Seit fast 40 Jahren sind die deutschen Jazzmusiker in der Union Deutscher Jazzmusiker (UDJ) auch auf politischer Ebene organisiert. Erklärtes Ziel ist, dem deutschen Jazz „den angemessenen gesellschaftlichen Stellenwert in der deutschen und europäischen Kulturvielfalt zu verschaffen“. Spielstättenförderung oder die kritische Versorgungslage von Musikern sind Langzeit-Themen der UDJ, ihre Vorstöße in die Öffentlichkeit waren in der Vergangenheit jedoch recht überschaubar. Im Dezember 2011 haben einige Berliner Jazzmusiker mit der Unterschriftenaktion „Initiative für einen starken Jazz in Deutschland“ für wesentlich mehr Wirbel gesorgt, als der UDJ das in den letzten Jahren gelungen ist. Damit führten die Aktivisten gewissermaßen eine „friedliche Revolution“ herbei, denn neben einer Grundsicherung für Musiker und Festgagen bei Konzerten forderten sie auch eine grundlegende Reform der UDJ, um deren Schlagkraft zu erhöhen. Der Strukturwandel wurde nun Anfang 2012 mit einem Wechsel im Vorstand der UDJ vollzogen, die Ziele der „Initiative für einen starken Jazz in Deutschland“ wurden übernommen. Die neue Vorsitzende ist die Pianistin Julia Hülsmann, Mitinitiatorin der Initiative.
neue musikzeitung: Frau Hülsmann, die deutsche Jazzszene ist von einem kleinen Erdbeben erschüttert worden, das von Berlin ausgehend immerhin das sanft schlummernde Gemüsebeet UDJ umgepflügt hat. So eine Initiative wie die Ihre gründet sich nicht von ungefähr. Musste der Leidensdruck der deutschen Jazzmusiker erst groß genug werden, dass sie sich dazu aufraffen konnten, ein paar Steine umzudrehen?
Julia Hülsmann: Es hat sich tatsächlich ein gewisser Leidensdruck aufgebaut, letztlich war es aber vor allem die Erkenntnis, dass man durch Abwarten nichts erreicht und man etwas tun muss, um gehört zu werden. Die Zeit war einfach reif dafür, und man hat eben auch gemerkt, dass es einen frischen Wind bei den Mitgliederversammlungen der UDJ gab. Auch der damalige erste Vorsitzende Manfred Schoof hat das gespürt und sich darüber gefreut.
nmz: Seit Anfang 2012 führen nun Sie die Union Deutscher Jazzmusiker an. Manfred Schoof hat seinen Platz geräumt, Peter Ortmann verbleibt gewissermaßen als Bindeglied zur „alten Garde“ im Vorstand, die restlichen Posten im vergrößerten Gremium sind mit jüngeren Musikern besetzt, die zum Teil erst kürzlich zur UDJ gestoßen sind. Ein Generationenwechsel, der auch neue Zielsetzungen mit sich bringt?
Hülsmann: Ich bin mir nicht sicher, ob unsere Ziele wirklich neu sind. Ich habe eher das Gefühl, viele Wünsche und auch Probleme waren schon vor 40 Jahren da. Aber wir gehen das jetzt mit neuer Kraft und neuem Mut an. Zunächst haben wir verschiede Arbeitsgruppen auf den Weg gebracht, die für uns bestimmte Kernthemen erarbeiten sollen.
nmz: Welche Kernthemen sind das?
Hülsmann: Ein Thema ist die Jazzförderung im europäischen Ausland. Unsere Arbeitsgruppe soll recherchieren, welche Modelle es diesbezüglich in Frankreich gibt, oder in Skandinavien, das in dieser Hinsicht immer gerne als Vorbild genannt wird. Wir suchen also auf europäischer Ebene nach Ideen, die auch in Deutschland umsetzbar wären, wobei uns klar ist, dass wir nicht alles einfach kopieren können. Aber wir wollen uns Anregungen für neue Lösungen holen und uns andere Blickwinkel erschließen.
nmz: Ist die deutsche Fördersituation denn so schlimm im europäischen Vergleich? Sind wir ein jazzförderpolitisches Entwicklungsland?
Hülsmann: Ja, das sind wir eindeutig, zumindest was den Jazzexport angeht. Es hakt bei uns daran, dass ausländische Veranstalter deutsche Bands kaum buchen, weil sie teurer sind als Bands aus anderen europäischen Ländern, wie eben den skandinavischen, bei denen die Reisekosten für Auslandskonzerte vom Staat übernommen werden. Es gibt bei uns natürlich das Goethe-Institut, das Fahrtkosten auf Konzertreisen deutscher Bands übernimmt, aber das ist ja der gesonderte Bereich Kulturaustausch. Was uns vorschwebt, ist, dass deutsche Bands auf allen wichtigen Festivals im Ausland spielen. Wenn deutsche Musiker von einem australischen Festival eingeladen werden und sie dann nicht dort spielen können, weil man hier die Chance nicht erkennt, deutsche Kultur ins Ausland zu bringen, ist das wirklich sehr schade.
nmz: Das German Jazz Meeting, ein Showroom für deutsche Bands bei der Bremer Jazzmesse jazzahead!, versucht seit einigen Jahren, genau diesen Jazzexport anzukurbeln. Hat das bisher nichts bewirkt?
Hülsmann: Glücklicherweise gibt es diese Konzerte nach wie vor, und auch die jazzahead! wächst weiter und wird international immer wichtiger. Allerdings bräuchte man hier eine intensive Nachbereitung, die auch Agenten, Labels und die Bundespolitik mit einschließt. Denn Exportförderung ist etwas, das die Länder sich nicht leisten können, das ist Aufgabe des Bundes.
nmz: Hat die UDJ schon Kontakte zur Bundespolitik geknüpft?
Hülsmann: Ja, wir sprechen konkret mit der Initiative Musik und hatten zusammen mit der Bundeskonferenz Jazz auch schon eine Anhörung vor dem Kulturausschuss des Bundestages.
nmz: Sie sprachen von mehreren Arbeitsgruppen. Was steht noch auf Ihrer Agenda?
Hülsmann: Eine weitere Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit der bereits bekannten Forderung der Spielstättenförderung und dem schwierigen Thema der Mindestgagen.
nmz: Bei dieser Forderung dürfte Ihnen vonseiten der Veranstalter ein scharfer Wind entgegenwehen ...
Hülsmann: ... gerade deshalb sitzen wir zusammen mit Club- und Festivalbetreibern an einem Tisch und versuchen, miteinander Lösungen zu entwickeln. Es ist klar, dass die Forderung keine konkrete Summe X für alle Veranstalter sein kann. Dass aber 20 Euro pro Musiker am Abend auch keine Verdienstgrundlage sind, dürfte auch jedem klar sein. Wenn man sich überlegt, dass ein Festival ein höheres Gagenniveau haben muss, als ein kleiner Club, ist man schon ein Stück weiter, so wollen wir Richtlinien in dieser Frage finden.
nmz: In den Zielformulierungen der UDJ wird auch der Bildungsbereich angesprochen. Stichwort: Jazz in der Schule.
Hülsmann: Wir sind der Ansicht, dass die Idee des Jazz, also die Idee der Improvisation im Unterricht einen Platz haben muss. Dabei geht es uns nicht darum, dass ein Schulkind Jazzgeschichte lernt und wissen muss, wer Dizzy Gillespie war. Vielmehr geht es um den Umgang mit Kreativität, darum, etwas Eigenes zu kreieren. In Deutschland wurden entsprechende Projekte bereits von Einzelkämpfern wie Gunter Hampel gestartet. Wir wollen weitere Modelle finden, die wir den Schulen als Workshop-Projekte anbieten können. Wir wollen so einen Gegenpol zu der überall stattfindenden Vereinheitlichung in den Lehrplänen aufbauen.
nmz: Denken Sie neben Workshops auch an ein Einwirken auf die Lehrerausbildung an Hochschulen?
Hülsmann: Ja sicher, ich glaube, dass der Jazz im Schulbereich in Zukunft immer wichtiger werden wird. Es gibt noch nicht viele Hochschulen, die ein Schulmusikstudium mit Schwerpunkt Jazz/Rock/Pop anbieten, Beispiele wären hier Hannover und Köln, aber es entwickeln sich bereits ähnliche Programme an anderen Hochschulen. Ich habe von meinen Studenten die Rückmeldung bekommen, dass Lehramtsstudenten mit einer breiten stilistischen Aufstellung, die Klassik und Popularmusik umfasst, später sehr gute Jobaussichten haben. Einfach, weil sie durch ihre enorme Flexibilität für sehr unterschiedliche Projekte und Ensembles einsetzbar sind.
nmz: Es gibt noch weitere Forderungen, die Sie aufgestellt haben. Da ist von mindestens vier ausfinanzierten Jazzhäusern, vergleichbar einem Opernhaus, die Rede, die Künstlersozialkasse soll um eine Rechtsschutzversicherung erweitert werden, darüber hinaus soll mehr Jazz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gespielt und die Presse generell wieder mehr an das ungeliebte Thema „Jazz“ herangeführt werden. Haben Sie nicht Angst, bei dieser Themenfülle den Überblick zu verlieren?
Hülsmann: Stimmt, wir bearbeiten gerade so viele verschiedene Themen, dass wir aufpassen müssen, uns nicht zu verzetteln. Unser Vorstand allein kann das nicht stemmen, wir brauchen darüber hinaus einfach viele Leute, die mithelfen, viele Ideen, die uns weiterbringen. Wir müssen uns natürlich auch auf das besinnen, was wir am besten können – improvisieren!
nmz: Wobei die Improvisation im Jazz durchaus planvoller angelegt ist, als gemeinhin angenommen wird ...
Hülsmann: Allerdings, man kann nicht aus dem Nichts heraus spielen. Ziel der Improvisation ist aber auch, Neues zu schaffen. Das wollen wir tun und unser nächstes konkretes Ziel ist dabei die jazzahead! im April, wo wir einen Stand haben und viele Gespräche führen werden. Den Schwung, den wir immer noch haben, wollen wir behalten und damit erst richtig ins Laufen kommen.
Das Gespräch führte Jörg Lichtinger