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Zur Situation des Deutschen Musikrates erschien im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" unter dem Titel "Unfähig" am 31. 10. ein Kommentar von Gerhard Rohde - auch Chefredakteur der Neuen Musikzeitung - der unter anderem die Probleme des Deutschen Musikrates mit den ministerialen Geldgebern beleuchtet:
Wenn in unserem Land sogar schon die Banken wanken, warum dann nicht auch der Deutsche Musikrat. Falls nicht noch ein Wunder geschieht, muss der neue Generalsekretär Thomas Rietschel am 9. November 2002 den peinlichen Gang zum Konkursgericht antreten und melden, dass der Deutsche Musikrat zahlungsunfähig ist. Es fehlen zwar nicht, wie in anderen Fällen im ehemaligen Wirtschaftswunderland Deutschland, Milliarden. Doch können einen auch fünfhunderttausend (500 000) Euro in Bedrängnis bringen, vor allem dann, wenn die finanziellen Praktiken einer Institution von Amts wegen pingelig kontrolliert werden. Was ist geschehen?Der Deutsche Musikrat, mit Sitz in Bonn und im Jahr 1953 gegründet, ist ein nach Vereinsrecht organisierter Zusammenschluss von rund einhundert Bundesverbänden (sowie den Landesmusikräten), die alle Bereiche des deutschen Musiklebens repräsentieren. Für seine Arbeit benötigt der Musikrat natürlich auch Geld. Deshalb wird für das jeweils anstehende Geschäftsjahr ein Wirtschaftsplan erstellt (derzeit rund zehn Millionen Euro). Zuständig für die Finanzierung sind das Bundesjugendministerium, der Bundeskulturminister sowie die Kulturstiftung der Länder. Nach den Regeln der Fehlbedarfsfinanzierung stehen die genannten drei Geldgeber zunächst für die gesamte Summe von zehn Millionen ein. Wenn jedoch der Musikrat eigene Einnahmen erzielt – durch den Verkauf von Eintrittskarten für die von ihm veranstalteten Konzerte, durch Zuwendungen von Sponsoren, durch den Verkauf von Souvenirs etc. - , dann werden diese Beträge von der öffentlichen Subvention abgezogen. Das sogenannte Zuwendungsrecht sieht für diese Gegenrechnungen äußerst strenge Kontrollen vor, vor allem müssen die dem Musikrat zugewendeten Beträge umgehend noch im laufenden Geschäftsjahr gemeldet werden.
Dabei scheint es in der Vergangenheit, die für diesen Fall bis 1995 zurückreicht, nicht immer mit der nötigen Sorgfalt zugegangen zu sein. Es gab auch begreifliche Fehlleistungen, wenn zum Beispiel ein größerer Sponsorenbetrag für ein bestimmtes Projekt wegen Verschiebung eben dieses Projekts ohne Anmeldung oder Rücksprache auf einem Extrakonto „gebunkert“ wurde. Diese Zuwendung hätte auch sofort annonciert werden müssen, damit eine entsprechende Korrektur der öffentlichen Zuschüsse hätte erfolgen können. Weil das nicht geschehen ist, fordert der Staat nunmehr dieses Geld zurück.
Man erkennt bei allem aber auch, dass eine bürokratisch gehandhabte Kameralistik nicht nur Ordnung schafft, sondern zugleich kontraproduktiven Widersinn: Warum soll eigentlich der Musikrat sich um eigene Einnahmen bemühen, wenn ihm diese gleich wieder von der Subventionssumme abgezogen werden? Es wäre dringend an der Zeit, die gesamte organisatorische und rechtliche Struktur des Deutschen Musikrates neu zu ordnen, ihm eine selbständiger funktionierende Dispositionsfreiheit in finanziellen Belangen zu geben, etwa in der Rechtsform einer GmbH., mit einem alleinverantwortlichen Geschäftsführer und einem qualifizierten Aufsichtsrat, in den selbstverständlich auch die Vertreter des Bundes und der Länderkulturstiftung gehörten. Zur „Freiheit“ müsste dann aber auch das eigene Risiko kommen, und Thomas Rietschel, der erst seit drei Monaten im Amt ist und energisch an einer neuen Organisationsform für den Musikrat arbeitet, würde im Interesse dieser „Freiheit“ sogar auf einem bestimmten Prozentsatz der öffentlichen Zuschüsse verzichten und das Wagnis eingehen, den Differenzbetrag selbst zu erwirtschaften. Übersteigen die eigenen Einnahmen dann diesen Differenzbetrag, käme das allein dem Musikrat zugute. Das hört sich alles vernünftig an und entspricht auch dem veränderten politischen Denken eines maßvollen Subventionsabbaus, hin zu größerer Eigenverantwortung.
Statt den Generalsekretär zum Konkursrichter gehen zu lassen, sollten sich alle zuständigen Beteiligten zu einer Gesprächsrunde über die Zukunft des Deutschen Musikrates, vor allem über dessen Rechtsform und effektivere Finanzierungsmodalitäten zusammenfinden. Das Defizit ist doch nun wahrlich nicht so riesig, als dass sich bei leidlich gutem Willen nicht ein Ausgleich finden ließe.
Sollte dieser Wille jedoch auf die Zerschlagung des Deutschen Musikrates gerichtet werden , dann darf man das Ergebnis schlichtweg als Katastrophe nicht allein für das deutsche Musikleben, sondern für die Kultur in diesem Land überhaupt betrachten. In fünf Jahrzehnten hat der Musikrat gemeinsam mit zahlreichen anderen Musikverbänden, die unter seinem Dach agieren, ein weltweit bewundertes Förderungssystem für die Musik, für den musikalischen Nachwuchs, für die Musikpädagogik aufgebaut. Man braucht nur Stichworte aufzuzählen, um Produktivität und Spannweite dieses Einsatzes für die Musik zu umschreiben: die Wettbewerbe „Jugend musiziert“ und „Jugend jazzt“, den „Deutschen Chorwettbewerb“ und den „Deutschen Orchesterwettbewerb“, den „Deutschen Musikwettbewerb“, die „Konzerte junger Künstler“, das „Forum junger Dirigenten“, das Bundesjugendorchester, das Bundesjazzorchester, die Bundesauswahl „Konzerte junger Künstler“, von der viele Kulturorchester in Deutschland in ihren Konzertreihen profitieren, die „Edition „Zeitgenössischer Musik“, die vielen jungen Komponisten zu Aufmerksamkeit und erstem Erfolg verhalf, die Edition „Musik in Deutschland 1950 – 2000“, die auf 150 CDs das Schaffen der Komponisten in Ost- und Westdeutschland dokumentiert. Das alles und noch anderes kann doch nicht einem Defizit von fünfhunderttausend Euro geopfert werden. Und noch eine anderen Zahl existiert, die vor allem Politiker, die gern wiedergewählt werden wollen, interessieren dürfte: Die Mitgliederzahl der im Musikrat vereinigten Musikverbände, beläuft sich auf acht (8!) Millionen. Nur die Gewerkschaften und der ADAC haben mehr.
Gerhard Rohde