Erlebt man einen Bus voller Schüler auf ihrem Nachhauseweg und geht am Abend ins Sinfoniekonzert, käme man wohl kaum auf den Gedanken, sich die Schülergruppe in den heiligen Hallen von der Kultur begeistert vorzustellen. Eine Klasse durch den Schulvormittag zu beobachten, dürfte den Eindruck der Unvereinbarkeit dieser beiden Welten wohl noch verstärken. Genau diese Verbindung bundesweit zu intensivieren, ist Ziel der von der Kulturstiftung der Länder und der Kulturstiftung des Bundes veranstalteten Initiative „Kinder zum Olymp!“.
Mit der grundsätzlichen Notwendigkeit ästhetisch-kultureller Bildung hatten sich bereits der Eröffnungskongress 2004 in Leipzig und – im europäischen Kontext – die Weiterführung 2005 in Hamburg beschäftigt. Nun war es überfällig, mit dem dritten Durchgang Ende Juni in Saarbrücken konkret zu werden. Legt die Formulierung „Kinder zum Olymp!“ das Bild nahe, dass Kindern das Engagement abgefordert wird, den Weg hinauf zur Kultur zu erklimmen, so richtete der Kongress sein Augenmerk diesmal auf die umgekehrte Richtung: vom Olymp zu den Kindern – also auf die Frage, wie der Kulturauftrag der „Kulturanbieter“ ausgestaltet werden kann, selbst wenn das so manchem in Kulturbetrieb vorkommen mag, als müsse er Berge versetzen. Gleichwohl wurde auch immer wieder Grundsätzliches diskutiert und erneut bekräftigt. Angesprochen wurden dabei sowohl die oft beschworenen Transfereffekte (Schlüsselkompetenzen und besonders Krea-tivität), dann aber – gottlob – auch der so entstehende Bezug zur Kultur selbst. Einigkeit bestand darüber, dass kulturelle Bildung nicht bloßes Additivum in einer scheinbar satten Welt sein darf, die nach ganz anderen als kulturellen Maßstäben funktioniert. Kunst und Kultur bieten etwas Existenzielles, Sinn gebendes, das gerade Menschen der Zukunft deshalb brauchen, weil es dem gegebenen Trend eines hauptsächlich ökonomischen Daseins zuwiderläuft. Es war notwendig und gut das festzustellen, wie auch die Forderung zu erheben, dass kulturelle Bildung als zentrale Aufgabe gleichberechtigt neben andere Bildungsbereiche – etwa die Naturwissenschaften – oder „neben das Faktenwissen“ gestellt werden sollte, wie es der saarländische Ministerpräsident Peter Müller formulierte.
Reden sind die eine Seite, Maßnahmen die andere. Von der Bundesebene auf jedes Bundesland, jede Kommune, jeden Kulturtempel und jede Schule konkret einzuwirken, ist bei den gegebenen Strukturen schwierig. So bleibt der Initiative „Kinder zum Olymp!“ der Weg, die Diskussion wach zu halten, zu mahnen und anzustoßen und – auch in bewährter Kooperation mit der PwC-Stiftung – positive Beispiele herauszustellen. In dieser Funktion ist „Kinder zum Olymp!“ aus der Kultur-Kongresslandschaft nicht mehr wegzudenken und besitzt durch die ausgeprägte Integration der entscheidenden politisch-verwaltenden Ebene ein ganz eigenes Profil. Aus der Perspektive der Musik ist zudem die breite Runde anderer Kultursparten bereichernd.
Als Grandseigneur unter den Kulturschaffenden vertrat Klaus Zehelein in Saarbrücken die Ansicht, dass keineswegs die fehlende Erkenntnis vom Nutzen der Kunst für junge Leute das Problem sei, sondern „die Kürzungsrealität im Kulturbetrieb“. In der Diskussion verteidigte er als Hauptanliegen der Künstler die Kunst selbst, nicht ihre Vermittlung, und er verwahrte sich dagegen, Kunst dahingehend zu instrumentalisieren, dass sie für junge Leute fassbar werden müsse. Damit entsprach er allerdings nicht der Mehrheitsmeinung des Kongresses, die den Vermittlungsaspekt als für die Zukunftsfähigkeit von Kultur wesentlich betrachtete. Die Frage bleibt: Wie ist die Vermittlung von Musikkultur in unserem Land als etwas Selbstverständliches zu etablieren? Zeheleins Frage „Wenn Orchestermusiker verpflichtet werden, in der Schule ihre Kunst zu vermitteln, wer wollte da Schüler sein?“, überzeugte und provozierte die nächste: Wie erreichen, dass Künstler nicht wollen müssen, sondern wollen wollen?
Das Umdenken hat begonnen
Auch der Kultusminister des Saarlandes Jürgen Schreier war der Meinung, dass sich Kulturvermittlung nicht anordnen lasse, musste aber bemerken, dass er damit im Kongressplenum Unmut erregte. Darin schien sich zu artikulieren, dass der Kulturbetrieb zum Engagement bereit ist, aber von der Politik weniger Worte als vielmehr Unterstützung durch verbesserte Rahmenbedingungen zur Kulturvermittlung in Schulen erwartet.
Der Kongress zeigte beispielhaft, dass ein Umdenken begonnen hat. Immer mehr Ensembles und Musiktheater, Konzerthäuser und renommierte Künstler gehen auf junges Publikum zu und betrachten es als ihre Aufgabe, ihm erfolgreich Musik zu vermitteln. Beispielhaft für viele andere sei das Projekt „Rhapsody in school“ erwähnt, das in Saarbrücken mit einer Live-Präsentation von Daniel Hope veranschaulichte, wie gelungene Musikvermittlung aussehen kann. Hope vertrat dabei eine große und wachsende Zahl von Künstlern, die sich im Rahmen des Projekts bei musikalischen Begegnungen in Schulen engagieren und sich selbst und ihre Kunst persönlich und direkt zur Diskussion stellen. Schaut man auf die immer weiter wachsende Liste der an der Initiative beteiligten Künstler, so scheint die Hoffnung nicht unbegründet, dass von der Spitze des Musikbetriebes her neue Leitbilder dem künstlerischen Nachwuchs den Weg weisen könnten.
Diese Hoffnung mag unter anderem auch den Präsidenten der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Thomas Rietschel dazu motiviert haben, im Forum zum Wandel der künstlerischen Hochschulen den Finger auf die Wunde zu legen und festzustellen, dass die Leitbilder der jungen Studierenden sich auch heute noch weitgehend am Genievirtuosentum des 19. Jahrhunderts orientieren. Heute sei verantwortungsbewusste Hochschulausbildung gefordert, die ein neues, breiteres und zeitgemäßes Selbstverständnis etablieren müsse, um zukunftsfähige Absolventen zu entlassen. Musikvermittlung scheint hier als Notwenigkeit erfasst und wird – wie das vorgestellte Kooperationsprojekt mit Schülern der Frankfurter Musterschule anschaulich machte – bereits erfolgreich gelebt. Dennoch ist auch in seinem Haus – so räumt Rietschel ein – lediglich der Anfang gemacht: Durchgängig integrierte Musikvermittlung ist ein Prozess, der Zeit braucht.
In den Lehrplänen verankern
Und der Schulbetrieb? Isabel Pfeiffer-Pönsgen, Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder, freute sich zwar über die Empfehlung, die die Kultusministerkonferenz erst im Februar zur kulturellen Kinder- und Jugendbildung verabschiedet hatte, erklärte aber selbst, dass die eigentliche Aufgabe noch bevorstehe, den Kulturvermittlungsauftrag in die Lehrpläne der Länder zu bringen.
Dass von den Lehrplänen aus dann noch ein Weg bis zu den Kindern zurückzulegen ist, weiß jeder Praktiker. Ganztagsschulen böten verbesserte Möglichkeiten, es bleibt allerdings zu hoffen, dass Kulturvermittlung hier nicht nur am Nachmittag als eine Art Erholungsunterricht von den eigentlich wichtigen Fächern eingeplant wird, sondern als Essenz von Bildung.