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Das Pianistenehepaar Friederike Haufe und Volker Ahmels fuhr Anfang Oktober 1997 auf eine zweiwöchige Konzertreise nach Israel und ins Westjordanland. Ihr erster Besuch führte sie im Februar 1997 in Verbindung mit der in Deutschland und Israel sehr erfolgreichen Brundibar-Inszenierung des Konservatoriums Schwerin dorthin.
Durch diese Aufführungen vor Überlebenden des Holocausts inspiriert, entstand die Idee, für die letzten Zeugen der schlimmsten Epoche deutscher Geschichte Klavier zu spielen. Diese europäisch-stämmigen Juden haben alle entweder ihre Familien durch den Holocaust verloren oder waren selbst betroffene Häftlinge oder Flüchtlinge vor den Nazi-Schergen. Sie leben heute häufig in sogenannten Elternheimen und können bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr in Konzerte gehen. Mit einem klassisch-romantischen Programm sollte die Klaviermusik eine Brücke zu ihnen werden. Darüber hinaus vermittelte uns Christine Günther, die sehr engagierte Leiterin des Goethe-Instituts Jerusalem, zwei Konzerte in Jerusalem und Ramallah vor Palästinensern, veranstaltet vom Arabic Music Center, das von Mustafa Al-Kurd geleitet wird. Die weiteren Stationen der Reise waren Tel-Aviv, Jerusalem, Kfar Saba, und Haifa.
Über 500 Zuhörer waren bei den Konzerten und fühlten sich durch die zwei- und vierhändige Klaviermusik von Brahms, Mendelssohn, Chopin, Mozart, Schubert und Wolfgang Rihm sehr an ihre eigenen deutschen und europäischen Wurzeln erinnert. Das Projekt wurde mit Unterstützung durch das Auswärtige Amt und anderen Sponsoren realisiert, dabei sind die Pianisten dem Berliner Reiseveranstalter Ely Oknin zu besonderem Dank verpflichtet. Im Folgenden nun ein Bericht der Autorin, die die erlebten Ereignisse als Tagebuch skizzierte:
30. September 1997: Flug von Hamburg über München nach Tel-Aviv und weiter mit einem Leihwagen nach Netanya ins Hotel. 4.000 Kilometer in zehn Stunden. Die Sonne brennt, der Sommer hat uns wieder.
2. Oktober 1997: Obwohl Neujahr ist, spielen wir heute abend, denn in Ost-Jerusalem wird Neujahr nicht begangen. Auftritt im Arabic-Music-Center mitveranstaltet vom Goethe-Institut. Das Center liegt auf dem Gelände des Palästinensischen Nationaltheaters. Der Leiter des Centers, Mustafa Al-Kurd, hat in Berlin gelebt, so daß wir keine Sprachprobleme haben. Wir nähern uns dem Flügel, einem Emerson, braun, aus den dreißiger Jahren. Er läßt sich fast nicht spielen, so schwergängig und ungenau ist seine Mechanik, aber irgendwie wird es schon gehen. Wir haben noch Zeit und machen einen Fußweg durch das Damaskus-Tor zur via dolorosa. Wir spüren eine unterschwellig aggressive, deprimierte Stimmung, in der man uns später bestätigt. Wir begreifen die Tragweite unseres Vorhabens, für Menschen zu spielen, die der Shoa entkommen konnten und andrerseits auch für die, deren Land seit 30 Jahren besetzt ist.
6. Oktober 1997: Unser drittes Konzert ist wieder ein gemeinsamer Auftritt in einem Wohnstift in Kfar Saba. Wir spielen uns nur 30 Minuten ein, da wir von Meir und seiner Frau Mirjam erwartet und bewirtet werden und sofort sehr persönlich sprechen. Allerdings kennen wir die beiden schon seit Februar. Mirjam ist Hamburgerin und erzählt uns, daß ihre Familie die Judenverfolgung als sehr krassen Einschnitt erfuhr: Der Vater saß mit Freunden in einem Cafe, als ein SA-Mann das Lokal betrat und mit den Worten „Hier ist kein Platz für Saujuden“ den Kaffee über sie ausgoß. Der Vater kam nach Hause und sagte: „Hier müssen wir weg“. Über Litauen begann dann die Emigration. Aber sie erzählte auch, daß Hamburg noch als weltoffen galt, denn ihre Wohnung wurde von einer jüdischen Familie übernommen, die den Frankfurter Schikanen entkommen wollte und Hamburg als neuen Wohnsitz wählte.
7. Oktober 1997: Konzert in Jerusalem, und zwar im Siegfried-Moses-Elternheim, bereits am Nachmittag. Bevor es beginnt werden wir mit den folgenden Worten begrüßt: „Wir freuen uns, daß Sie nicht einen Moment gezögert haben, in diesen schwierigen Zeiten dennoch zu uns zu kommen. Denn wir hatten wegen der Bombengefahr der letzten Zeit schon fest mit Ihrer Absage gerechnet.“ Und dann spielen wir in einem niedrigen modernen Raum auf einem kleinen braunen Yamaha-Klavier, das wie ein einziger großer Wattebausch klingt, aber es entsteht dennoch eine unglaublich schöne Konzertatmosphäre, da wir vor einem völlig gerührten mitfiebernden und begeisterten Publikum spielen dürfen, wie wir es vielleicht noch nie vorher erlebt haben.
8. Oktober 1997: Konzert in Tel-Aviv im Pinchas-Rosen-Elternheim. Herr L. erwartet uns bereits. Wir sind entzückt von dem schönen Saal mit Holzfußboden in warmen Farben gehalten. Und ein großes altes Petroff Klavier erwartet uns ebenfalls. Es hat zwar seine Tücken, aber einen warmen Klang. Herr L. erzählt mir von dem Bechstein-Flügel seiner Mutter. Sie hatte ihn zur Hochzeit von ihren Eltern bekommen und bestand darauf, entgegen aller Ratschläge, ihn 1934 von Breslau mit nach Haifa zu nehmen. Dort lebte sie in einem Zimmer um den Flügel herum. Aber durch den Flügel und über die Musik hatte sie immer Kontakt zu anderen Menschen. Auf meine Frage, was denn aus dem Flügel geworden sei, wird Herr L. ganz nachdenklich und zerknirscht. Schließlich gesteht er mir, daß er nach ihrem Tod vor 20 Jahren den Flügel verschenkt und für den Transport auch noch gezahlt habe. Und nun sei er immer am Überlegen, wie er dem Pinchas-Rosen Elternheim zu einem Flügel verhelfen könne. Auch hier ist nach unserem Spiel das Eis gebrochen, und wir werden von Herrn L. und seiner Frau noch in ihre Wohnung gebeten.
9. Oktober 1997: „Ramallah, Friends Girls School“, founded 1889. Wir sind entzückt beim Öffnen des eichenfarbenen Flügels und lesen auf dem Rahmen: Steinway & Sons, New York Hamburg, Erzeugnis der Steinway-Werke Hamburg Altona. Aufgrund der Nummer werden wir später von der Firma Steinway erfahren, daß dieser Flügel am 12. März 1937 vom Hamburger Werk für 2.500 Reichsmark an die Berliner Niederlassung ausgeliefert wurde. Ab hier verliert sich seine Spur. Schließlich beginnt ein Konzert, das wir bestimmt nie vergessen werden, denn Welten prallen aufeinander: Volker beginnt wie üblich mit der Sonate F-Dur KV 331 von Mozart, ich sitze im Publikum. Die beiden Saaltüren bleiben geöffnet, und nun entwickelt sich ein arabisches Kommen und Gehen, ganze Gruppen junger Männer betreten vom Saaldiener freundlich herbeigewinkt den Saal, um nach fünf Minuten festzustellen, daß das wohl doch nicht die richtige Veranstaltung ist, sich mitten im Spiel erheben und den Saal wieder verlassen.
13. Oktober 1997: Unser letztes Konzert und unser letzter Tag in Israel. Als wir fertig gespielt haben, geht ein Herr mit Tränen in den Augen an das Mikrofon und sagt: „Sie haben Brücken geschlagen zwischen Ihrer jungen deutschen Generation und uns, und Sie haben uns mit dieser Musik ein Stück aus unserer noch unbeschwerten deutschen Kindheit hierher gebracht. Dafür möchten wir uns bedanken.“ Wir sind sprachlos. War wirklich unsere Intention dieser Reise ohne Worte so angekommen ? Konnte es einen schöneren Abschluß geben?
Friederike Haufe