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Großes Musikdrama als Kammerspiel: Die Bühne des Mindener Stadttheaters kann auch Wagner. Foto: Dorothée Rapp
Großes Musikdrama als Kammerspiel: Die Bühne des Mindener Stadttheaters kann auch Wagner. Foto: Dorothée Rapp
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Wo das Rheingold zum Wesergold wird

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Im ostwestfälischen Minden hat man sich mit Erfolg an den Ring getraut
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Minden im September 2015. Wer durch die beschauliche Stadt in Ostwestfalen läuft, dem begegnen auf Schritt und Tritt große dunkelblaue Plakate. Oben ein heller Vollmond, dessen Licht sich in einer Wasserfläche spiegelt. In großer breiter Schrift dann „Das Rheingold“ und, etwas kleiner, „Der Ring des Nibelungen“. Richard Wagners „Ring“ in Minden? Man staunt und reibt sich verwundert die Augen.

Sicher, Minden hat ein Stadttheater. Ein sehr schönes sogar – gut hundert Jahre alt, mit einem attraktiven Programm und mit über 500 Plätzen nicht gerade klein. Aber wie soll Oper gehen in diesem Haus mit doch eher bescheidener Bühnentechnik? Keine Hebepodeste, kaum Züge, von einer Drehscheibe schon gar nicht zu reden. Und erst der Orchestergraben: viel zu klein für Wagner. Dennoch traut Minden sich an den „Ring“. Ohne eigenes Ensemble, ohne eigenes Or-chester. Motor dieses Unterfangens ist der örtliche Wagner-Verband und vor allem dessen energiegeladene Vorsitzende Jutta Winckler. „Wir schaffen das“, sagt sie. Und sie dürfte Recht behalten. Denn die Wagner-begeisterte Juristin und ihre Mitstreiter betreten mit dem „Ring“ keineswegs musiktheatralisches Neuland in ihrer Heimatstadt. Im Gegenteil: Die Umsetzung von Wagners Tetralogie ist so etwas wie die logische Konsequenz der bemerkenswerten Verbandsarbeit der letzten dreizehn Jahre. Denn die Mindener haben in dieser zurückliegenden Zeit bereits stolze vier Opernproduktionen „gestemmt“ und dabei jede Menge Erfahrung gesammelt.

Alles begann im Jahr 2002. Da beschenkte der Wagner-Verband sich selbst zu seinem 90. Geburtstag mit einer ersten auf das Haus zugeschnittenen Inszenierung: „Der fliegende Holländer“. Und siehe da: es funktionierte. Das machte Mut, weitere Projekte in Angriff zu nehmen. So folgte drei Jahre nach dem „Holländer“ Wagners „Tannhäuser“ in der Inszenierung von Keith Warner, 2009 der „Lohengrin“, den John Dew herausbrachte, und schließlich 2012 „Tristan und Isolde“. Dafür zeichnete Matthias von Stegmann als Regisseur verantwortlich. Dass dann irgendwann einmal auch der „Ring“ auf der Agenda stehen würde, konnte man absehen. Im September nun war es so weit und „Das Rheingold“ ging über die Bühne. A propos Bühne: die war, ist und bleibt eine echte Herausforderung. Möglichkeiten für großartige Effekte und schnelle Kulissenwechsel sind da nämlich sehr eingeschränkt, auch gibt es nicht viel Raum für Bewegung. Das Orchester – von Anfang an als Partner mit dabei: die Nordwestdeutsche Philharmonie Herford – sitzt am hinteren Rand der Bühne, der restliche Platz davor und der kleine hochgefahrene Orchestergraben müssen als Spielfläche ausreichen. Gerd Heinz, Altmeister des Theaters und Regisseur des Mindener „Rings“, nennt diese Fläche mit einem Augenzwinkern „Nudelbrett“ oder „ein kleines Wohnzimmer“. Aber er begreift, wie schon seine Kollegen der früheren Inszenierungen, diese Einschränkung nicht als Mangel sondern als Chance. Er macht aus Wagners großem Musikdrama ein Kammerspiel, profitiert geradezu von der Enge der Bühne und zeigt, dass es wesentlich nicht um tolle Bilder, viel Bühnenzauber wie Feuer, Nebel oder Wasser geht, sondern um die Beziehungen der Figuren, die da agieren. Ausstatter Frank Philipp Schlößmann hat dazu einen überdimensionalen Ring in das fast quadratische Bühnenportal gesetzt, eine Wendeltreppe installiert, die hinauf in den Rang führt. Ein kleiner Felsen als Requisite für Alberich und die Rheintöchter, dazu noch kurze, sinnfällige Videosequenzen von Matthias Lippert – das war’s.

Und das Publikum sitzt ganz nahe dran, geht sozusagen auf Tuchfühlung mit Alberich und Mime, mit Wotan und Fricka und all den übrigen Akteuren. Viel intimer kann man sich ein „Rheingold“ kaum vorstellen, zumal nahezu jedes gesungene Wort textverständlich herüberkommt. Und gesungen wird ganz großartig. Von einem Ensemble, dass wie immer eigens für diese Produktion zusammengestellt wurde. Renatus Mészár als Wotan, Thomas Mohr als Loge, Dan Karlström in der Rolle des Mime (eine Idealbesetzung!), Kathrin Göring als Fricka. Heiko Trinsinger hat in der Vergangenheit in Minden bereits den Wolfram (im „Tannhäuser“) und den Telramund (im „Lohengrin“) gegeben. Nun ist er als Alberich mit im Team. Auch alle anderen Ensemblemitglieder singen und spielen auf absolut hohem und professionellem Niveau, ganz zu schweigen von der Nordwestdeutschen Philharmonie unter Gastdirigent Frank Beermann. Da wird fein nuanciert und rundum sängerfreundlich musiziert.

Wagner-Oper in Minden: das ist für sich genommen schon eine Attraktion. Noch erstaunlicher aber ist, wie der Wagner-Verband ein solches Ereignis in die Bevölkerung hineinträgt – auch dieses Jahr wieder. Denn schon etliche Monate vor dem Premierentermin war der „Ring“ nachgerade Stadtgespräch, dank eines bereits im Januar 2015 gestarteten Rahmenprogramms mit vielfältigen Angeboten für unterschiedlichste Zielgruppen. Auch für Kinder und Jugendliche, die sich in ihren jeweiligen Schulen mit dem Thema „Ring des Nibelungen“ auseinandergesetzt haben – und bei den sieben „Rheingold“-Aufführungen zum Teil als Statisten mit auf der Bühne agierten. Diverse Einführungsvorträge beleuchteten die Interpretations- und Inszenierungsgeschichte oder stellten die Frage „Was hat ‚Das Rheingold‘ mit der aktuellen Finanzkrise zu tun?“ Barbara Salesch, die in der Nähe von Minden wohnt und als ehemalige Fernseh-Richterin einem Millionenpublikum bekannt ist, mobilisierte ihr uraltes Talent als Malerin und ließ sich vom „Rheingold“ zu neuen Arbeiten inspirieren, die im Theaterfoyer zu sehen waren. Eine von vornherein geplante geschlossene Schulvorstellung war im Nu überbucht und man musste zusätzlich auf die Generalprobe ausweichen.

Der Auftakt zum „Ring“: alles andere als ein Event nur für die Gutsituierten, eher für die ganze Bandbreite der Menschen vor Ort. Getragen von Sponsoren und vor allem vielen einzelnen Personen, die hier bürgerschaftliches Engagement beweisen. Und das geht weiter: Am „Ring“ wird nun Jahr für Jahr weiter gearbeitet. Bis zur zyklischen Aufführung im Herbst 2019. Das schaffen die Mindener, garantiert!

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