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Mit zwei Konzerten in der Alten Oper Frankfurt feierte die Junge Deutsche Philharmonie ihr fünfundzwanzigjähriges Bestehen. Ein Konzert bestritt das gegenwärtige Orchester, das in Frankfurt seine Sommertournee abschloss. Für den Eröffnungsabend hatte man sich etwas Besonderes ausgedacht: Das Jubiläumsorchester 1999, gebildet aus Musikern der „ersten Stunde“, die die „Schule“ des Orchesters in den ersten Jahren seines Bestehens durchlaufen haben. In alter „basisdemokratischer“ Tradition hatten sieben „Ehemalige“ das Programm konzipiert, dessen Ausführung sie zwei weiteren „Ehemaligen“ übertrugen: den Dirigenten Thomas Hengelbrock und Jun Märkl.
Zweieinhalb lange Probentage wuselten sie durch die Deutsche Ensemble-Akademie in Frankfurts Schwedlerstraße. Unter dem Gebälk im Dachgeschoss, dem Übungsraum in der Akademie, drängten sich die Professorin aus Köln, der Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, Musiker aus den verschiedenen Rundfunk-Sinfonieorchestern, aus Opern-und Konzerthäusern, aus Kammer-Ensembles, Dozenten, Freischaffende, aber auch Ärzte, Geschäftsführer sowie ein Pastor, ein Jurist, ein Fotograf und eine Hausfrau mit Courage zum Berufsbekenntnis. Gemeinsam war allen die musikalische Herkunft: Sie gehörten vor einem Vierteljahrhundert zur ersten Generation der Jungen Deutschen Philharmonie. Sie waren hochbegabte Absolventen der Musikhochschulen, fragten sich, wie sich Beamtenstatus und Büromentalität in den etablierten Kulturorchestern am besten umgehen ließe, worauf sie beschlossen, ein eigenes Orchester zu gründen, sich Programme und Dirigenten selbst auszuwählen und niemals älter zu werden als 28 Jahre. Auf diese Weise hat sich dieses einmalige Orchester zunächst einmal für ein Vierteljahrhundert bis zum heutigen Tag jung erhalten und nichts spricht dagegen, dass es weiterhin sein jugendliches Aussehen behält. Das Konzert der „aktuellen“ Jungen Deutschen Philharmonie unter Iván Fischer verstrahlte in dieser Hinsicht nichts als Optimismus.
Die Junge Deutsche Philharmonie scheint auf fast magische Weise aber auch als Jungbrunnen zu wirken. „Alt“ sahen die Ur-Philharmoniker in keinem Augenblick aus, im Gegenteil: die Atmosphäre bei den Proben, die Begegnungen und Gespräche mit den Kollegen und Freunden „von einst“ schienen sie ebenso zu beflügeln wie die künstlerische Arbeit an Werken, an denen man sich einmal gemeinsam abgerackert hatte.
Entscheidend ist natürlich, was am Abend auf dem Konzertpodium erklingt. Und da kann den Musikern der „alten“ Jungen Deutschen Philharmonie und ihren „Unterweisern“ Jun Märkl und Thomas Hengelbrock kein Respekt versagt werden. Weberns „Passacaglia“, opus 1 überzeugte durch die erreichte Balance zwischen strenger, gebundener Form und entbundener Expressivität. Märkl achtete vor allem auf die präzise motivische Strukturierung, die schon bei diesem frühen Webern Bedeutung erlangt. Andererseits gelang ihm und dem Orchester auch der weitgespannte, spätromantische Ausruck, der die Komposition gleichsam überwölbt. Märkl war auch der Dirigent bei Schönbergs Brahms-Adaption des Klavierquartetts Nr.1 g-Moll, opus 25. Erstaunlich auch hier, wie rasch das ad hoc-Orchester vor allem im Klanglichen zu Geschlossenheit fand, Schönbergs komplexe Instrumentierung zum Klingen und Blühen zu bringen vermochte.
Hengelbrock war Dirigent bei Haydns Sinfonie Nr. 98 B-Dur (Hob.I:98) und bei Witold Lutoslawskis „Novelette für Orchester“, die der Komponist anno 1981 persönlich mit der damaligen Junge-Deutsche-Philharmonie-Besetzung erarbeitet hatte. Lutoslawski Titel-Verweis auf Robert Schumann hat auch für die eigene Komposition Folgen: Die fünf Sätze der „Novelette“ wirken bei aller Strenge der Komposition für Lutoslawski fast spielerisch-locker, ein geistvolles „Gespräch“ unter Instrumenten, das mehrfach von heftigen Tutti-Akzenten unterbrochen wird. Hengelbrock bettete alles in eine fein ausgehörte Klanglichkeit ein, achtete sorgfältig auch auf die gestische Beredtheit der Musik. Da Haydns Symphonik selbst für traditionelle Spitzenorchester inzwischen zum „Problem“ geworden ist, möchte man von den Alt-Philharmonikern nichts Unmögliches verlangen: Hengelbrock und die Musiker strebten Eleganz und Leichtigkeit an und erreichten sie punktuell. Für den Schlusssatz hielt man eine Überraschung parat: für die Violinsoli, die einst Johann Peter Salomon bei der Uraufführung in London spielte, meldete sich im Parkett Christian Tetzlaff, auch ein „Ehemaliger“, zu Wort – man ließ ihn gnädig gewähren und den „Salomon“ spielen, während Jun Märkl, der ihm zunächst die Noten hielt, ans Pianoforte eilte, um Haydns Cembalo-Part zu rekapitulieren.
Für das zweite Konzert, mit dem die gegenwärtige Junge Deutsche Philharmonie ihre Deutschland-Tournee beendete, standen Strawinskys Ballett-Musik zu „Petruschka“ und Belá Bartóks Tanzspiel „Der holzgeschnitzte Prinz“,opus 13 auf dem Programm. Der Dirigent Iván Fischer entwickelte mit der Puppenspielerin Suse Wächter ein Konzept, um die szenische Komponente beider Werke im Konzertsaal zur Wirkung zu bringen. So befindet sich über dem Orchester auf dem Podium ein großes Puppentheater (siehe Bild), das jedoch nur Ausgangspunkt einer faszinierenden theatralischen Aktion ist. Suse Wächter und ihre Mitspieler Atif Hussein, Peter Lutz und Krystyna Plachetka treten mit ihren Figuren selbst auf die Szene, agieren mit den Puppen an der Rampe, im Orchester, korrespondieren mit den Musikern und sogar der Dirigent muss sein Stöckchen mit dem magischen Zauberstab tauschen, um für Prinz und Prinzessin in Bartóks wunderbar poetischem, hintergründig-symbolistischem Tanzspiel das glückliche Ende zu bereiten.
An diesem hinreißenden Abend wurde besonders mit dem Bartók-Werk gleichsam eine neue Kunstform geboren: Aus einem vermeintlichen Provisorium, mit dem die vielleicht doch etwas ermüdende nur-konzertante Wiedergabe zweier Ballett-Schöpfungen anschaulicher gemacht werden sollte, entstand ein Spiel mit Puppen, Menschen, Musik und Musikern, voller Poesie, Schönheit, Geheimnis und Anrührung. Puppen, Schauspieler, Musiker und Musik verschmelzen zu einer Einheit. Und wenn der Prinz einsam da sitzt, seine Identität an sein Stock-Imitat und die Zuneigung der Prinzessin verloren hat, dann scheint in der Puppe der Mensch auf mit all seinem Leiden und seiner Einsamkeit.
Alles aber wächst heraus aus Bartóks Musik, das Poetische, das Zärtliche, die Empfindung. Sie bettet alles in ein geheimnisvolles „Klang-Theater“ von großer Magie und Eindringlichkeit. Iván Fischer realisierte Bartóks Musik mit feingesponnenen Lineaments und still leuchtenden Valeurs, plastisch in den klanglichen Formulierungen, der zarten Melodik und den grotesken Momenten für die hölzerne Prinzengestalt. Das Orchester agierte geschmeidig und subtil in allen Details.
Dass es auch härter, rhythmisch markant und zugleich farbreich spielen kann, demonstrierte es bei Strawinskys „Petruschka“ . Suse Wächters choreographische Erfindungen schienen hier noch etwas enger an den „richtigen“ Ballett-Imaginationen orientiert. Es ist ja auch ohne Puppen ein brillantes Tänzer-Puppenspiel. Doch muss man das Doppel auch als Einheit in zwei Variationen sehen. Das Ereignis ist der Bartók.