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Friedhelm Döhl: Foto: Brücken-Festival
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Im Mittelpunkt: Friedhelm Döhl – das „Brücken“-Festival für Neue Musik in Rostock

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Mecklenburg-Vorpommerns Komponisten haben es – wie sicher viele ihrer Kollegen andernorts auch – nicht eben leicht. Sie leben am Rande einer von so massivem wie kuscheligem Klassikfetischismus geprägten Musikpraxis, die im Konzertsaal und in den Medien Prioritäten dezidiert traditionsorientierter Art setzt und damit geradezu Mauern gegenüber Neuer Musik errichtet.

Da ist es von Belang, dass es einen Landesverband Mecklenburg-Vorpommern im Deutschen Komponistenverband und einen Verein für Neue Musik in Mecklenburg-Vorpommern gibt, deren Vorsitzende zugleich personell an die Hochschule für Musik und Theater Rostock (HMT) gebunden sind: die Professoren Peter Manfred Wolf (Komposition) für ersteren und Dr. Birger Petersen (Musiktheorie) für den zweiten. Die hiermit gegebenen günstigen Voraussetzungen führten zu einer Zusammenarbeit, die 2004 ein erstes, „Brücken“ genanntes Festival für Neue Musik in Mecklenburg-Vorpommern ermöglichte und sich bislang auf hohem Niveau stabilisieren konnte. Inzwischen wurde in Rostock vor wenigen Tagen und nach einwöchiger Dauer (21.–28. November) der nunmehr 6. Jahrgang dieses Musikfestes sehr erfolgreich abgeschlossen. Auch diesmal hatten die Veranstalter keine Mühen gescheut, um bislang bewährte Veranstaltungsformen mit wieder attraktiven Inhalten zu füllen und deren Kanon auch noch wirkungsvoll zu erweitern. Das Fazit fällt mit 10 Konzerten, zwei öffentlichen Proben, zwei vielstündigen Workshops mit Studierenden der Komposition, 13 musiktheoretische, musikästhetische, kompositionstechnische und musikgeschichtliche Themenstellungen behandelnden Wortbeiträgen und einer Podiumsdiskussion schon quantitativ beeindruckend aus.

Aber auch qualitativ blieben keine Wünsche offen. So war es gelungen, mit Friedhelm Döhl (Lübeck) auch in diesem Jahr einen namhaften composer in residence zu gewinnen. Mit allein 19 Aufführungen zwischen Solowerk und großbesetzter Orchesterkomposition, vielen eigenen Wortmeldungen und als Gegenstand mehrerer Vorträge bestimmten er und sein Werk ganz entscheidend die gesamte Woche. Darüber hinaus dürfte Döhls außerordentlich vielgestaltige, sich intensiv auf das literarische Wort und die Malerei beziehende sowie das reichhaltige stilistische Reservoir Neuer Musik oft provokant individualisiert nutzende musikalische Sprache bei allen Teilnehmern für Langzeitwirkung sorgen. Dafür stünde – etwa in den Konzerten – auch der offensichtliche Erfolg seiner Werke beim Publikum und in den nahezu täglichen Gesprächen und Wortbeiträgen die diskussionswürdige Eigenwilligkeit und Brisanz seiner sehr eigengeprägten Vorstellungswelt als Komponist.

Mit Anton Webern (Streichquartett op. 28), Arnold Schönberg (2. Streichquartett op. 10, „Verklärte Nacht“ op. 4 in der Streichorchesterfassung, Klavierkonzert op. 42), Krzysztof Penderecki („Cadenza per Viola solo“), Bernd Alois Zimmermann (Sonate für Viola solo) und Luigi Nono (Streichquartett, „...sofferte onde serene...“ für Klavier und Tonband) konnten sich aber auch andere Programmteile sehen und hören lassen. Das galt nicht minder für den Bereich der an der HMT bereits 2008 institutionalisierten und seit langem auch sonst in Mecklenburg-Vorpommern und besonders in Schwerin – Wettbewerbe seit 2001 – vielfach berücksichtigten„Verfemten Musik“. Hier war sie dezidiert auf das weitgehend unbekannte Werk des mit Schönberg verwandten und 1938 zunächst nach Paris, dann in die USA emigrierten Erich (Eric) Zeisl (1905–1959) ausgerichtet. Seine Musik – hier mit dem 2. Streichquartett op. 28 (1953), dem Klavierkonzert (1951/52) sowie mit Scherzo und Fuge (1936/37) vertreten – war ungeachtet ihrer Verhaftung in (gekonnter) Kontrapunktik und spätromantischer wie neoklassischer Klangwelt eine Bereicherung des Programms – und eine Bringeschuld wohl ohnehin.

Bleiben die „Eigengewächse“, will heißen: Kompositionen der Rostocker Hochschulprofessoren Wolf und Petersen, die beide, wenn auch auf unterschiedliche Weise, sehr avanciert ihr Material nutzen, sowie – und auch das ist Konstante aller „Brücken“-Festivals – zwei Konzerte mit weiteren Werken aus Mecklenburg-Vorpommern. Hier präsentiert sich die stilistische Bandbreite umfassender und vielfarbiger zwischen neobarocker Polyphonie und Klanginstallationen in der Art Adriana Hölzkys. Nur Bestes bleibt auch hinsichtlich kompetenter fachwissenschaftlicher Wortbeiträge im Gedächtnis. So die Impulsreferate zu Neuer Musik im Musiktheorieunterricht, zum Schaffen Friedhelm Döhls oder zur „Verfemten Musik“, für die die Professoren Wolf, Petersen, Hartmut Möller (alle Rostock), Manfred Stahnke (Hamburg), Gerald Gruber (Wien), Lutz Lesle (Lübeck) beziehungsweise Friedhelm Döhl selbst, Dr. Jan Philipp Sprick (Berlin) und Volker Ahmels (Schwerin) gewonnen werden konnten.

Ansonsten aber lebte diese Festwoche von ausgezeichneten Interpreten: dem beeindruckend kompetenten studentischen HMT-Ensemble für Neue Musik (Leitung Professor Edith Salmen), das neben vorzüglichen Ensembleleistungen auch mit glänzenden solistischen Darbietungen aufwarten konnte, dem professionellen Ensemble „mv connect“ (Ulrike Mai) und dem phantastischen, Zeisl, Webern, Schönberg, Nono und Döhl zu nachhaltigen Erfolgen verhelfenden Kölner Verdi-Quartett. Hinzu kamen die Organisten Christine und Birger Petersen, denen das Auditorium in Ribnitz-Damgartens Marienkirche die mauerberstend klanggewaltige Bekantschaft mit Teilen aus Friedhelm Döhls „Orgelmesse und dem „Hiob“-Zyklus verdankte, das erstmals beteiligte Orchester der HMT unter Leitung des Rektors Professor Christfried Göckeritz – auch das ein beeindruckender Abend mit Zeisl Klavierkonzert (Annika Treutler), Schönbergs Klavierkonzert (Aya Matsushita) und Döhls ausdrucksstarkem „Gesang der Frühe“ für großes Orchester – sowie, ebenfalls erstmals, die Norddeutsche Philharmonie Rostock mit Streichorchesterwerken von Zeisl, Schönberg, und Uraufführungen von Wolf und Petersen (Florian Krumpöck a.G.).

Alles in allem eine ereignisreiche Woche von bemerkenswertem künstlerischen Niveau und großem kulturpolitischen Gewicht. Sie füllte erneut sehr überzeugend eine bislang zu wenig wahrgenommene Lücke im Musikleben Mecklenburg-Vorpommerns allgemein und in der Reihe der etablierten Musikfeste des Landes im Besonderen. Es wäre an der Zeit, die beabsichtigten Brücken nicht nur zum Konzertbesucher, sondern auch zum „Musikland Mecklenburg-Vorpommern“ zu schlagen und das so wichtige, selbstbewusst Flagge zeigende „Brücken“-Festival in diesen Verbund landesbedeutsamer Musikfeste gleichberechtigt einzubeziehen.

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