Die Gründung der Musikfabrik verlief anders als die der meisten internationalen Spitzenformationen für neue Musik. Im Gegensatz zum Ensemble Modern oder Klangforum Wien wurde das Ensemble nicht von Musikerinnen und Musikern gegründet. Die Initiative ging vom damaligen Ministerialrat Dieter Starzinger im NRW-Kultusministerium aus, der zunächst der Folkwang-Hochschule Essen zu einem Ensemble verhelfen wollte, dann aber die dafür eingeplanten Finanzmittel so aufstockte, dass man ein richtiges Landesensemble für neue Musik mit Sitz in Düsseldorf zusammenstellen konnte. Unter Schirmherrschaft von Ministerpräsident Johannes Rau gab die Formation dann 1991 als „musikFabrik“ ihr Debüt bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik.
Eine Stiftung geht stiften
Über Programm, Personal, Management und Finanzen entschieden zunächst ein Vorstand und der feste künstlerische Leiter Johannes Kalitzke. Die Musikerinnen und Musiker selbst hatten kein Mitspracherecht. Erst die Umstrukturierung 1997 übertrug den sechzehn festen Ensemblemitgliedern und einem aus ihren Reihen für je drei Jahre gewählten dreiköpfigen Vorstand die künstlerische Leitung und projektweise Auswahl der Dirigierenden. 2003 zog das Ensemble nach Köln, um sich mit den dortigen Szenen, Veranstaltern und der Hochschule für Musik und Tanz besser zu vernetzen und zugleich seinen Aktionsradius international zu erweitern. Zuerst in einem Industriegebiet in Köln-Ehrenfeld untergebracht, übersiedelte das Ensemble 2008 in die umgebauten Räume eines ehemaligen VIVA-Fernsehstudios im innerstädtischen MediaPark, wo neben den Proben seitdem auch zahllose öffentliche Veranstaltungen stattfinden.
Wichtig für die Entwicklung des Ensembles war vor allem die eigene Reihe „Musikfabrik im WDR“ mit vier bis fünf Konzerten pro Spielzeit im großen Sendesaal des Kölner Funkhauses. Die Konzerte präsentierten jeweils die Uraufführung eines Kompositionsauftrags und wurden schnell zum Szenetreff. Die Kooperation mit dem Sender hatte nur den Haken, dass sie direkt mit der WDR-Intendanz vereinbart wurde und sich die Fachredakteure für neue Musik Harry Vogt und Frank Hilberg übergangen fühlten. Daher wurden zwar sämtliche Konzerte mitgeschnitten – was im Sendessaal obligatorisch ist –, aber kein einziges gesendet und das Ensemble auch nie wieder zu den von Vogt geleiteten Wittener Tagen eingeladen. Später brachte das Ensemble seine vielen Uraufführungen und Ersteinspielungen dann in einer eigenen CD-Reihe heraus.
Finanziert wurde „Musikfabrik im WDR“ zwanzig Jahren lang von der Kunststiftung NRW. Im Programmheft zum 90. Konzert entnahm man nun jedoch dem kurzen Schreiben „Raum für neue Anfänge“ von Generalsekretärin Andrea Firmenich und Präsident Thomas Sternberg, die Kunststiftung verstehe sich „nicht nur als Unterstützerin, sondern vor allem als Impulsgeberin und Vermittlerin. Als solche haben wir einen Neuanfang der Musikfabrik mit einer neuen Partnerschaft angeregt“. Im Klartext: Die Stiftung lobt das Ensemble zu einer anderen Institution weg und geht selber „stiften“, indem sie die Dauerförderung von jährlich 250.000 Euro für die Kölner Konzertreihe streicht und deren neue Kooperation mit der Akademie für Theater und Digitalität in Dortmund nur noch mit 80.000 Euro finanziert.
Thomas Fichter war von 2001 bis zu seiner Übersiedlung nach New York 2004 Manager der Musikfabrik und übernahm 2017 erneut die Intendanz. Er und das Ensemble sowie der WDR und dessen neuer Redakteur Patrick Hahn wollen die Kölner Konzertreihe unbedingt fortsetzen, vorläufig aus eigener Kraft und falls nötig unter Verzicht auf Kompositionsaufträge. Immerhin ist und bleibt die Musikfabrik dank weiterlaufender Betriebskostenzuschüsse von Land und Stadt Köln das am besten geförderte Ensemble in NRW, weit vor den ebenfalls akut von Einsparungen betroffenen kleineren Ensembles E-MEX, ART, TRIBE, notabu, Garage, Horizont, hand werk, electronic ID, Kommas, Repercussion, Kollektiv3:6Koeln, S201, Asasello Quartett, Fukio Quartett, Cologne Guitar Quartet, Trio Abstrakt… Dauerhaft aufrechterhalten lässt sich „Musikfabrik im WDR“ aber nur mit neuer Förderung. Daher ist jetzt wieder das Land gefordert, von dem einst die Initiative zur Ensemblegründung ausging und das nun die Gelegenheit hat, sich neben allen staatlichen Theatern, Orchestern, Museen, Archiven, Kulturbauten und Denkmälern vollumfänglich zu seinem Landesensemble für neue Musik zu bekennen.
Die Kunststiftung NRW steht mit ihrer Neuausrichtung nicht alleine da. Auch andere öffentliche Förderer und Privatstiftungen ändern seit einiger Zeit ihr Grundverständnis. Man will nicht mehr nur Projekte finanzieren, die sich Musikschaffende und Veranstalter ausgedacht haben, sondern selbst kuratorisch aktiv werden, Initiativen entwickeln, eigene Akzente setzen, neue Kooperationen stiften, Netzwerkbildungen anregen, Synergien zwischen Einrichtungen schaffen und auch eigene Programme veranstalten, wie etwa die „räsonanz – Stifterkonzerte“ der Ernst von Siemens-Musikstiftung in Kooperation mit dem Lucerne Festival und der musica viva des Bayerischen Rundfunks. Aktives Mitgestalten von Stiftungen kann gut sein, verschiebt aber auch künstlerische Entscheidungen von den Musikschaffenden zu den Geldbeschaffenden.
90. Reihenkonzert
Als gälte es zum letzten Mal an Ort und Stelle im WDR-Sendesaal den magischen Kreis zu markieren, wanderte zu Anfang von Nicolaus A. Hubers „Seifenoper (OmU)“ Schlagzeuger Dirk Rothbrust über die Bühne, um verschiedene Gegenstände anzuschlagen und das versteinert dasitzende Ensemble durch Berühren der Instrumente wie von einem bösen Bann zu erlösen. Erst dann konnten die Musikerinnen und Musiker stöhnen, lachen, sehnsuchtsvoll rufen, keuchen und musiktheatrale Gesten vollführen: suggestive Crescendi, schreiende Akkorde, fauchendes Tamtam, wildes Schlagzeug-Donnerwetter, bedrohliche Bassschritte. Schließlich trat das gesamte Ensemble an die Bühnenrampe, um rhythmisch zu stampfen, zu schnalzen und verschiedene Posen und Grimassen zu zeigen.
Agata Zubels „Chamber Piano Concerto“ mit Benjamin Kobler am Klavier wechselte formal und expressiv stimmig zwischen aufgekratztem Konzertieren und letaler Ermattung. Katharina Rosenbergers uraufgeführtes „Wälzung“ erdrückte die beiden E-Violinen von Hannah Weirich und Sara Cubarsi mit allzu zäher Klanglava. Wie Huber, der im Dezember seinen 85. Geburtstag feiert, thematisiert sein ehemaliger Kompositionsschüler Gordon Kampe Musik mit Musik. Seine „Schnulzen“ überfallen das Publikum schreiend laut, dicht und dissonant. Die Musik demonstriert das Gegenteil dessen, was ihr Titel erwarten lässt und ein ruhiger Mittelteil dann überraschend doch einlöst. Plötzlich spielt der Tubist eine kinderliedartige Melodie und ertönt über Lautsprecher das „Bajazzolied“. Die von Brad Lubman ebenso impulsiv wie präzise geleitete Musikfabrik hetzt sich anschließend förmlich zu Tode, als gelte es in panischem Schrecken vor den „Schnulzen“ zu fliehen.
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