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Orchesterfoto RSB. Fotograf: Molina Visuals
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Zum Silvesterkonzert des RSB mit einer Uraufführung von Georg Katzer

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Traditionen sind entlarvend, gerade wenn man näher hinschaut. Dies betrifft insbesondere Beethovens Neunte: Vor genau einhundert Jahren und mitten im Ersten Weltkrieg wirkte der Berliner Volkschor bei einer Aufführung vor (wie es heißt) „Arbeiterpublikum“ mit. Heute findet sich im Konzerthaus hingegen ein gut betuchtes Auditorium ein, um den globalen Erschütterungen trotzend wenigstens hier am hehren Idealismus von Schillers Ode ungebrochen festzuhalten. Für Vladimir Jurowski, seit 2017/18 Chef des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin, gab es daher nur die Option, der wiederholten Aufführung durch Läuterung frisches Leben einzuhauchen – an Silvester 2018 (und vielleicht nun auch selbst traditionsstiftend) mit der Uraufführung von „discorso“ von Georg Katzer.

Tatsächlich konnte man eher den Eindruck gewinnen, dass ein Teil des Publikums den klanglichen „Diskurs“ eher ausgesessen als aufgenommen hat. Da wurde (anders als in der Neunten) ungeniert in eine der spannenden Generalpausen hineingehustet, auf dem Rang gar zu Beginn achtlos geplaudert. Mangelnder Respekt wird es nicht gewesen sein, wohl eher die enttäuschte Erwartungshaltung der Gelegenheitsgäste, die sich an diesem Spätnachmittag die bestellte klangliche Fest-Vorspeise nicht durch einen ungewöhnlichen „Gruß aus der Küche“ verderben lassen wollten.

Dabei hat Georg Katzer als jung gebliebener Komponisten-Senior mit „discorso“ eine Partitur geschaffen, die weder mit den Muskeln des Orchesters spielt noch sich durch groovige Rhythmen anbiedert; vielmehr ist es ein Werk, das auf verblüffende Weise zeitlos erscheint. In mehrere Abschnitte gegliedert, klar durchhörbar und ganz ohne postmoderne Streichersüffigkeit entwickelt sich der Verlauf immer wieder neu, stellen sich (unbeabsichtigt?) manch geschichtsträchtige Allusionen ein. Und so hält Katzer wirklich eine musikalische „Rede“, ohne in bloße Rhetorik zu verfallen. Was er dabei hörbar nicht im Blick haben wollte, war das im Programm nachfolgende, rezeptionsgeschichtlich überfrachtete sinfonische Monument. Auch seinem Credo blieb Katzer treu, das freilich für manchen an diesem Tag nicht recht passen mochte: „Einzig eine Musik, die sich nicht funktionalisieren lässt, ist vor dem Missbrauch sicher.“

Hervorragend einstudiert und wirklich als autonome Musik gespielt, konnte „discorso“ zwar nicht als Vorspiel, sondern als eigenständiges Orchesterwerk überzeugen. Dass Vladimir Jurowski und sein Rundfunk-Sinfonieorchester ohnehin nichts dem Zufall überließen, zeigte sich auch in Beethovens Neunter: Obwohl mit doppeltem Holz besetzt, fanden Naturtrompeten Verwendung, auch die beiden tiefen Hörner waren ventillose Instrumente. Dies passte sowohl zum schlanken, entschlackten Zugriff im Kopfsatz wie zu den entrückten Bläserklängen im Scherzo. Während das Adagio molto e cantabile im Tempo allzu forciert angegangen wurde, erschien das Finale zunächst im großen Fluss bemerkenswert aufgeräumt (und damit für die gut disponierten Solisten und den Rundfunkchor dankbar gestaltet), am Schluss aber dann doch allzu segmentiert.

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