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Modulares Saalkonzept im Kraftwerk der Gefühle: Eine Idee nimmt konkrete Formen an. Fotos: Peter Haimerl Architektur
Modulares Saalkonzept im Kraftwerk der Gefühle: Eine Idee nimmt konkrete Formen an. Fotos: Peter Haimerl Architektur
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Eine Behauptung mit Inhalt füllen

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Das „Philharmonische Kraftwerk Aubing“ setzt einen neuen Impuls in der Münchner Konzertsaal-Diskussion
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In die Münchner Konzertsaal-Diskussion ist Bewegung gekommen: Zum einen beschloss das Bayerische Kabinett, dass bis Dezember eine Entscheidung zwischen den beiden in einem Gutachten favorisierten Standorten gefallen sein soll, zum anderen stellten unabhängig davon die Macher des Konzerthauses Blaibach zusammen mit der Allguth GmbH den Plan eines „Philharmonischen Kraftwerks Aubing“ vor.

Ein Tankstellenbetreiber als Konzerthaus-Ermöglicher? Was unwahrscheinlich klingt, könnte schon im Herbst 2019 Realität sein. Denn die Allguth-Geschäftsführer Christian und Michael Amberger haben sich mit dem Sänger und Kulturmanager Thomas E. Bauer und dem Architekten Peter Haimerl zwei Akteure mit ins Boot geholt, die schon mit dem Konzerthaus in Blaibach bewiesen haben, was man mit einer Vision und einem ordentlichen Dickschädel zu Wege bringen kann.

Der Kontakt kam zustande, als die Gebrüder Amberger sich Gedanken über eine Nutzung des Aubinger Kraftwerks machten. Dieses und das umliegende Grundstück im Münchner Westen hatten sie ursprünglich als neuen Firmensitz auserkoren, was dann fallen gelassen wurde. Der eigentlich für ein Kulturzentrum ausgeschriebene Architektenwettbewerb rief Haimerl und Bauer auf den Plan, die mit ihrer Idee eines „Philharmonischen Kraftwerks“ weit darüber hinaus gingen.

Architekt Peter Haimerl war von dem 1937 errichteten, von der Bahn nach dem Krieg als Heizkraftwerk genutzten Bau sofort begeistert: „Solche Industriedenkmäler gibt es in München kaum noch.“ Überdies habe es die Schuhschachtel-Proportionen, die für einen akustisch idealen Konzertsaal – ähnlich dem vielgepriesenen in Luzern – wie geschaffen seien. Die entsprechende Eignung hat man sich von den Akustik-Planern Müller BBM schon bestätigen lassen. Für Haimerl ist das Kraftwerk aber auch eine Alternative zu Hochglanz-Häusern à la Elbphilharmonie. Er stellt sich eine Art „Tate Modern“ der Musik vor, die mit experimentellen Veranstaltungsformen auch ein neues Publikum anspricht.

„Dieses Gebäude ist eine Behauptung“, so Haimerl, „die nun mit Inhalt gefüllt werden muss.“ Er sieht in dem zwar verkehrstechnisch gut angebundenen, aber auf den ersten Blick unattraktiven Standort eine Chance zur Stadtentwicklung, denn im Gegensatz zum dicht besiedelten Osten der Stadt habe der Westen Münchens großen Nachholbedarf. Ein Bevölkerungszuwachs von 200.000 Einwohnern bis 2030 werde prognostiziert. Haimerl verweist auf das Vorbild Paris, wo die neue Philharmonie an der Peripherie in kürzester Zeit große Anziehungskraft entwickelt habe.

Neben dem modular veränderbaren und somit für viele Musikstile und Konzertformate nutzbaren Hauptsaal im Kraftwerk (1.800 Plätze) sehen Haimerls Planungen weitere Bauten vor, die auch einen Kammermusiksaal mit 400 Plätzen, einen Gastronomiebereich und weitere Räumlichkeiten beinhalten. Orientierungsmaßstab hierfür waren die Bedürfnisse der Münchner Philharmoniker, die während der Sanierung des Gasteig ab 2020 eine Interimsspielstätte benötigen und, so Thomas Bauer, schon „hohe Sympathie“ mit der Idee signalisiert hätten – inklusive eines Besuchs von Chefdirigent Valery Gergiev auf dem Gelände.

Die städtischen Philharmoniker wären zunächst die Hauptmieter und damit ein wichtiger Faktor für die Refinanzierung der Baukosten, die von den privaten Investoren auf maximal 100 Millionen geschätzt werden. Doch auch andere „heimatlose“ Klangkörper könnte das Kraftwerk beherbergen, deutet Bauer an, und verweist unter anderem auf das Münchner Kammerorchester und die Alte-Musik-Szene.

Thomas Bauer sieht im Philharmonischen Kraftwerk neben den musikalisch-künstlerischen Potenzialen weitere Chancen: In einer noch genauer zu definierenden Betreiberkonstruktion könnten die Ambergers und Bauer gemeinsam mit städtischen Akteuren, etwa der Gasteig GmbH, neue Modelle urbaner Kulturzusammenarbeit austesten. Zum anderen könne ein Stück Zeitdruck aus der aktuellen Diskussion zu einem neuen Münchner Konzertsaal genommen werden. Denn, so Bauer, das Gutachten über die fünf Standorte, das am Tag nach der Kraftwerks-Präsentation im Kabinett beraten wurde, bevorzuge den Standort Ostbahnhof („Pfanni-Gelände“) unter anderem wohl deswegen, weil er relativ zeitnah – ein Termin Ende 2021 steht im Raum – zu realisieren wäre.

Dennoch zeigte sich Thomas Bauer nach der Kabinetts-Entscheidung, zügig mit den Eigentümern des Werksviertels am Ostbahnhof und der auf dem zweiten Platz des Gutachtens gelandeten Paketposthalle zu verhandeln, nicht überrascht oder enttäuscht. „Für uns hat sich im Grunde nichts geändert. Es war nie unsere Absicht, in letzter Minute auf diese Entscheidung Einfluss zu nehmen. Wir gehörten ja gar nicht zum Kreis der begutachteten Standorte. Unsere Aufgabe ist es nun, mit den Münchner Philharmonikern weiterzuverhandeln.“ Für den Fall, dass dies zu keinem Ergebnis führt, hatte Christian Amberger schon bei der Präsentation modifizierte Konzepte in Aussicht gestellt, etwas in Form eines Musicaltheaters.

So oder so stehen noch viele Fragezeichen hinter der – von Horst Seehofer offenbar mit Blick auf seine 2018 endende Amtszeit nunmehr beschleunigten – Standortfindung. Welche finanziellen Vorstellungen haben die Privateigentümer? Ist der Saal wirklich bis Ende 2021 realisiert? Wie funktioniert künftig die gemeinsame Nutzung durch Philharmoniker und BR-Symphoniker? Gerade weil sich das Aubinger Kraftwerksprojekt ein Stück weit jenseits der komplizierten Gemengelage aus Stadt, Freistaat und Bayerischem Rundfunk positioniert, könnte es noch ein interessanter Faktor in der Konzertsaalfrage werden, von der Rolle im Münchner Musikleben ganz zu schweigen. Thomas Bauer strotzt jedenfalls wieder einmal vor Zuversicht. Das Beispiel Blaibach zeige, was möglich sei – „wenn die Energie stimmt.“

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