Von Jahr zu Jahr demonstrieren immer mehr Jugendliche ihre Freude und ihren Spaß am gemeinsamen Singen und Musi-zieren und erfahren, erproben und erleben die der Musik innewohnende gemeinschaftsbildende Kraft. Beispiele reichen von Music-Camps an finnischen Seen bis zur Costa Brava.
10.000, 12.000, 14.000 Teilnehmer, jedes Jahr mehr, zählt die “Jugend musiziert“-Statistik, von denen sich ein Zehntel für das gerade zu Ende gegangene Finale in Deutschlands alter neuer Hauptstadt qualifiziert haben. Ähnliches Crescendo erlebt „Musik der Jugend“, Österreichs gleichartiger Wettbewerb, der diesmal im vorarlbergischen Feldkirch ausgetragen wurde. In diesen Wochen versammeln sich in Londons South Bank einige tausend junge Menschen zum traditionellen Competitive Festival Music for Youth, Auswahl der besten vokalen und instrumentalen Ensembles vorangegangener Regionalfestivals. Von Jahr zu Jahr demonstrieren immer mehr Jugendliche ihre Freude und ihren Spaß am gemeinsamen Singen und Musi-zieren und erfahren, erproben und erleben die der Musik innewohnende gemeinschaftsbildende Kraft. Beispiele reichen von Music-Camps an finnischen Seen bis zur Costa Brava. Aber für die Wenigsten geht es darum, Musik zum Beruf machen zu wollen (obwohl “Jugend musiziert“ einst vordringlich entstanden war aus der Nachkriegssorge um fehlenden qualifizierten künstlerischen Nachwuchs). Natürlich brauchen wir beides: musikalisch Höchstbegabte mit ihren Chancen zum Lebensberuf Musik, aber noch mehr braucht kulturelles Leben die gesunde Basis, nämlich jene, denen im beruflichen und familiären Stress Musik und Musizieren die wichtigste Nebensache ist.Vorspiel: Grand Amateur Gérard Békerman
Typisch sein Doppelstudium: Absolvent des Conservatoire superieur zu Paris, Studium der Wirtschaftswissenschaften, heute Uni-Professor und Experte für Währungswesen. Die Musik rückte so ins zweite Feld, aber nicht als Nebensache. Für die vielen, die gleich ihm hadern im Doppler-Effekt zweier Berufe, baute er
eine Brücke: Seine Idee des „Concours des grands amateurs de piano“ hat im Laufe von über zehn Jahren weltweiten Zuspruch gefunden. Seine Zielgruppe sind jene Doppelbegabungen, die neben einem „anständigen“ Beruf Tastenfanatiker geblieben oder geworden sind. Ihnen verschaffte er ein Podium, in dem er sie – alle Jahre wieder – zum Vorspiel vor erlauchter Pianistenjury, vor Medienkritik und einbezogenem Publikumsurteil nach Paris einlud. Das nächste Mal ist schon angekündigt, vom 24. bis 28. Januar 2001, anzumelden bis 1. Oktober.
Abweichend von allen anderen dem Musikernachwuchs gewidmeten internationalen Klavierwettbewerben ist dabei die nach oben offene Altersskala bemerkenswert, also ein Angebot für Piano-engagierte Erwachsene vom Uni-Student bis zum Senior. Sie alle dürfen ein frei gewähltes Programm einbringen. Kein Wunder, dass Békermann diese bewährte Idee der Amateur-Plattform in Lizenz inzwischen nach Amerika und Japan vergeben konnte. Deutsche Teilnehmer waren in Paris bislang noch nicht so zahlreich vertreten (in diesem Jahre sieben Anmeldungen und noch weniger aus Österreich und Schweiz). Deshalb will eine bedeutende Klavierfabrik Ähnliches nun hierzulande testen und populär machen
Beispiel: Matthias Fischer am Medizinerklavier
Vor ein paar Jahren Preisträger “Jugend musiziert“, dann keineswegs Musik-, sondern Medizin-Studium. Mitten in der Promotionsarbeit lockt es ihn erneut. Nicht als Musiker, sondern als Amateur: Erfolgreich beim studentischen Wettbewerb in Utrecht. Danach erneut Mut und sogar erster Preisträger im besagten internationalen Pianisten-Wettbewerb erwachsener Amateure in Paris unter 100 anderen aus aller Welt, die als Techniker, Mediziner, Betriebswirte, Diplomaten, Taxifahrer, Informatiker, Philosophen ihr Hobby Klavierspiel fast professionell betreiben, die ihre musikalische Begabung nutzen, weiterentwickeln, was sie aus 15 oder 20 Jahren Klavierstunden erfahren durften und als Anregung mitnehmen konnten. Wir fragten Matthias Fischer. Er teilte sich in Paris den ersten Platz mit dem japanischen Grafiker Masato Tani: Ihn lockte es einfach, sich wieder selbst zu beweisen und das (bei “Jugend musiziert“ gelernte) Nervenspiel durchzustehen.
Wieder unter Gleichartigen, diesmal unter Klavierliebhabern, die ihr Geld nicht im Risiko der Musik verdienen wollten, jedoch ihre pianistische Leidenschaft auch nicht vernachlässigen konnten. Da hatte Fischer gute Karten. Einmal die “Jugend musiziert“-Erfahrung, zum anderen, wenn Stundenplan und Professor es erlauben, lockte es ihn in jeder freien Minute in den Hörsaal der medizinischen Fakultät, wo ein prächtiger Flügel steht. Die da zum Finalspiel im grand auditorium von Radio France antraten, zeigten keine Eitelkeit, keine Allüren verkannter Genies. Sie beweisen sich als Menschen, deren Klavierspiel, ob Virtuoses von Chopin und Rachmaninoff oder die persönliche Interpretation von Mozart oder Schumann, sich als Herzenssache darstellt.
Man kann ihnen abnehmen, dass sie auch als Musiker ihren Weg gegangen wären, hätte nicht die eigene oder elterliche Vorsorge und Vernunft zu einer anderen Berufsausbildung geraten. Sie sind auch die emsigsten Konzertgänger, die keinen Klavierabend auslassen, die alle Einspielungen der „Great Pianists of the 20th Century“ nicht nur kennen, sondern gewissenhaft die Interpretationen vergleichen. Die mit ganz anderen, mit neugierigen Ohren hören, weil sie selbst jeden Takt kennen und zu Hause nachvollziehen. Das sind genau jene Konzerthörer, wie sie sich Profikünstler wünschen, weil ihr Spiel nicht vorbeirauscht, sondern mitvollzogen, kritisch bewertet und mit Sachverstand gewürdigt wird. Das macht den Amateurmusiker aus, den Sänger im Kirchenchor und Lehrergesangsverein, die Spieler in der Wilden Gungl ebenso wie die unbekannten Amateurquartettler von Ärzten und Anwälten, denen die wöchentliche Probe unantastbar ist. Alle diese Amateurspieler bringen mitunter mehr Zuneigung, Wissen und Einsatz für ihre Musik mit, als mancher gelangweilte Musiker im 30. Berufsjahr am dritten Pult der zweiten Geigen, als mancher Klavierlehrer, der sich lebenslang abmüht und doch keinen Teilnehmer zu “Jugend musiziert“ bringt... So rechtfertigt sich “Jugend musiziert“ in doppelter Hinsicht, weil es einmal Jahr für Jahr seine Spitzen feiern kann, andererseits aber, weil es die Mehrzahl seiner Wettbewerbskandidaten zu lebenslangen Musikamateuren entlässt und damit beiträgt, sie zu interessierten Musikhörern und Konzertbesuchern zu machen.
Les Musicien d’Europe – Ton, Takt und good will
Im elsässischen Guebwiller trafen sich zum x-ten Male Les Musiciens d’Europe, um Musik zu machen, gleich Amateuren, einfach weil es ihnen Spaß macht, gleich erfahrenen Profimusikern, betrachtet man Qualität, Ernsthaftigkeit und Sachverstand der Proben und schließlich dann das konzertante Ergebnis (in der wundersamen Akustik der ehemaligen Dominikanerkiche).
Vom Student bis zum Rentner, von der Hausfrau bis zum Musikschuldirektor und erfahrenen Sinfoniker, also Profis, Semi-Profis und einige Semi-Amateure, sie sitzen zu Füßen des Dirigenten, nehmen sich ihre Freizeit, um nach Lust und Laune Musik zu machen.
Die Basis ist Freiwilligkeit und Freundschaft
Sie kommen auf eigene Kosten von Flandern bis Freiburg und Fribourg, von rechts und links des Rheins, zahlen während der Probenwoche selbstredend für ihr Ibis-Hotel und fragen nicht nach Gage. Alles aus freien Stücken, unbeschwert von Verträgen, obwohl das selbstgewählte Board des Trägervereins seine Arbeit ernst nimmt. Es ist zuständig für Proben- und Konzertplanung, sucht Förderer für die Basiskosten und arrangiert sich als Residenzorchester mit dem Musikzentrum im ehmaligen Dominikanerkloster. Es ist Gesprächspartner für den Bürgermeister von Guebwiller, um zusammen mit dem belgischen Charleroi und weiteren Kommunen oder Regionen oder gar mit der EU eine Art Patenschaft als Hilfe zur Selbsthilfe zu erlangen; denn dieses good-will-Orchester mit seinem anspruchs-, aber verheißungsvollen Namen „Les Musiciens d’Europe“ will sich öffnen, expandieren, Beispiel geben für selbstloses Tun.
Jeder, der will, ist zur Mitwirkung eingeladen auf der Basis Freiwilligkeit, freundschaftlicher Verbundenheit. Einfach gemeinsam anspruchsvoll Musik machen, Selbstverwirklichung finden, nicht an Vergütungsregelungen denken, sondern Selbstdisziplin üben. Eine Haltung wie diese ist für Amateure typisch, zugleich keine schlechte Tonart für gemeinsames Handeln in europäischer Verbundenheit. Und auch die Profiszene kann sich hier etwas abgucken.