinnig, auch mit motorischer Vitalität in Szene gesetzt. Die besten Reibungspunkte aus der Partitur erhält Richard Breitkopf als weltfremd-vernagelter König Peter durch Schwaens pseudobarocke Cembalo-Soli. Einmal mehr ist Leonces abgelegte Geliebte Rosetta die seelengruftig verdüsternde Sympathieträgerin (Heike Ameis).

Pointierten Schliff gewinnt die mit plakativer Extrovertiertheit komponierte Partitur unter der musikalischen Leitung von Samira Nasser. Die Musiker lassen sich agil auf die weiblich-männlichen Kontraste der Tonsprache und die den Feudaladel verspottenden Klänge ein. Doch die latente Ebene, wenn die Bauern in den Marschton von Eislers Massenliedern fallen, erschließt sich nicht: Da hörte das für Doppelsinn offene Publikum in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit hoher Wahrscheinlichkeit auch eine schwer verifizierbare, aber semantisch plausible Kritik an der SED-Führungsspitze heraus. Diese Schärfung der Wahrnehmung für den zeitgebundenen Kontext der Oper hätte im Rahmen des Studienganges eine wichtige Legitimation dieser Produktion werden können. So aber erweist sich Schwaens „Leonce und Lena“ vor allem als Schauspiel mit ganz viel Musik, die ihre Interpreten vor im Ateliertheater beachtlich gemeisterte Herausforderungen stellt.

  • Wieder am 12.10. (Premiere B), 13.10., 14.10. - immer 19:30 im Labortheater der Hochschule für Bildende Künste Dresden   

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