München - Er ist noch nicht einmal im Amt und steht schon in der Kritik: Die Debatte um den künftigen Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker, Waleri Gergijew, schwelt weiter. In einem Dringlichkeitsantrag fordert die gemeinsame Stadtratsfraktion von Freien Wählern, ÖDP und Bayernpartei Aufklärung darüber, was von den Vorwürfen gegen den russischen Maestro zu halten sei. Möglicherweise wird der Antrag an diesem Mittwoch in der letzten Vollversammlung vor den Weihnachtsferien behandelt.
Die Münchner Rosa Liste rief zu Protesten vor Gergijews Konzert am Mittwoch auf. Sie wirft dem Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin vor, er verleugne die «Hass- und Verfolgungspolitik der Putin-Regierung gegenüber Lesben, Schwulen und Transgendern». Auch die Münchner Intendanten Nikolaus Bachler und Josef Köpplinger äußerten sich kritisch. Gergijew hatte die Vorwürfe in einem kurzen Statement auf seiner Facebook-Seite zurückgewiesen. Für Dienstagnachmittag luden die Philharmoniker zu einer Pressekonferenz, bei der der Maestro auf die Vorwürfe reagieren wollte.
Stardirigent Gergijew: Musikalischer «Held» Russlands
München - Der Dirigent Waleri Gergijew ist eine Lichtgestalt russischer Musikkultur - und ein Freund von Wladimir Putin, der dem Musikstar kurz vor dessen 60. Geburtstag einen Staatsorden anheftete und ihn zum «Helden der Arbeit» machte.
«Auf der ganzen Welt wird seine außergewöhnliche Persönlichkeit geschätzt», rühmte ihn die Regierungszeitung «Rossijskaja Gaseta» auf ihrer Titelseite zu seinem 60. Geburtstag am 2. Mai. Er sei ein «seltenes Phänomen, das universell Talente eines Musikers, Managers, Geschäftsmannes und Missionars, eines künstlerischen Diplomaten in sich vereint».
Gergijew, der stets ohne Taktstock dirigiert, wurde 1953 in Moskau geboren, seine Karriere begann er zu tiefsten Sowjetzeiten. Er stammt aus einer ossetischen Familie, wuchs im Nordkaukasus auf und kam später ans Konservatorium in Leningrad (heute St. Petersburg). Sein Vater starb, als Gergijew 14 Jahre alt war, eine seiner beiden Schwestern, Larissa Gergijewa, wurde eine bekannte Konzertpianistin.
Nach seinem Abschluss in den 1970ern arbeitete Gergijew, der auch Klavier spielt, zunächst als Assistent am Kirow Theater, wie das Mariinski damals hieß. Dort übernahm er als Chefdirigent 1988 die Leitung der Opernsparte. 1996 wurde er Chef des gesamten Hauses.
Den Posten will er auch für seine künftige Arbeit in München nicht aufgeben. Nur die Position als Chefdirigent des London Symphony Orchestra tritt er ab.
Gergijew gilt als Hobby-Fußballer, passionierter Bergwanderer und Freund der italienischen Küche. Mit seiner Frau, der Musikerin Natalia Dzebisowa, hat er drei Kinder.
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Umstrittener Dirigent Gergijew gibt sich unpolitisch
München - Der bei Menschenrechtlern und Homosexuellen-Initiativen in die Kritik geratene russische Dirigent Waleri Gergijew gibt sich unpolitisch. Er distanzierte sich zwar am Dienstag in München von angeblichen Äußerungen gegen Homosexuelle, wollte sich zu dem umstrittenen Anti-Schwulen-Gesetz in seiner russischen Heimat aber nicht konkret äußern. «Ich kenne dieses Gesetz nicht und ich verstehe es auch nicht», sagte er. «Ich bin ein vielbeschäftigter Künstler.»
Gergijew wies den Vorwurf zurück, er habe Homosexualität und Pädophilie gleichsetzt. «Das ist lächerlich.» In Russland häuften sich derzeit Berichte über Pädophilie und Kindesentführungen. «Die Leute sind wütend.»
Russlands Präsident Wladimir Putin hatte in diesem Jahr per Gesetz verbieten lassen, in Gegenwart von Kindern positiv über Homosexualität zu sprechen. Auf die Frage, ob er das befürworte, antwortete Gergijew ausweichend und sagte lediglich, er würde sich freuen, wenn die Kinder besonders viel über Puschkin lernten oder Tschaikowsky. Bildung sei sein Feld, betonte der Dirigent.
«Natürlich ist in der künstlerischen Gemeinschaft kein Platz für Diskriminierung», betonte der Chef des Mariinsky-Theaters in St. Petersburg. «Wenn jemand in meiner Gegenwart diskriminiert wird und ich schweige, ist das meine Verantwortung.» Er sei aber Musiker und kein Politiker und könne darum nur für seinen Bereich sprechen. «Ich gehöre nicht zur Duma, ich gehöre nicht zur Regierung.» Von Putin, der international wegen der diskriminierenden Gesetzgebung kritisiert wird und als dessen Freund Gergijew gilt, distanzierte der Dirigent sich nicht, sondern lobte dessen Kulturpolitik.
Gergijew soll 2015 Chefdirigent der Münchner Philharmoniker werden. Die Diskussion der vergangenen Wochen um den künftigen Chef ist auch am Orchester nicht spurlos vorbei gegangen. «Es gibt Diskussionen, ja», sagte Intendant Paul Müller. «Es hat aber nicht zu irgendeiner Art von Problemen geführt.»
An diesem Mittwoch ist ein Konzert Gergijews mit den Philharmonikern geplant. Die schwul-lesbische Wählerinitiative Rosa Liste München hat zu Protesten aufgerufen, auch in London und New York hatte es Proteste gegeben. Die spielte Gergijew am Dienstag allerdings herunter. «Welche Proteste? Ich habe zwei Stimmen gehört.»
Die Personalie Gergijew wird voraussichtlich an diesem Mittwoch auch den Münchner Stadtrat beschäftigen. Die Fraktion aus Freien Wählern, ÖDP und Bayernpartei hat einen Dringlichkeitsantrag gestellt, um die Vorwürfe gegen den russischen Musiker zu klären. Ausgrenzung und Diskriminierung dürfe es in der Stadt nicht geben, betonte Kulturreferent Hans-Georg Küppers. «Für uns gilt da eine Null-Toleranz-Grenze.» Aus seiner Sicht habe Gergijew klargestellt, dass es Diskriminierung bei ihm «niemals gegeben hat und auch niemals geben wird».