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Der Deutsche Kulturrat hat am 26.09.2007 den ehemaligen Intendanten des Westdeutschen Rundfunks und heutigen Präsidenten der European Broadcasting Union und Vorsitzenden Geschäftsführer der RUHR.2010 GmbH Fritz Pleitgen mit dem Kulturgroschen 2007 ausgezeichnet. In seiner Dankesrede forderte Fritz Pleitgen, mehr Kultur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Er sagte: "Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nicht nur als eine Bestätigung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk anzusehen, sondern auch als eine Ermutigung, in der Prime Time noch mehr auf anspruchsvolle Programme zu setzen als bisher, wobei besonders die Kultur ins Blickfeld rückt."
Es folgt die Rede im Wortlaut:
Fritz Pleitgen
Rede vor dem Deutschen Kulturrat
Zur Verleihung des „Kulturgroschens“
Am 26. September 2007 in Berlin
Sehr geehrter Herr Staatsminister Neumann,
lieber Herr Professor Fuchs
verehrte Gäste,
ich habe mich sehr zu bedanken – beim Deutschen Kulturrat für die hohe Auszeichnung, bei Herrn Staatsminister Neumann für die wunderbare Laudatio und bei Ihnen, verehrte Gäste, für ihre Geduld, all die lobenden Worte in Solidarität und Würde ertragen zu haben.
Was ich heute erlebe, bestätigt meine bisherige Erfahrung: Altern kann schön sein. Je mehr ich in die Jahre komme, desto ehrenvoller werden die Preise und desto freundlicher und nachsichtiger die Laudatoren. Ich darf mich ebenfalls im Namen des kürzlich pensionierten Intendanten des Westdeutschen Rundfunks bedanken, der ja – wie den Erklärungen des heutigen Tages zu entnehmen ist – einen gewissen Anteil zu dieser Ehrung beigetragen hat. Auch wenn ich jetzt Manager der Kulturhauptstadt Europas 2010 bin, fühle ich mich autorisiert, in seinem Namen und in seinem Geiste weiter zu reden.
Das Erfreulichste an einer Allianz ist der gemeinsam errungene Erfolg. Besonders schön, wenn dieser Erfolg nicht zu erwarten war und von international grundsätzlicher Bedeutung ist. Der Deutsche Kulturrat und der Westdeutsche Rundfunk für die ARD haben das geschafft. Sie waren wesentlich an der Schaffung der Unesco-Konvention zur kulturellen Vielfalt beteiligt, was ihre Partnerschaft zu einer besonderen macht.
Die Konvention entstand als ein Traum zur Abwehr gegen ein weltweites Handelsregime, das die kulturellen Identitäten der Weltregionen zu überrollen drohte, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk inklusive. Die drohende Liberalisierungswalze schien nicht auszuhalten zu sein, zumal sie mit Entschlossenheit von den USA gesteuert wurde. Doch es gelang, ein globales Bündnis dagegen aufzubauen, wobei sich Verena Wiedemann, damals im ARD-Verbindungsbüro Brüssel, ewige Verdienste erwarb. Nun können sich internationale Handelsabkommen nicht über die Kultur hinwegsetzen und der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat obendrein eine zweite internationale Absicherung im Wert des legendären Amsterdamer Protokolls erhalten.
Ein Lob gibt das andere. Dabei erlaube ich mir, weiter vor der eigenen Tür zu kehren, denn zu loben habe ich – strikt nach Faktenlage – meinen früheren Sender, den Westdeutschen Rundfunk. Bei ihm wird Kultur nach wie vor groß geschrieben, ganz im Sinne des Programmauftrages. Das bedarf keiner Anweisung von oben, erst recht keines Drucks des Intendanten. Das steckt im Haus von Anfang an, seit Böll und Grass, Stockhausen und Henze am Wallraffplatz ein- und ausgingen.
An dieser Einstellung hat sich bei heute nichts geändert, mit schönem Ergebnis. Der WDR ist im Land Nordrhein-Westfalen der stärkste Kulturvermittler und Kulturentwickler, ob in der Musik oder in der Literatur. Die Programme im Hörfunk und WDR-Fernsehen, neuerdings auch im Internet, legen davon Zeugnis ab. Die Hemmungslosigkeit, mit der sich der Kultur hingegeben wird, zeigt sich beim Lese-Marathon, bei dem 24 Stunden non stop Belletristik aus aller Welt vorgetragen wird.
Ähnliches dürfte auch für andere Sender der ARD in ihren jeweiligen Ländern gelten. Hier zahlt sich das Gebührenprivileg für die Gesellschaft bestens aus. Nun ist mir nicht entgangen, dass von der ARD mehr Engagement für die Kultur gefordert wird. Die Kritik richtet sich gegen das Erste, wobei im weit gefassten Goethe`schen Kulturverständnis auch in diesem Programm viel Gutes zu finden ist.
Am Sonntagabend haben sich der Politik-Talk und die Tagesthemen als Bereicherung erwiesen. Unglücklicherweise ist dadurch das attraktive Kultur-Magazin „Titel, Thesen, Temperamente“ in den sehr späten Abend zurückgedrängt worden. Ich will mich nicht damit herausreden, dass ich seinerzeit dagegen war, aber man könnte so meine ich – die Kultur durchaus offensiver im Flaggschiff-Programm des Ersten vertreten. Die Konkurrenzlage lässt das zu, nachdem die kommerziellen Anbieter mit dem Investoren-Blick auf die Rendite nach der Qualität nun auch noch die Quote sausen lassen. Eine „Prager Botschaft“ macht da noch keinen Kultur-Sommer.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nicht nur als eine Bestätigung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk anzusehen, sondern auch als eine Ermutigung, in der Prime Time noch mehr auf anspruchsvolle Programme zu setzen als bisher, wobei besonders die Kultur ins Blickfeld rückt.
Wer auf Kultur setzt, geht kein Risiko ein, denn Kultur ist stark im Kommen. Die Europäische Union wurde als Montanunion, als Wirtschaftsgemeinschaft gegründet. Von der Kultur keine Spur, auch nicht 200 in den Lissabonner Zielen, mit deren Hilfe die EU zur wettbewerbsstärksten Weltregion aufsteigen will.
Doch nun hat die Europäische Union die Kultur als Standortfaktor entdeckt. „Cultur comes before economy“, erklärte EU-Präsident Juan Manuel Barroso, um in einer anderen Rede hinzuzufügen: „Europe hinges on culture“. Jean Monnet, einer der Väter der Europäischen Union, hatte dies schon vorher erkannt. „Wenn ich es noch einmal zu tun hätte, würde ich Europa mit der Kultur beginnen“, stellt er fest.
Nun habe ich das Glück, die Kulturhauptstadt 2010 managen zu dürfen. Getreu dem Wort des Kultursammlers Ernst-Karl Osthaus „Kultur durch Wandel – Wandel durch Kultur“ wollen wir das Image des Ruhrgebiets verändern. Es ist nicht, wie es immer noch im In- und vor allem im Ausland geglaubt wird, das Abbild einer niedergegangenen Schwerindustrie mit abgewrackten Städten und verseuchter Natur.
Wir werden das Ruhrgebiet darstellen, wie es ist und immer mehr wird: eine der reichsten Kulturregionen Europas mit innovativer Wirtschaft und vitaler Wissenschaft. Im Ruhrgebiet leben 5,3 Millionen Menschen, sie repräsentieren 140 Nationalitäten. Integration ist deshalb für uns ein zentrales Thema, das wir mit den Mitteln der Kunst und Wissenschaft angehen. Auf die Kultur, so meinen wir, sollte auch die Integrationsinitiative der Bundesregierung setzen.
Die Kulturhauptstadt Europas ist keine regionale Sache, sondern ein Auftritt für ganz Deutschland. Der „Kulturgroschen“, die Auszeichnung heute, ist für mich ein zusätzlicher starker Ansporn. Herzlichen Dank dafür! Sie können weiterhin mit mir rechnen.
Glückauf!