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Aufstand für die Kunst: Der Verein „art but fair“ engagiert sich für bessere Gagen für Künstler

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„Es reicht!“ Unter diesem Motto sammelt eine Facebook-Seite, im Februar von dem Musical-Produzenten Johannes Maria Schatz ins Leben gerufen, „die traurigsten und unverschämtesten Künstler-Gagen-Angebote, die Deutschlands Bühnenlandschaft zu bieten hat“. Binnen sechs Tagen verzeichnete sie mehr als 2.000 „Gefällt mir“-Angaben, täglich kommen neue hinzu – am 21. Mai waren es 9.629. Der große Zuspruch lieferte den Anstoß für die Gründung eines Vereins, der unter dem Titel „art but fair“ für angemessene Vergütung und allgemeine Wertschätzung von Künstlern kämpft, mit „Goldenen Regeln“ und einem Gütesiegel für faire Bedingungen.

Einige der Angebote und Erfahrungsberichte auf www.facebook.com/Kuenstlergagen klingen wahrhaftig haarsträubend. Da bietet ein Theater einem „ausgebildete(n) Schauspieler“ 50 Euro pro Vorstellung nebst kostenloser Unterkunft in einer WG; ein Jazzmusiker muss die vereinbarte Gage unter Drohungen einfordern; einem Synchronsprecher wird vorgeschlagen, zunächst unentgeltlich zu arbeiten, „mit der sehr wahrscheinlichen Aussicht auf weitere Videoproduktionen im Rahmen dieses Projektes, die dann auch sicherlich bezahlt werden würden“.

Dass viele Künstler in prekären Verhältnissen leben, zeigt schon ein Blick auf die Statistik der Künstlersozialkasse, die aktuell ein Durchschnittseinkommen der aktiv Versicherten von 14.557 Euro im Jahr ausweist. Indessen bricht sich die Empörung häufig unterhalb der Gürtellinie Bahn. (Ein wahrer „Shitstorm“ ging über der Kammeroper Köln nieder, nachdem deren Ausschreibung für die Stelle eines Korrepetitions-Praktikanten mit einer Vergütung von 120 Euro gepostet worden war. Abgesehen davon, dass sich das Theater derzeit nur aus den Einnahmen finanziere und seinen Darstellern keine höheren Gagen zahlen könne, so erklärt die Presse- und Marketing-Chefin Christina Herrmann, die bei Bedarf auch den Einlassdienst übernimmt, wolle man junge Musiker am Beginn ihrer Karriere fördern; „einige Darsteller haben vor allem dadurch, dass sie bei uns auch einmal eine Hauptrolle gesungen haben, feste Engagements an größeren Häusern bekommen“.)

Die widerstreitenden Bedürfnisse von freien Projekten und Künstlern, die ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, verursachen ein Dilemma; ein anderes die Grauzone zwischen professioneller und Laien-Szene: Eine Amateur-Band kann es sich leisten, für zwei Freigetränke aufzutreten, ein Berufsmusiker nicht.

Die Internet-Seite www.artbutfair.de soll die unterschiedlichen Interessen kanalisieren. Sie bildet die Basis des gleichnamigen Verbandes, der derzeit in den Startlöchern steht; nicht als Gegenpol zu den Gewerkschaften, wie Markus Brück, Bariton an der Deutschen Oper Berlin und Mitglied der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA), betont, sondern als Unterstützer.

Selbst für die an öffentlich finanzierten Opernhäusern angestellten Sänger, die sich in einer vergleichsweise komfortablen Situation befinden – auch wenn sich die Mindestgage von derzeit 1.600 Euro nicht eben üppig ausnimmt –, wird der Wind rauer, zumindest an kleineren Häusern; angesichts angespannter finanzieller Verhältnisse der Kommunen sinken die Vergütungen. Rolf Bolwin, Geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins, fordert von der öffentlichen Hand, „die Häuser so auszustatten, dass sie ihr Personal anständig bezahlen können“. Das Argument der klammen Kassen wird aus seiner Sicht zu selbstverständlich akzeptiert – immerhin gibt die öffentliche Hand mehr als eine Billion Euro jährlich aus – und allzu leichtfertig das Soziale gegen die Kultur ausgespielt. Sparen, gibt er zu bedenken, lasse sich im Theater nur im Personalbereich, in den 80 bis 90 Prozent der Ausgaben fließen.

Und am problemlosesten sparen lässt sich bei den Gastverträgen, deren Zahl laut Deutschem Bühnenverein 2010/11 auf mehr als 22.000 gestiegen ist. Bolwin könnte sich durchaus Tarifabschlüsse für die Gäste vorstellen, wie von der GDBA seit langem gefordert. Allerdings erweist sich der geringe Organisationsgrad als Hindernis. Für Solisten sei es oft „uncool“, sich gewerkschaftlich zu engagieren, meint Jörg Löwer, ehemaliger Musical-Darsteller und Persönlicher Referent des Präsidenten der GDBA.

Verfügten die Gewerkschaften über mehr Schlagkraft, ließe sich wohl auch das Problem, das in den Medien die meiste Aufmerksamkeit erregt hat, leichter lösen: Es betrifft die unbezahlten Probenzeiten bei internationalen Festivals. Die österreichische Mezzosopranistin Elisabeth Kulman hatte es mit ihrer Kritik an der Entscheidung der Salzburger Festspiele, Probenzeiten nicht mehr zu vergüten, aufs Tapet gebracht. Scheinbar Jammern auf hohem Niveau, nagen doch die Sänger, die in Salzburg oder Bregenz gastieren, gemeinhin nicht am Hungertuch; aber, so gibt Dominique Meyer, Direktor der Wiener Staatsoper, zu bedenken: Wer nach mehrwöchigen Proben absagen muss, und sei es wegen eines Schnupfens, bleibt im ungünstigsten Fall auf sämtlichen Reise- und Mietkosten sitzen. Meyer regt daher ein europaweites Versicherungssystem an; „das wäre eine Aufgabe für die Deutsche Opernkonferenz“.

Die Probleme in einigen Bereichen des Kulturlebens erscheinen zwar weitaus dramatischer als in der Opernszene – allerdings ist ihnen schwerer beizukommen. Den freien Markt mit einem Netzwerk von Regelungen zu überziehen, würde zu dessen Zusammenbruch führen, warnt Martin Maria Krüger, Präsident des Deutschen Musikrates. Beispiel Musik im Gottesdienst: „Da werden oft um die 100 Euro bezahlt, mehr wäre vielerorts gar nicht möglich.“ Dieser und andere „Niedriglohn“-Bereiche tragen aber erheblich zum vielfältigen Musikleben hierzulande bei; es durch starre Vorschriften auszutrocknen, könne in niemandes Interesse sein. Wenn allerdings „bei einer Hochzeit 400 Euro an die Musiker bezahlt und 7.000 Euro für das Essen ausgegeben werden, ist das ein Missverhältnis, auf das man durchaus aufmerksam machen kann“. Krüger fordert Respekt gegenüber den Musikern; „die angemessene Vergütung der Kunstschaffenden muss das Anliegen aller am Musikleben Beteiligten sein, denn letztendlich geht es darum, dass Kunst in ihrer Vielfalt geschieht und wir ein erfülltes Kulturleben haben“.

Das ist ganz im Sinne der Macher von „art but fair“. Markus Brück geht es in erster Linie um Wertschätzung: Sich der Bedeutung der Kunst bewusst zu sein und den Menschen anstelle seines Marktwertes in den Mittelpunkt zu rücken, das erwarten er und seine Mitstreiter von Veranstaltern und Publikum. Vielleicht würde dann die Zahl der „traurigen und unverschämten Künstler-Gagen-Angebote“ zurückgehen – ob die Künstler sich davon etwas kaufen können, bleibt abzuwarten.

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