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Opernszenen von singulärer Kraft: Mieczysław Weinbergs „Die Passagierin“. Foto: Bregenzer Festspiele/Karl Forster
Opernszenen von singulärer Kraft: Mieczysław Weinbergs „Die Passagierin“. Foto: Bregenzer Festspiele/Karl Forster
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Zofia Posmysz, die Autorin von „Die Passagierin“, in Oświęcim gestorben

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„… unvorstellbar, jemals über diese Geschehnisse berichten zu können.“ – Siebenundsiebzig Jahre hat sie gelebt – nach Auschwitz. Als 18-Jährige geriet die 1923 in Krakau geborene Zofia Posmysz in die Fänge der deutschen Nationalsozialisten, weil sie sich gegen deren bestialischen Welteroberungswahn zur Wehr gesetzt hat. Sie durchlitt die Konzentrationslager von Auschwitz und Ravensbrück.

Nach 1945 hat sie die Kriegsverbrecherprozesse verfolgt, wollte gemeinsam mit anderen Leidensgefährten Zeugnis ablegen, die Wahrheit über das „Tausendjährige Reich“ verbreiten, das in den zwölf Jahren seiner verlogenen Existenz unermesslich viel Leid und Schrecken über die Welt gebracht hat.

Dabei habe Zofia Posmysz über diese Schreckenszeit eigentlich nie wieder reden wollen, zumal sie nach ihrer Befreiung aus dem Lager der Deutschen auf dem Weg zurück in die polnische Heimat auch noch von Soldaten der Roten Armee behelligt worden ist. In Warschau hat sie später studieren und als Kulturredakteurin bei Radio Polen arbeiten können.

Doch bereits 1945 begann Zofia Posmysz ihr literarisches Schaffen, das durchweg autobiografisch geprägt gewesen ist. Auf ihren Bericht „Ich kenne die Henker aus Belsen“ folgte 1959 das Hörspiel „Die Passagierin aus Kabine 45“ sowie drei Jahre später der inzwischen mit reichlich großer Verspätung so berühmt gewordene Roman „Die Passagierin“. Dessen deutsche Übersetzung erschien zuerst 1969 im DDR-Verlag Neues Leben Berlin, ist bereits zuvor in Polen verfilmt und ins Russische übersetzt worden, wo der Komponist Dmitri Schostakowitsch seinem (aus Polen stammenden) Freund Mieczyslaw Weinberg diesen Stoff als Vorlage für eine Oper empfohlen hatte.

Erst 2010 erfolgte die vielbeachtete szenische Uraufführung der Oper „Die Passagierin“ in Bregenz, obwohl sich schon Schostakowitsch beizeiten für dieses bereits 1968 vollendete Werk eingesetzt hatte (hier der Bericht von Juan Martin Koch). Doch just die sowjetische Bildungsministerin Jekaterina Furzewa persönlich attestierte dem Stück „abstrakten Humanismus“ – woraufhin es für den gesamten Ostblock ideologiebedingt als unspielbar galt. Erst 2006 hat es eine konzertante Aufführung in Moskau gegeben. An Dresdens Semperoper kam „Die Passagierin“ 2017 heraus, ist aber längst schon wieder aus dem Spielplan verschwunden. Bei dieser Gelegenheit berichtete Zofia Posmysz jedoch von der Entstehungsgeschichte ihres Romans. Sie habe ihre einstige Aufseherin Anneliese Franz wiederfinden wollen: „Ihr verdanke ich, dass ich im letzten Lagerjahr als Schreiberin arbeiten konnte. Sie war eine Perfektionistin, wollte über alles akkurat Buch geführt haben. Und als sie erfuhr, dass ich in der Schule Deutsch gelernt hatte, nahm sie mich ins Büro. ‚Sie werden meine Schreiberin sein,’ dieser Satz hat mein Leben verändert.“

Ihr Leben nicht nur verändert, sondern höchstwahrscheinlich gerettet, denn kurz zuvor war Zofia Posmysz an Fleckfieber erkrankt und musste nach dem Rückzug der deutschen Wehrmacht aus dem Osten auch noch den Todesmarsch ins Lager Ravensbrück überstehen. Viele Jahre danach, bei einem Besuch in Paris, habe sie auf der Place de la Concorde eine Stimme gehört, „die mir bekannt vorkam und mich zugleich auch erschreckte.“ Ob dies tatsächlich die Stimme der Aufseherin Franz gewesen ist?

Zumindest in ihr, in Zofia Posmysz selbst, wird diese Stimme präsent gewesen sein, diese schreckliche, wohl unvergessliche Erinnerung an grauenhafte Zeiten. Nun brach sie wieder hervor und hat das erlittene Trauma in Literatur überführt. „Voller Angst“ sei sie 2010 nach Bregenz gereist, hatte Zofia Posmysz vor fünf Jahren in Dresden erzählt. „Die Eindrücke waren bewegend, vor allem war ich fasziniert vom Eindruck, den die Oper bei Publikum hinterlassen hat.“ Mit großer Bewunderung und Interesse habe sie später auch andere Inszenierungen besucht und über ihre Erfahrungen als Überlebende erzählt. „Die Begegnungen in Deutschland waren für mich besonders wichtig,“ betonte die Autorin auch anlässlich ihres Dresden-Besuchs. Um auf Deutsch zu bekennen: „Damals auf dem Appellplatz war es einfach nur unvorstellbar, jemals über diese Geschehnisse berichten zu können.“

Siebenundsiebzig Jahre lang hat Zofia Posmysz Auschwitz überlebt. Zu Beginn dieser Woche, am 7. August 2022, ist diese tapfere, stets freundliche Frau gestorben. Kurz vor ihrem 99. Geburtstag, auf eigenen Wunsch in einem Hospiz im polnischen Ort Oświęcim. Die deutschen Nazis nannten ihn Auschwitz.

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