Auf den mannigfaltig verknoteten Autobahnkilometern Nordrhein-Westfalens durchquert man nicht nur das bevölkerungsreichste Bundesland, Regionen mit unterschiedlichem wirtschaftlichen und kulturellen Gepräge, sondern auch eine Musikhochschullandschaft, die in ihrer historisch gewachsenen Quantität und Vielfalt einzigartig in Deutschland ist. Die den Hauptstand-orten Essen, Detmold, Düsseldorf und Köln in anderen Städten angegliederten Abteilungen hinzugerechnet, sind hier nicht weniger als neun Standorte mit Musikausbildung auf Hochschulniveau angesiedelt. Dass das Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen nach den Universitäten nun auch die Arbeit der Musikhochschulen einer Überprüfung durch eine Kommission unterzieht, könnte auf den ersten Blick vermuten lassen, diese Vielfalt sei möglicherweise gefährdet.
Und in der Tat braucht man nicht allzu weit zwischen den Zeilen der auf Anfrage der neuen musikzeitung formulierten Stellungnahme des Ministeriums zu lesen, um zu erahnen, dass es insbesondere die Zukunftsfähigkeit der Abteilungen ist, die auf dem Prüfstand steht. Auf die Frage nach einer Bestandsgarantie für die neun Hochschulabteilungen heißt es lediglich, es gebe eine solche „bezogen auf die vier Hauptstandorte“. Auch Reinhart von Gutzeit, Direktor des Bruckner-Konservatoriums in Linz und Vorsitzender der vom Ministerium Ende August eingesetzten Musikkommission bestätigt nach deren zweiter Sitzung in Duisburg, dass aus Sicht des Landes die Begutachtung von Profil und Schwerpunktbildungen dieser Dependancen eine zentrale Aufgabenstellung ist. Dies zeigt sich allein schon in der Arbeitsweise der Kommission, die immer in einer der Abteilungen zusammenkommt, wo diese sich dann präsentieren kann. Vertreten werden sie jeweils durch den Rektor des Stammhauses sowie durch den Dekan der als Fachbereiche organisierten Abteilungen.
Voraussetzungen
Ein Problem, mit dem die Kommission dabei umzugehen hat, ist das Misstrauen, das zum Teil zwischen Hauptstandorten und Abteilungen herrscht. Richard Braun, Dekan der Dortmunder Abteilung der Detmolder Musikhochschule nennt als Grund den in seinen Augen Anfang der 90er-Jahre unternommenen Versuch, mit der Einführung umfangreicher Studienordnungen Kapazitäten von den Abteilungen abzuziehen. Obwohl die ministeriellen Strukturerlasse von 1993 den Status quo der Abteilungen gesichert hätten, sei dieses Misstrauen geblieben.
Die Kommission, der neben Vertretern von Hochschulen außerhalb Nordrhein-Westfalens Persönlichkeiten aus dem Musikleben wie Christian Bruhn (Aufsichtsrats-Vorsitzender der GEMA) oder VIVA-Chef Dieter Gorny angehören, will sich in ihrer Beurteilung – so von Gutzeit – jedoch in erster Linie davon leiten lassen, welche Aufgabenverteilung von den Studierenden her gesehen sinnvoll ist: „Möglicherweise sind Teilbereiche an einzelnen Standorten zu klein, um für die Studierenden interessant zu sein, während sie an einem Standort konzentriert zu anderen Ergebnissen führen würden.“ Von Gutzeit ist sich aber auch im Klaren darüber, dass von der Kommission möglicherweise vorgeschlagene Konzentrationen von Standorten politisch nicht durchsetzbar sein könnten. Dass die betroffenen Städte auf die Barrikaden gehen würden, glaubt auch Richard Braun. Zu viel hätten die aus zum Teil traditionsreichen Konservatorien heraus entstandenen Hochschulabteilungen für das Musikleben der Städte getan, um nun so einfach infrage gestellt zu werden.
Schwerpunkte
Die Musikkommission will aber ebenso das Bemühen um eine zukunftsfähige musikalische Ausbildung in den Vordergrund stellen. Aus diesem Grund lädt sie zu den Sitzungen Experten zu bestimmten Schwerpunktthemen ein. In Duisburg war das zum einen die Entwicklung des Musikverhaltens bei Jugendlichen und die enorme Diskrepanz, die sich zwischen diesem Verhalten und der Hochschulrealität ergibt. Dabei sei es aber – so von Gutzeit – absurd sich vorzustellen, die Musikszene mit einem Anteil der Popularmusik von 90 Prozent müsse eine vollständige Abbildung an den Musikhochschulen erfahren, doch ohne sie könne man die Zukunft gerade in der Schulmusik eben auch nicht gewinnen. Ein zweiter Schwerpunkt war die Situation am Arbeitsmarkt, die deutlich mache, „dass für die immer verbreiteteren Patchwork-Lebensläufe eine Ausbildung nötig ist, die variable und zur Initiative bereite Künstler zum Ziel hat“. Andererseits hält von Gutzeit aber auch die Forderung für unangemessen, das Studium müsse möglichst zielgerichtet auf den konkreten Berufsalltag hinführen.
Fragenkatalog
Ein weiteres Element der Kommissionsarbeit ist die Erarbeitung und Auswertung eines umfangreichen Fragenkatalogs, anhand dessen die Hochschulen einen Bericht zu ihrem Studienangebot erstellen sollen. Von Gutzeit: „Dieses Fragenraster stellt den Versuch dar, die Daten, die das Ministerium ohnehin immer wieder abfragt, detaillierter zu behandeln, und vor allem eine Verknüpfung ablesbar zu machen im Hinblick auf die Qualität der Lehre, auf Vielfalt, Doppelungen oder Lücken.“
Die Hochschulen müssen hier nicht Frage für Frage abarbeiten, sondern können den Katalog als „Anregung zur Darstellung des jeweils eigenen Profils“ verstehen, wie es dort heißt. Kriterien sind neben den qualitativen Anforderungen unter anderen die Internationalität im Bereich der Lehre, identifikationsstiftende Maßnahmen oder mögliche Änderungen bestehender Studienordnungen und Abschlüsse.
Als Vorteil sieht von Gutzeit die Tatsache an, dass die Kommission in einer Zeit arbeite, in der die Abschottung der Hochschulen gegen berechtigte Kritik aus dem Musikschul- oder Orchesterbereich sich auflöse und Lerninhalte, die über Jahrzehnte tradiert worden seien, infrage gestellt würden: „Dass man in Essen einen Rektor wählt, der ausdrücklich als Reformer antritt, ist ein bemerkenswertes Signal.“ Weil man den Reformprozess der Essener Folkwang-Hochschule für vorbildlich halte (siehe auch den Bericht auf Seite 24 der Februar-Ausgabe der neuen musikzeitung), habe man deren Vertreter zur ersten Sitzung eingeladen, um ihre im Juli abgeschlossene Zukunftswerkstatt vorzustellen.
Rektor Martin Pfeffer sieht sein Haus für die Arbeit des Expertenrates entsprechend gut gerüstet, da man „selbstständig antizipatorisch tätig geworden“ sei und basisdemokratisch bereits „Entscheidungen von immenser Tragweite“ getroffen habe. Diese beziehen sich auf nicht weniger als 24 Teilbereiche, zu denen eine neue Musikerausbildung gehört, die das Hauptstudium in die als Module wählbaren Studienrichtungen Orchester, Kammermusik, Alte Musik, Neue Musik, Solist und Instrumentalpädagogik gliedert.
Die Außenstelle Duisburg soll durch die Ansiedlung dreier ausschließlich dort vorhandener Studiengänge profiliert werden. Dies könne für die Abteilung Duisburg durchaus Bestandsnotwendigkeit bedeuten. Auf die Frage nach der Solidarität der NRW-Hochschulen untereinander antwortet Pfeffer: „Für die Bewertung der Ausstattung der einzelnen Standorte werden sicherlich die Empfehlungen des Expertenrates hilfreich sein, denn ohne Bereitschaft zu Änderungsanstrengungen und Profilimpulsen an allen Standorten wird es schwer mit einfacher Solidarität. Plausible sachliche Gründe im Gesamtzusammenhang der Hochschulausbildung Musik in NRW werden schon notwendig sein, um ‚solidarisch‘ zu handeln“.
Hintergrund für die Frage nach der Solidarität ist die seitens des Ministeriums trotz der insgesamt ausgesprochenen Finanzierungs- und Arbeitsplatzgarantie offen gehaltene Möglichkeit einer „Umverteilung von Mitteln zwischen den Standorten beziehungsweise auch zwischen den einzelnen Hochschulen“. Hier erhofft sich insbesondere die Düsseldorfer Robert-Schumann-Hochschule, als einzige ohne zusätzliche Abteilung, eine Stärkung ihres Standortes. 1987 selbstständig geworden hat sie mit dem Problem zu kämpfen, dass sie zwar den Status, nie aber die Ausstattung einer vergleichbaren Hochschule bekommen hat, wie Rektor Claus Reichardt betont: „Wenn hier nicht reagiert wird, ist die Hochschule auf Dauer so nicht überlebensfähig.“ Es müsse entschieden werden, ob die Robert-Schumann-Hochschule eine Alibi-Hochschule mit deutlich geringerer personeller und finanzieller Ausstattung bleibe oder dieses Zwischenstadium endlich verlassen werde.
Dabei setze man mit der europaweit einmaligen Ton- und Bild-Abteilung, die einen kompletten technischen wie künstlerischen Studiengang ermöglicht, und der erfolgreichen Zusammenarbeit mit der Deutschen Oper am Rhein und mit der Kunstakademie im Bereich des Opernstudios klare Akzente zur Profilbildung. Seiner Ansicht nach kann die Kommission zu keinem anderen Ergebnis als zur Schließung von Abteilungen oder zu einer anderen Verteilung der Ressourcen kommen, da Schwerpunktsetzungen im Hinblick auf eine wünschenswerte Breitenausbildung nur sehr begrenzt sinnvoll seien.
Die Frage des Ungleichgewichtes zwischen den Hochschulen sieht Werner Lohmann, Rektor der Kölner Hochschule für Musik, auf Grund der sehr individuellen Struktur der Standorte jedoch als problematisch an. Eine Vergleichbarkeit sei kaum gegeben, weil sich „der Bedarf mit oder ohne Schulmusikausbildung, mit oder ohne Ballett, mit oder ohne Schauspiel nicht sinnvoll verrechnen“ lasse. Was die Zahl der Standorte angehe, so gebe es keine allgemein gültigen Maßstäbe: „Der einmaligen Dichte der Kulturlandschaft an Rhein und Ruhr muss eine angemessene Zahl an Ausbildungsstätten gegenüberstehen“, so Lohmann. Den Spagat der Abteilungen, einerseits ein Grundangebot sichern zu müssen, um Hochschulniveau zu garantieren, und gleichzeitig spezielle Angebote unterbreiten zu müssen, um attraktiv zu sein, meisterten die beiden Häuser in Aachen und Wuppertal „seit vielen Jahren überaus erfolgreich.“
Auch die Hochschule für Musik Detmold mit ihren Abteilungen in Dortmund und Münster hat sich, ihrem bis Ende September amtierenden Rektor Martin Christoph Redel zufolge „in intensiven und auch sehr kontroversen Diskussionen mit ihren Abteilungen über die Frage stärkerer Spezialisierung und somit positiver Abhebung/Abgrenzung zum Hauptstandort der Hochschule auseinander gesetzt.“ Ein Grundsatzproblem bestehe darin, „dass man auf Grund der dichten Vernetzung aller Ausbildungsbereiche (...) nie ohne qualitative Verluste erreichen wird, beispielsweise auf einen gesamten Ausbildungsbereich (...) zu verzichten, weil dann auch alle anderen Studienrichtungen (mindestens anteilig) ‚amputiert‘ würden“. Den Mangel an personeller Ausstattung an den Abteilungen durch Umverteilung von Stellen aus den Hauptstandorten erreichen zu wollen, hieße „nicht nur, die Struktur der Musikerausbildung in NRW zu verändern, sondern das würde bedeuten, sie insgesamt konkurrenzunfähig zu machen“, so Redel in seiner Stellungnahme, die vom neuen Rektor Martin Christian Vogel mitgetragen wird.
Was die Arbeit der Kommission betrifft, so sieht der Zeitplan vor, dass dem Ministerium nach weiteren vier Sitzungen im Monatsabstand im Februar oder März Vorschläge zur Neustrukturierung der Musikhochschullandschaft vorgelegt werden sollen. Reinhart von Gutzeit will sich aber nicht unter Druck setzen lassen. „Wenn wir das Gefühl haben, dass einzelne Fragen noch sorgfältiger zu behandeln sind, werden wir weitere Experten zu Hearings einladen.“ Grund zur Sorge, was die zu erwartenden Vorschläge betrifft, sieht von Gutzeit im Übrigen nicht. Die Kommission sei ausdrücklich nicht zum Sparen eingesetzt worden, sondern um Vorschläge zu erarbeiten, wie durch kluge Ausnutzung der vorhandenen oder neu zu besetzenden Stellen neue Studienbereiche zu erschließen wären und die Qualität der Ausbildung für die Zukunft gesichert werden könne.
Zu ergänzen wäre, dass selbst wenn die sich anbahnende Konzentration von Studienangeboten keine Schließungen zur Folge haben, sondern sich darauf beschränken sollte, bestimmte Fachgebiete nur an ausgewählten Standorten anzubieten, diese Zukunft den Studierenden möglicherweise aber auch ein höheres Maß an Mobilität auf den verknoteten NRW-Verkehrsnetzen abverlangen wird als bisher.
mhs-aachen.de
hfm-detmold.de
hfm-dortmund.de
rsh-duesseldorf.de
folkwang-hochschule.de (mit Informationen zur Abteilung Duisburg)
mhs-koeln.de
mhs-muenster.de
mhs-wuppertal.de