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Graubündens Kampf um das Rätoromanische

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In Graubünden beginnt ein neuer Kampf um das Überleben des Rätoromanischen. Politiker und Sprachfunktionäre wollen die vierte Landessprache über den institutionellen Weg retten.

Von der Basis aber kam bisher zu wenig Unterstützung. 2.700 Unterschriften sammelten prominente Rätoromanen in einem Manifest für ihre Sprache. Aufgerüttelt worden waren sie von den Resultaten der Volkszählung 2000. Noch 0,46 Prozent der Schweizer Bevölkerung bezeichneten das Rätoromanische als Hauptsprache, gegenüber 0,6 Prozent im Jahre 1990.

Knapp 34.000 Rätoromanen leben somit in der Schweiz. Lässt sich der Rückgang der vierten Landessprache nicht aufhalten, wird es sie in etwa 40 Jahren nicht mehr geben. Die fortschreitende Erosion hat die Sprachendiskussion in Graubünden erneut in Gang gesetzt. Das Romanische soll in der neuen Kantonsverfassung besser geschützt werden. Ergänzend dazu soll ein Sprachengesetz erarbeitet werden. Alles schon gehabt: beim Bund, wo zur Zeit an einem Sprachgesetz formuliert wird. Die Revision des Sprachenartikels in der Verfassung, die dem Romanischen die Anerkennung als Teilamtssprache brachte, wurde vom Schweizer Volk 1996 mit 76 Prozent Ja-Stimmen angenommen.

So überzeugend die Sympathien landesweit gegenüber dem Rätoromanischen sind, zum Überleben braucht die Sprache einen Nährboden, der nur in Graubünden liegen kann. Doch wie ist die Situation in Graubünden? Die Bemühungen auf institutioneller Ebene kontrastieren mit einer gewissen Gleichgültigkeit an der Basis. Als bei einer Podiumsdiskussion in Chur zu den Regierungsratswahlen die Krise des Rätoromanischen thematisiert wurde, reagierte das Publikum mehr belustigt als mit Sorge.

Für einen zweisprachigen Schulversuch Deutsch/Romanisch in Chur konnten nur mit Mühe ausreichend Schüler rekrutiert werden. Keine Schülerprobleme gab es beim Schulversuch Deutsch/Italienisch. Die Rumantschia tut sich außerdem schwer, als Einheit aufzutreten. Die über Jahre verbissen geführten Auseinandersetzungen um die Anfang der Achtziger Jahre kreierte Schriftsprache Rumantsch Grischun sind noch nicht restlos verebbt. Das Bündner Oberland und das Unterengadin sind die letzten zwei kompakten rätoromanischen Sprachgebiete. Das Rätoromanische als kompakte Sprache gibt es nicht, was das Problem der ständigen Erosion verschärft.

Die Kleinsprache setzt sich zusammen aus fünf unterschiedlichen Idiomen. Die Engadiner reden und schreiben anders als die Bündner Oberländer, die wiederum ein anderes Romanisch als die Mittelbündner pflegen. Hinzu kommen Unterschiede politischer und konfessioneller Art. Wirtschaftlich sind die romanischen Gemeinden ohnehin nicht auf Rosen gebettet. Viele jungen Rätoromaninnen und Rätoromanen sind gezwungen, ihre Ausbildung fern der Heimat zu absolvieren.

Vom Aufbruchwillen Mitte der Neunziger Jahre blieb nicht viel übrig. Der Geist der Sechziger und Siebziger Jahre ist zurückgekehrt. Damals galt das Deutsche als modern, und Eltern romanischer Zunge wollten gar nicht, dass ihre Kinder Rätoromanisch sprechen, weil es als rückständig galt. Damit das Romanische nicht verschwindet, müssten deutliche Signale von unten kommen. Müsste ein Wille der Romanen manifest werden, als Sprachgruppe überleben zu wollen, und Schluss sein mit der Kultivierung von Unterschieden. Verfassungsänderungen, neue Gesetze und Gelder der öffentlichen Hand machen erst Sinn, wenn sie eine Bewegung an der Basis unterstützen.

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