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 Christian Schönecker (Leopold), Michèle Losier (Octavian), Günther Groissböck (Baron Ochs auf Lerchenau) und Erik Rosenius (Ein Polizeikommissar). Foto: Ruth Walz
Christian Schönecker (Leopold), Michèle Losier (Octavian), Günther Groissböck (Baron Ochs auf Lerchenau) und Erik Rosenius (Ein Polizeikommissar). Foto: Ruth Walz
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Zum Mega-Event gepusht – „Der Rosenkavalier“ an der Staatsoper Berlin

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Die sich musikalisch auf hohem Niveau bewegende Neuproduktion krankt an der all zu großen Diskrepanz zwischen Inszenierungsabsicht und Inszenierungsergebnis der mit André Heller, Xenia Hausner und Zubin Mehta als Mega-Event apostrophierten Premiere an der Staatsoper Unter den Linden. Gleichwohl ein Publikumserfolg bei dem ungewöhnlich stark mit High Society aus Wien angefüllten Auditorium.

Der Ankündigung, dies sei seine erste Operninszenierung, widerspricht der Chansonier und Circusshow-Entertainer André Heller im Programmheft selbst, zumal er bereits in Paris und Tokio Werke von Schönberg und Poulenc mit Jessye Norman inszeniert habe. Für die von ihm nach eigener Aussage seit Jugendjahren besonders geschätzte Oper von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss hat er Wolfgang Schilly als Regie-Handwerker mit hinzugezogen, sowie die damit erstmals seit 28 Jahren wieder am Theater arbeitende, ursprünglich als Bühnenbildnerin tätige Xenia Hausner. Deren gegenständlich malerisches Werk sich liebender Frauen schlägt den Bogen zur queeren Handlung und zum Geschlechterspiel im „Rosenkavalier“, die – zusammen mit Skizzen und dem Bühnenbild-Modell zur Oper – in einer Ausstellung der Deutschen Bank im PalaisPopulaire, neben der Staatsoper, bestaunt werden wollen. Dort erfolgte, anderthalb Stunden vor Beginn der Premiere, die Vernissage für ein Publikum, welches besonders viele Prominenz inkludierte.

Bereits in der Ausstellung ist ersichtlich, dass die Opernhandlung von der gespielten Zeit des Rokoko in den Jugendstil verlegt wurde. Dabei ist sie weit entfernt von einer Opulenz, wie sie etwa die legendäre Ausstattung der „Lustigen Witwe“ durch Jürgen Rose an der Staatsoper Stuttgart ausgezeichnet hat.

Unter Aussparung der Ebene des Ersten Weltkrieges, vor dessen Hintergrund die Inszenierung von Götz Friedrich an der Deutschen Oper Berlin spielt, hat Heller das Jahr 1917 als neue Zeit der Handlung ausgewählt, konkret den 9. Februar 1917.

Darauf verweist bereits das Publikum beim Einlass als Schlüssel eine Projektion zum nachfolgenden Geschehen: ein perfekt nachgeahmter Theater-Zettel einer angeblichen „Benefizvorstellung zugunsten des k.k. österreichischen Kriegs-Witwen- und Waisenfonds“, unter der Spielleitung des Fürsten Alexander von Thurn und Taxis, in den Kostümen von Emilie Flöge (der Freundin Klimts) und in den Dekorationen von Koloman Moser – mit namhaften Sänger-Persönlichkeiten wie Lotte Lehmann, Maria Jeritza, Selma Kurz, Marie Gutheil-Schoder und Jarmila Novotna, sowie Alfred Jerger, Ernest van Dyck, Leo Slezak, Erik Schmedes und Richard Tauber. In dieser fiktiven Aufführung überaus prominent besetzt sind die stummen Rollen – mit Egon Friedell, Hugo von Hofmannsthal und Stefan Zweig.

Vermutlich wird dieser Fake einem Gros des Publikums nicht bewusst, auch weil den meisten jüngeren Opernbesuchern der Witz des fiktiven Besetzungs-Kumulus unter der (vielleicht vorneweg entschuldigend gemeinten) szenischen Leitung eines Dilettanten nicht nachvollziehbar erscheint.

Eklatant allerdings die Diskrepanz zwischen Inszenierungs-Absicht eines Spiels im Spiel und der diese Idee vergessenden Umsetzung.

Bereits das Dekor von Kolo(man) Moser, der in Berlin auch Ernst von Wolzogens Buntes Theater ausgestattet hat, wäre sicherlich farbenfroher und skurriler ausgefallen als das, was Xenia Hausner mittels Projektionen und im Rahmen eines nach vorne ins Proszenium verlängerten blauen Einheitsbühnenraums, mit Stegen übers Orchester, realisiert hat.

Die Kostüme des – laut Heller „Mode-Wunderknaben“ – Arthur Arbesser wirken nur wie aus einem reichen Fundus zusammengestellt. Neuschöpfungen, wie der komplette Goldanzug des Faninal oder die pinkfarbene, mit Glitzerrand besetzte Stola der Feldmarschallin erwecken den Eindruck von Buffo und Operettendiva.

Klimts Beethoven-Fries hat neureiche Herr von Faninal offenbar der Sezession abgekauft und in sein Palais eingebaut. Besonders misstraute das Regieteam dem Spielort des dritten Aktes: Anstelle des Beisels rückt nunmehr ein marokkanisch anmutendes Palmenzelt, dessen Aufwand die dem skurrilen Original-Topos innewohnende Intimität und den morbiden Zauber raubt. Anstelle der vom Intrigantenpaar inszenierten Spukeffekte dienen hier Projektionen platt über die Wände laufender Ratten und Spinnen.

In der Personenführung gibt es seltene schöne Momente, aber vorwiegend viel Leerlauf und insgesamt wenig Erhellendes.

Musikalisch macht der Abend mehr Freude. Die Meriten liegen in der Entscheidung für die ungekürzte Partitur. Viele häufig gestrichene Passagen schaffen eine musikalische Verlagerung der Schwerpunkte, etwa im ersten Akt die breiten Ausführungen des Ochs auf Lerchenau über seine erotischen Erfahrungen mit Mägden. Da bedürfte es einer hart zupackenden musikalischen Leitung um über sich einstellende Längen hinwegzuhelfen. Dies gelingt Zubin Mehta leider nur zögerlich, wenn der greise Dirigent auch einige Instrumente als szenisch malerische Kommentare verdeutlichend hervorkehrt. Insbesondere das Vorspiel gerät der Staatskapelle verwaschen. Nur langsam, insbesondere in den Walzer-Szenen, läuft jener Klangkörper, dem der Komponist ab 1908 als Generalmusikdirektor vorstand, zur gewohnten Pracht und Präzision auf.

Für das 15- und 17-jährige Liebespaar wartet die Staatsoper mit Rollendebüts auf: hellstimmig kraftvoll strahlt Nadine Sierra als Sophie, nicht ganz so überzeugend, im ersten Akt stark tremolierend, Michèle Losier als Octavian. Eine überraschend runde Leistung bietet Camilla Nylund als Feldmarschallin. Die Absicht des Regisseurs, Octavians Liebe zu Sophie als ein Strohfeuer deutlich zu machen, so dass er nach diesem Erlebnis als Liebhaber zur Feldmarschallin zurückkehren wird, bleibt eine papierende Behauptung, die auf der Bühne in keiner Weise nachvollziehbar wird, auch wenn die „wienerische Königskobra“ (Heller) ihr im Vorspiel von Octavian gezeichnetes Porträt in den letzten Takten des ersten Aktes in kleine Fetzen zerreißt.

Mit eigenen Nuancen wartet Roman Trekel in der Partie des Faninal auf, trefflich rollendeckend das Intrigantenpaar mit Karl-Michael Ebner als Valzacchi und Katharina Kammerloher als Annina. Stimmlich ausdrucksstark und facettenreich, dabei gekonnt wienernd in der Diktion, gestaltet Günther Groissböck den Baron Ochs auf Lerchenau: extrem weit entfernt von einem Wiener Falstaff, zeichnet er einen gefährlichen Bonvivant, der – als es ihm zu heiß wird – sein Toupet ablegt.

Mitglieder des von Anna Milukova einstudierten Chores übernehmen auch eine Reihe der zahlreichen kleinen Partien. Zu den stummen Rollen – doch jenseits der behaupteten prominenten Besetzung des Theaterzettels von 1917 – gehört, anstelle des von den Autoren aus der Reklame übernommenen Sarotti-Mohrenknaben, der hoch gewachsene Mohammed (Bruno Sandow), der am Ende das Taschentuch der Feldmarschallin inbrünstig inhaliert.

Beim Premierenpublikum viel Jubel, mit wenig Leidenschaft geteilter Meinungen zur szenischen Umsetzung.


  • Weitere Aufführungen: 13., 16., 19., 22., 27. und 29. Februar 2020.
  • TV-Übertragung: ZDF/3sat 21. 03. 2020

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