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Leiter des Deutschen Musikinformationszentrums: Stephan Schulmeistrat. Foto: Stephan Pick

Leiter des Deutschen Musikinformationszentrums: Stephan Schulmeistrat. Foto: Stephan Pick

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So viel Spaß können Zahlen, Daten und Fakten machen

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Stephan Schulmeistrat, Leiter des Musikinformationszentrums, über Erfolge, Ziele und Herausforderungen der Einrichtung
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Das Deutsche Musikinformationszentrum (miz) bietet einen einzigartigen Service: Zuverlässig, kostenfrei, international, stets aktuell und mit hochengagiertem Einsatz aufbereitet finden sich auf miz.org alle wichtigen Daten und Fakten zum Musikleben in Deutschland. Mehr als 40.000 Besucher nutzen das Angebot pro Monat – ein großer Erfolg für das kleine Team. Die Finanzierung der vom Deutschen Musikrat getragenen Einrichtung steht jedoch vor ungewissen Zeiten. Leiter des Deutschen Musikinformationszentrums (MIZ) und Vize-Präsident der Internationalen Vereinigung der Musikinformationszentren (IAMIC) ist Stephan Schulmeistrat. Nach einer kirchenmusikalischen Ausbildung studierte er Musikwissenschaften, Kunstgeschichte und Romanistik. 

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neue musikzeitung: Vor genau acht Jahren haben Sie die Leitung des miz übernommen. Was waren seitdem die Schwerpunkte Ihrer Arbeit? 

Stephan Schulmeistrat: Ein ganz wesentlicher Meilenstein war sicher der Relaunch unseres Informationsportals miz.org, das größte Projekt in der Geschichte des miz. Die Webseite ist das Herzstück unserer Vermittlungsarbeit, wir präsentieren dort das weitverzweigte Musikleben detailliert mit über 10.000 Institutionen, mit Statis­tiken, Infografiken, unseren Studien, Fachbeiträgen und vielem mehr. Als ich das miz 2016 übernommen habe, wurde dieser gewaltige Wissensschatz auf einer Webseite präsentiert, die in die Jahre gekommen war. Auch die Kernaufgaben und die Marke miz galt es weiterzuentwickeln. Da war im Laufe der Zeit vieles dazugekommen, was wir erst einmal sortieren und in ein neues Gesamtkonzept integrieren mussten – parallel liefen Sonderprojekte zur Kirchenmusik und zum Thema Musik und Integration, angesichts der zahlreichen Geflüchteten entwickelten sich damals bundesweit ganz neue musikalische Angebote, über die das miz informiert hat. Der Zielsetzung folgte ein jahrelanger und arbeitsreicher Weg, bei dem wir wirklich keinen Stein auf dem anderen gelassen haben. Im Ergebnis hat sich unsere Arbeit ausgezahlt. Unsere Zugriffszahlen haben sich innerhalb der letzten zwei Jahre mit monatlich 40.000 individuellen Besuchern verdoppelt. Außerdem liegen wir im Ranking aller deutschen Webseiten auf Platz 6.577 – bei über fünf Millionen Webseiten in Deutschland ein echter Platz an der Sonne. Auch in den Medien hatten wir 2023 über 700 Erwähnungen mit einer Gesamtreichweite von über 60 Millionen Menschen.

Große Reichweite

Zu dem Erfolg hat natürlich beigetragen, dass wir das inhaltliche Informationsangebot des miz kontinuierlich ausgebaut haben. Wir haben eine Reihe von Studien aufgelegt, mit denen wir zum Beispiel erstmals grundlegende Daten zum Amateurmusizieren und dem professionellen Musizieren in Deutschland vorgelegt haben. Wir haben darüber hinaus immer wieder aktuelle Themen wie zuletzt Nachhaltigkeit oder Inklusion im Musikleben in unserer Reihe „Im Fokus“ aufgegriffen, wir sind inzwischen in den Social Media aktiv, um stärker mit unseren Nutzern zu interagieren. Auch unsere Publikation „Musikleben in Deutschland“, die auf Deutsch und Englisch vorgelegt wurde und seitdem in Bibliotheken auf der ganzen Welt als Standardwerk zu finden ist, war sicher ein weiterer Meilenstein, der auf die Wahrnehmung des miz eingezahlt hat.

nmz: Zu der neuen Webseite gab es viel positive Resonanz; auch die nmz hat berichtet. Eine Kritik war jedoch, dass es eine gewisse Unschärfe bei der Grenzziehung zwischen den deutsch- und den englischsprachigen Inhalten gab. Wurde inzwischen nachgebessert?

Schulmeistrat: Wir haben die meisten redaktionellen Inhalte professionell ins Englische übersetzen lassen, insbesondere unsere Fachbeiträge, die zentrale Entwicklungen des Musiklebens im Überblick darstellen, und viele Statistiken. Auch unsere Institutionenrubriken werden englischsprachig eingeleitet. Es gibt jedoch Grenzen der Übersetzbarkeit, auch wenn uns bewusst ist, dass das miz stark international genutzt wird. Die über 10.000 Institutionen beispielsweise bieten sich aus verschiedenen Gründen zur Übersetzung ebenso wenig an wie Dokumente, Kurse oder tagesaktuelle News. Mittlerweile gibt es aber so gute technische Möglichkeiten, sich Webseiten über die Browser übersetzen zu lassen, dass die Notwendigkeit, alle Inhalte auf Englisch vorzuhalten, schlicht nicht mehr besteht. Hinzu kommt: Unsere finanziellen und personellen Kapazitäten sind endlich. 

nmz: Lassen Sie uns auf das Studienprogramm des miz zu sprechen kommen. Die Studien sind breit rezipiert worden, haben aber auch für Diskussion gesorgt. 

Schulmeistrat: Hier spielen Sie sicher auf unsere Berufsmusikstudie an. Da gab es in der Tat Überraschungen. Wir konnten in der Studie erstmals belegen, dass das Bild von der „brotlosen Kunst“ so nicht zu halten ist, weil das Durchschnittseinkommen von Berufsmusizierenden nicht immer so gering ist, wie bisher angenommen. Das hat bei manchem für Irritation gesorgt, weil erfahrungsgemäß viele Musiker*innen wirklich nicht von ihrer Musik leben können. Das ist auch richtig. 20 Prozent der Musizierenden leben von unter 1.500 Euro netto pro Monat. Was wir aber untersucht haben, sind hybride Erwerbsformen. Viele Musiker*innen bestreiten ihren Lebensunterhalt zusätzlich zur Musik mit Unterrichten oder auch mit außermusikalischen Tätigkeiten. Nur 30 Prozent leben ausschließlich von der Musik. Diese Erkenntnisse sind enorm wichtig, zum Beispiel um Forderungen nach Mindesthonoraren zu stützen oder auch um die Bedeutung von musikpädagogischen Inhalten in künstlerischen Studiengängen oder von Zusatzqualifikationen zu untermauern.

Vielbeachtete Studien

Unsere andere große Studie zum Amateurmusizieren hat ebenfalls zentrale Wissenslücken geschlossen. Dass in Deutschland 14,3 Millionen Menschen in ihrer Freizeit musizieren, war zuvor nicht bekannt, ebenso wenig wie und in welchen Kontexten musiziert wird. Ein solches Wissen ist für die Kulturpolitik essenziell, denn sie ist auf Daten und Fakten angewiesen. Auch die Musikverbände werden damit gestärkt,­ weil noch einmal klar geworden ist, für wie viele Menschen aktives Musizieren eine Bedeutung hat. 

nmz: Sollen die Studien fortgeführt werden? Es ist ja wichtig, nicht nur Momentaufnahmen, sondern auch Entwicklungen zu beschreiben.

Schulmeistrat: Dass sie weitergeführt werden müssen, liegt auf der Hand, denn das miz hat in der Tat die Aufgabe, Entwicklungen des Musiklebens zu beschreiben und zu dokumentieren. Dennoch ist es für uns auch eine finanzielle Frage, an der wir aber gerade arbeiten. Zumindest planen wir für nächstes Jahr eine Fortsetzung der Amateurmusikstudie.

Auch in Zukunft neue Studien

Darüber hinaus sind wir dabei, unser Studienprogramm gemeinsam mit Kooperationspartnern zu erweitern. Im Moment arbeiten wir mit der Initiative Musik und der Bundesstiftung LiveKultur an einer großen Untersuchung der Festivallandschaft in Deutschland. Wir sind froh, dass wir durch diese Partnerschaften unser Profil weiterentwickeln und damit auch die Szene der populären Musik verstärkt­ mit unseren Angeboten erreichen können. 

Als ich das miz übernommen hatte, hieß es immer: „Die Arbeit des miz ist ja gut und wichtig, aber nur wenige kennen sie leider“. Ich denke, dass man dies heute nicht mehr behaupten kann. Wir haben in den vergangenen Jahren einen rasanten Aufstieg genommen. Wir sind als seriöse und zuverlässige Quelle einem zunehmend wachsenden Nutzerkreis bekannt und werden mit unseren Daten und Fakten national und international wahrgenommen. 

nmz: Das miz ist inzwischen so etwas wie ein Statistisches Bundesamt für Musik geworden?

Schulmeistrat: (Lacht) Ja, so könnte man das sagen. Wobei wir mit dem Statistischen Bundesamt tatsächlich vielfach im Austausch sind. Wir übernehmen von dort Daten und umgekehrt. Darüber hinaus arbeiten wir mit einem engen Netzwerk zusammen, sodass wir alle zentralen Bereiche des Musiklebens musikstatistisch im Blick haben. Aktuell pflegen wir über 120 Statistiken, ob es um Studierende in Studiengängen für Musikberufe, Musikpräferenzen, Opernbesuche oder die Aus- und Einfuhr von Musikinstrumenten geht. Das ist ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Nirgendwo sonst findet man ein solch zuverlässiges und gepflegtes Datenkonvolut. Neuerdings sind wir dabei, unser Statistikangebot durch Infografiken noch ansprechender zu vermitteln. Wichtige Kennzahlen können so auch intuitiv erfasst werden. 

nmz: Ja, die Grafiken sind sehr überzeugend. Daher zeigen wir in der nmz ja auch eine Auswahl davon. Angefangen hat das Thema Infografik beim miz aber mit der Posterserie „Musikleben in Zahlen“. Warum haben Sie den Schritt in diesen Bereich unternommen?

Schulmeistrat: Das hatte mehrere Gründe. Daten können eine trockene Angelegenheit sein. Wir wollten eine Möglichkeit schaffen, zentrale Ergebnisse unserer Studien oder auch anderer Quellen ansprechend zu präsentieren. Um dies einem breiten Publikum zu vermitteln, haben wir Daten, die wir besonders spannend fanden, infografisch aufbereitet. Dabei war uns wichtig, neben der inhaltlichen Ebene auch eine ästhetische einzubeziehen, denn unser Ziel ist es ja, dass die Poster auch aufgehängt werden. Kooperationen mit Fachverbänden haben die Serie von Anfang an begleitet und gestärkt. Für unsere Orchestererhebung haben wir mit unisono und dem Deutschen Bühnenverein zusammengearbeitet, für andere Ausgaben mit dem Verband deutscher Musikschulen oder dem BMCO, dem Bundesmusikverband Chor & Orchester.

„Darauf sind wir ­besonders stolz“

Auch mit Blick auf die Distribution war dies wichtig, weil wir über das Netzwerk der Verbände eine große Reichweite erzielen konnten. Insgesamt haben wir in der Serie bisher über 40.000 Exemplare produziert und ausgegeben. Ein Poster, das in einer Musikhochschule, einem Orchesterbüro oder im Flur einer öffentlichen Musikschule hängt, fällt ins Auge und damit auch das miz als Absender. Letztes Jahr wurden wir übrigens mit einem internationalen Infografik Award ausgezeichnet. Darauf sind wir besonders stolz. 

nmz: International ist ein gutes Stichwort, denn seit kurzem sind Sie ja auch Präsident der Musikinformationszentren weltweit, der IAMIC. Hat das Ihren Arbeitsalltag verändert?

Schulmeistrat: Ich empfinde es als große Ehre und Anerkennung, dass dieses Amt an mich herangetragen wurde. Es ist eine Bestätigung, dass unsere Arbeit hier international wertgeschätzt und wahrgenommen wird. Man muss sagen, dass das Musik­leben Deutschlands weltweit nach wie vor einen hohen Vorbildcharakter hat, viele Länder beneiden uns darum.

Das miz hat 2022 die internationale Konferenz der Musikzentren in Deutschland ausgerichtet. Das war eine wunderbare Erfahrung, die uns viele Türen geöffnet hat. Gerade setzen wir mit dem Board der IAMIC neue Akzente und entwickeln unsere Visionen für die Zukunft. Seit Kurzem zählen wir zum Beispiel den afrikanischen Kontinent zu unseren Mitgliedern, das ist eine ganz besondere Freude. Die Präsidentschaft bringt sicherlich große Herausforderungen mit sich, das beflügelt aber zugleich die Arbeit hier. Die große Stärke der IAMIC ist ihre Internationalität. Und zu sehen und lernen, was in anderen Ländern läuft, uns darüber auszutauschen und von den Erfahrungen zu profitieren, ist für uns enorm wichtig und eine große Inspirationsquelle.

nmz: Verraten Sie uns, woran Sie aktuell mit Ihrem Team arbeiten?

Schulmeistrat: Im Moment befassen wir uns mit einem Mammutprojekt, wir beginnen, Musikclubs und Musikspielstätten aus dem Bereich der populären Musik und des Jazz zu verzeichnen. In unseren Datenbanken haben wir bisher nur die Spielstätten für klassische Musik, also Konzerthäuser und Musiktheater. Der Bereich der populären Musik war dagegen unterrepräsentiert. Das ändern wir gerade. Dafür arbeiten wir eng mit Kooperationspartnern aus der Szene zusammen. 

Aktuelle Projekte und Finanzierung

Darüber hinaus sind wir dabei, ein weiteres wichtiges Projekt auf die Schiene zu setzen: einen Musikförderatlas. Denn die Suche nach Fördermöglichkeiten treibt sehr viele Kreative um; es gibt da einen enormen Informationsbedarf. Bisher fehlt eine Institution, die zentral und genreübergreifend über Förderprogramme informiert. Daher hoffen wir sehr, dass sich das Vorhaben gemeinsam mit weiteren Partnern im miz realisieren lässt. Hier wäre aus unserer Sicht der geeignete Ort. 

nmz: Zuletzt noch eine wichtige Frage: Wie steht es um die Finanzierung des miz? In den letzten Jahren ging es immer wieder um das Thema Verstetigung. 

Schulmeistrat: Wir haben in den vergangenen Jahren zum Glück vieles erreicht. Wir haben sogar mit Hal Leonard einen international agierenden Musikverlag als Sponsor gewinnen können, eine Partnerschaft, die uns viele Projekte ermöglicht hat. Dennoch stellt die Finanzierung des miz durch die öffentliche Hand eine der größten Herausforderungen dar, ­denen wir uns aktuell stellen. Allein die Personalkosten sind inzwischen um einen sechsstelligen Betrag gestiegen – durch Tarifabschlüsse sowie Stufensteigerungen unserer Mitarbeitenden. Das miz ist eben eine sehr personalintensive Einrichtung, und mittlerweile klafft eine Finanzierungs­lücke, die zusehends größer wird. 

Bisher konnten wir diese zu einem gewissen Teil noch durch die Reduzierung von Sachmitteln kompensieren. Das hat aber jetzt ein Ende und es drohen substanzielle Einschnitte in die Personalstruktur. Konkret müssten wir ab 2025 zwei Stellen abbauen. Das hätte gravierende Folgen für die inhaltliche Arbeit und das Kernangebot des miz. Wir haben ein hochspezialisiertes Team und Angebot, das in dieser Weise einzigartig ist. Beides kann nicht je nach Haushaltslage auf- und abgebaut werden, denn alles, was das miz macht, beruht auf Nachhaltigkeit, Kontinuität und erfordert viel Erfahrung. Unser Angebot verlangt eine ständige Aktualisierung und Fortschreibung.

Wir sind daher in Gesprächen mit den Entscheidungsträgern des Deutschen Musikrates, der unser Träger ist, und unseren Geldgebern, insbesondere der BKM als Hauptförderin. Unser Beirat stärkt uns dabei sehr den Rücken und betont die große Bedeutung, die das miz nicht nur im Musikleben, sondern auch innerhalb des Deutschen Musikrates einnimmt. Natürlich ist uns klar, dass die Bundesfinanzen derzeit angespannt sind und dass auch viele andere Einrichtungen vor Herausforderungen stehen. Für das miz geht es jedoch nun um sehr viel. 

Am Ende ist es eine politische Entscheidung, ob es in Zukunft ein miz mit dem aktuellen Status quo noch geben kann. Wir bleiben optimistisch, denn das miz ist für unsere Wissensgesellschaft mit seinen seriös recherchierten Daten und Fakten eine unverzichtbare Quelle. Gerade in Zeiten von Fake News und KI ist das unumstritten. Diesen Schatz sollte man jetzt nicht verspielen.

Das Gespräch führte Andreas Kolb

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