Die Umsetzung des so genannten Korbes II der EU-Richtlinie „Urheberrecht in der Informationsgesellschaft“ gestaltet sich als weitaus zäher und schwieriger als die Umsetzung des so genannten Korbes I. Fast innerhalb der gesetzten Frist – sie wurde nur um wenige Monate überschritten – hat die Bundesrepublik Deutschland die mit einer Umsetzungsfrist belegten Teile der bereits genannten EU-Richtlinie „Urheberrecht in der Informationsgesellschaft“, den so genannten Korb I, in der 14. Legislaturperiode in nationales Recht überführt.
Danach begann ein Marathon, dessen Ende noch nicht abzusehen ist. Zunächst wurde ein Fragenkatalog zur Vorbereitung eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vorgelegt. Der Deutsche Kulturrat hat zu diesem am 11. Dezember 2003 Stellung bezogen. Danach wurde eine Reihe von Arbeitsgruppen aus Vertretern der verschiedenen Interessengruppen eingesetzt, die unter der Moderation des Bundesministeriums der Justiz die inhärenten Interessenkonflikte ausloten und mögliche Kompromissformeln erarbeiten sollte.
Diese Arbeit musste der Quadratur des Kreises ähneln. Zumal das Bundesministerium der Justiz natürlich kein unabhängiger Makler sein kann, sondern für alle Beteiligten der Ansprechpartner ist, um die eigenen Partikularinteressen in den Gesetzgebungsprozess einzubringen. Nach langen Diskussionen legte das Bundesministerium der Justiz schließlich im Herbst 2004 einen Referentenentwurf vor, der von verschiedenen Seiten sowohl bei der gemeinsamen Veranstaltung des Bundesjustizministeriums und des Instituts für Urheber- und Medienrecht in München als auch bei einer Anhörung des Bundesjustizministeriums im Herbst 2004 harsch kritisiert wurde. Bundesjustizministerin Zypries wertete bei einer Veranstaltung der VG WORT im Januar 2005 diese Kritik der unterschiedlichen Interessenvertreter als ein Zeichen dafür, dass der Referentenentwurf ausgewogen ist. Der Deutsche Kulturrat hat am 9. November 2004 zum Referentenentwurf Position bezogen.
Die von den verschiedenen Seiten vorgetragene Kritik veranlasste das Bundesjustizministerium dazu, den Referentenentwurf noch einmal zu überarbeiten. Auf Grund der vorgezogenen Bundestagswahlen wurde der Referentenentwurf nicht in das Kabinett eingebracht, so dass der weitere Gang der Gesetzgebung ins Stocken geriet. Zu Beginn des Jahres 2006 legte die Bundesregierung nun einen zweiten Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft vor und stellte ihn am 26. Januar 2006 in einer Anhörung den beteiligten Kreisen zur Diskussion. Bis auf die Geräteindustrie waren die meisten der vertretenen Organisationen und Verbände mit dem Referentenentwurf höchst unzufrieden.
Pointiert wurde dieses an der Vergütungshöhe für Pauschalvergütungen deutlich. Fielen die Regelungen im ersten Referentenentwurf schon weit hinter das zurück, was die Bundesregierung selbst in ihren Vergütungsberichten als erforderlich ansah, ist nun eine weitere Regelung gefunden, die vor allem der Geräteindustrie, aber nicht den Künstlerinnen und Künstlern sowie der Kulturwirtschaft zugute kommt. Sowohl die Vertreter der Urheber, wie zum Beispiel ver.di, als auch der Kulturwirtschaft, wie zum Beispiel der Börsenverein des deutschen Buchhandels, als auch der Verwertungsgesellschaften wie zum Beispiel der GEMA und der VG WORT machten deutlich, dass die im Referentenentwurf getroffenen Regelungen weder dazu dienen, Rechtssicherheit herzustellen und die Verfahren zur Festlegung der Tarife zu verkürzen, noch – und dieses ist das noch viel schwer wiegendere Argument – die verfassungsrechtlich garantierte angemessene Vergütung der Urheber zu gewährleisten.
Die einzige Kritik, die von Seiten der Geräteindustrie zu diesem Punkt geäußert wurde, war die Verlängerung des Schlichtungsverfahrens zwischen Verwertungsgesellschaften und Geräteindustrie von sechs auf zwölf Monate mit der nach wie vor bestehenden Möglichkeit, das Schlichtungsverfahren abzubrechen und ein Schiedsverfahren anzustreben. Diese Verlängerung schafft für beide Seiten Unklarheit. Die Unternehmen müssen entsprechende Rückstellungen vornehmen und die Verwertungsgesellschaften können möglicherweise über Jahre nicht adäquat ausschütten. Es bleibt abzuwarten, ob bei den anstehenden Beratungen im Deutschen Bundestag dieser Bereich noch einmal verändert wird. Sollten keine Veränderungen erfolgen, würde dieses allen Aussagen der Kulturpolitiker, den Wert der kreativen Leistungen zu schätzen und besonders die so genannte Kreativwirtschaft zu stärken, Hohn spotten. Verläuft die Auseinandersetzung zur Vergütungshöhe zwischen dem Kulturbereich und den Herstellern beziehungsweise Importeuren von Druckern, PCs und so weiter, findet sie mit Blick auf die Nutzung der Möglichkeiten der digitalen Technik auch innerhalb des Kulturbereiches statt. Zusammen mit den Wissenschaftsorganisationen haben sich die Bibliotheken für eine deutliche Ausweitung ihrer Möglichkeiten, Bücher digital in ihren Räumen anzubieten, eingesetzt. Die nunmehr getroffenen Regelungen gehen den Wissenschaftsorganisationen längst noch nicht weit genug. Sie haben wortreich vorgetragen, dass sie wünschen, jedes Buch beziehungsweise jeder Zeitschriftenaufsatz solle digital an ihrem Arbeitsplatz verfügbar sein, um mühselige Wege in die Bibliothek vermeiden zu können. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels wäre unter Umständen mit einer solchen Regelung einverstanden, wenn jeweils eine Lizenz erworben würde beziehungsweise die Bücher in mehrfacher Ausfertigung vorhanden wären.
So befürchtet er aber, dass ein Buch einmal gekauft, digitalisiert und dann vielfachst auf den Bildschirmen der Wissenschaftler gleichzeitig genutzt wird. Dieses würde einen erheblichen Einschnitt in den Markt bedeuten. Gleichzeitig muss aber auch bedacht werden, dass in den vergangenen Jahren die Universitäten zwar mit Hardware, also entsprechenden PCs, ausgestattet wurden, an die entsprechende Bereitstellung von Content aber nicht gedacht wurde. Ebenso darf in dieser Debatte nicht vergessen werden, dass die Preise insbesondere internationaler Fachzeitschriftenverlage in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen sind und die Anschaffungsetats der Wissenschaftsbibliotheken dem schon längst nicht mehr standhalten können. Der Deutsche Kulturrat hat bereits im Jahr 2001 auf den Missstand aufmerksam gemacht, dass Hochschulbibliotheken Abonnements von Fachzeitschriften kündigen müssen, da ihre Etats mit den steigenden Preisen nicht mithalten können. Die Sicherung des Wissenschaftsstandorts Deutschland muss über Exzellenzinitiativen hinausgehen. Sie muss gewährleisten, dass zumindest die notwendigen Arbeitsmittel für Wissenschaftler und Studierende vorhanden sind und die bestehenden urheberrechtlichen Standards erhalten bleiben. Damit gerade die kleineren und mittleren Wissenschaftsverlage die Chance haben, auf dem Markt zu bestehen. Es erweist sich nunmehr, dass die Debatte um den Wert kreativer Leistungen viel zu lange nur in Fachkreisen und verengt auf die Problematik der Raubkopien geführt wurde. Der Umgang mit Raubkopien wurde ebenfalls intensiv debattiert.
Um Jugendliche vor strafrechtlicher Verfolgung zu schützen, wird im Referentenentwurf vorgeschlagen, dass, wenn Urheberrechtsverletzungen nur in geringem Umfang vorgenommen werden, diese straffrei bleiben (Bagatellklausel). In der ebenfalls am 26. Januar 2006 stattfindenden Bundestagsdebatte zum Antrag der FDP-Fraktion „Die Modernisierung des Urheberrechts muss fortgesetzt werden“ haben fast alle Debattenredner sich gegen diese Regelung gewandt.
Als Beispiel wurde immer wieder angeführt, ob der Ladendiebstahl oder Diebstahl von Sachen für den eigenen Gebrauch künftig auch straffrei bleiben soll. Die Missachtung des geistigen Eigentums vor dem materiellen wurde in der Anhörung des Bundesministeriums der Justiz und in der Bundestagsdebatte scharf kritisiert. Einzig Jerzy Montag (Bündnis 90/Die Grünen) hielt die Bagatellklausel noch hoch, um zu verhindern, dass Kinder und Jugendliche strafrechtlich verfolgt werden. Nun ist es sicherlich richtig, Kinder und Jugendliche nicht zu kriminalisieren, dennoch darf von Eigentumsansprüchen gesetzlich nicht abgerückt werden. Zumal die so genannte Schulhofkriminalität von den Staatsanwaltschaften zumeist aus Kapazitätsgründen ohnehin nicht verfolgt wird. Es bleibt abzuwarten, ob die Bagatellklausel im Gesetzesentwurf noch enthalten ist oder hoffentlich spätestens in den Ausschussberatungen gekippt wird.