Um als aktiver Konsument dieses Stichwort und damit seinesgleichen zu finden, bedient man sich trotzdem immer noch zunächst der einschlägigen medialen Organe und entdeckt Radiosender und Print-Magazine, die subkulturelle Arbeit leisten.
Es ist der Traum einer jeden sich subversiv empfindenden Kulturszene und ihrer Repräsentanten, eine Heimat für Gleichgesinnte zu sein, eine Art Familie zu schaffen. Denn die Distanzierung von den konventionellen ästhetischen Maßstäben und Trends – die sich in der Regel in Werbung, Zeitgeistmagazinen, TV-Kultursendungen und Musikvideos äußern – macht schnell einsam. Da dient das Internet trotz aller bannerüberfluteten Kommerzialisierung durchaus mal als Lebenshilfe, denn man braucht nur ein bestimmtes Stichwort, einen Namen, um einen Zugang zu den Nischen der Massenkultur zu entdecken. Um als aktiver Konsument dieses Stichwort und damit seinesgleichen zu finden, bedient man sich trotzdem immer noch zunächst der einschlägigen medialen Organe und entdeckt Radiosender und Print-Magazine, die subkulturelle Arbeit leisten. Die wiederum sehen eine ihrer Aufgaben darin, für ihre Klientel individuelle Identifikationsfiguren aufzutreiben und diese am besten gleich per diskursiver Porträtierung als „role models“ zu installieren. Diese role models funktionieren nur über einen begrenzten Zeitraum, denn sie definieren sich über eine gewisse Frische, über Exklusivität und Authentizität. Sie sollten „echt“ sein in dem Sinne, dass der Glamour, den sie als Kunst-Figuren versprühen, gleichzeitig die Persönlichkeiten dahinter und ihre Lebensumstände beleuchtet. Sie sollten eine stabile Verweigerungshaltung gegenüber dem herrschenden Profitdenken an den Tag legen, sie sollten etablierte Marktstrukturen in Frage stellen beziehungsweise gleich unterwandern, und sie sollten diese Ansätze natürlich mit ästhetischen Konzepten thematisieren, die enorm Spaß machen. Und auf jeden Fall sollten sie selbst daran interessiert sein, dem Bedürfnis nach subkultureller Heimat entgegenzukommen, interessiert sein, Kontakte und autark funktionierende, lebendige Netzwerke zu schaffen. Kurz: Sie sollten sein wie die Chicks On Speed aus München. Das Stichwort ist gefunden, und jeder Text, Artikel oder Beitrag zu diesem Thema bot auch gleich die Adresse an, den fulminanten Einstieg in dieses Netzwerk: www.chicksonspeed.comFantastisch, wie es für Kiki Moorse (aufgewachsen in München), Melissa Logan (ursprünglich aus New York) und Alex Murray-Leslie (sie stammt aus Sydney) geklappt hat. Innerhalb eines guten Jahres sah das rastlose „Kollektiv“ (Selbstbeschreibung), das vor fünf Jahren zusammenkam, sich europaweit von allen möglichen subkulturellen Szenen entdeckt und gefeiert, bis hin zur Absegnung durch den britischen New Musical Express. Und sie genießen es. Es gibt kaum ein Foto, das sie nicht lachend oder in euphorischen Partyposen zeigt. Sie stellen sich gerne langen Interviews, probierten im April ein Musikergespräch als Titelstory in der nach wie vor als Sprachrohr der deutschen Szene geltenden Spex oder erschienen zur Veröffentlichung ihres Debüt-Albums „Chicks On Speed will save us all!“ (CoS Records/EFA) im Dancefloor-Magazin Groove einfach nur mit einer Foto-Modestrecke, in selbstgeschneiderten Modellen.
Das Selbstschneidern ist als vom Punk inspirierte Aufforderung zum Do-It-Youself entscheidend. Es stand von Beginn an im Zentrum des ästhetischen Konzeptes der Chicks On Speed – schon als sie mit immer neuen Aktionen die Münchner Off-Szene, Galerien, Clubs und Undergound-Gastronomien aufmischten. Musik, Mode und Kunst sind dabei gleichwichtige Elemente, auch wenn das Trio live auftritt. Für ihre Musik-Veröffentlichungen, zunächst als Kassetten oder Vinylsingles in geringen Auflagen, gründeteten sie eigene Label. Die optische Gestaltung ihrer Veröffentlichungen ist als rauher Konter gegen digitales Edeldesign grundsätzlich schön krakelig. Die Debütplatte zieren Schnittmuster für Kleider aus Papier oder Leder. Dementsprechend gebärdet sich die Musik als wilde und immer wieder club-taugliche Cut-up-Collage aus Disco-Spaß und elektronischem Lärm, mit eindeutigen Rückgriffen auf weibliche Protagonistinnen der Punk- und Wave-Ära wie die englische Band Delta 5 oder Malaria aus Berlin.
Im Internet offenbart sich zum Beispiel diese eigene Verankerung in der alternativen Pophistorie so schillernd wie einleuchtend. Das soziale/künstlerische Netzwerk der Chicks On Speed funktioniert schon allein deshalb blendend, weil das technische Netz so opulent gepflegt wird. Die Domain – mit einer Startseite, die erneut die Schnipselästhetik manifestiert – dokumentiert mit Interviews, Diskografien und Tourtagebüchern sorgfältig und liebevoll die weitreichenden Verflechtungen.
Und natürlich mit Links. Permanent stolpert man über die markierten Stichworte, landet über „Delta 5“ in den Gefilden des feministischen Underground-Rock, und man lernt alles über die DJs, Produzenten, Musiker und deren Umfeld kennen, mit denen die Chicks On Speed europaweit zusammenarbeiten: Immerhin haben klangvolle Namen wie DJ Hell oder Patrick Pulsinger ihren guten Ruf vorangetrieben. Man erfährt aber auch von interessanten Festivals in Marseille, von großen Techno-Veranstaltungen in Zürich oder lernt, dass es in Jerusalem ein kleines Galerie- und Subkultur-Festival namens „Trash“ gibt, bei dem sich die Chicks On Speed offensichtlich sehr wohl gefühlt haben.
Das interessiert aber nicht nur die Freunde des Subversiven. Die Zugriffe der Scouts aus den etablierten Kulturwelten häufen sich, und das Stichwort „Chicks On Speed“ verliert mit der Zeit seinen subkulturellen Charakter. Auf einmal greifen die Abgrenzungsmechanismen der heimeligen Szene nicht mehr so perfekt. Die Chicks On Speed sind längst in aller Munde, und sie sind es nach wie vor gern. Jedes Lifestyle-Blatt und Feuilleton hat sie mittlerweile entdeckt, sie selbst sind jetzt erst einmal ins angesagte Berlin gezogen.
Und wenn sie im Juni schon nicht nur im Rahmen des Sonar-Festivals in Barcelona, sondern auch auf der Expo 2000 aufgetreten sind, werden sie in diesen diffusen Bereichen zwischen Sub- und Hochkultur als role model für die erstere nicht mehr lange funktionieren. Dort sind schon erste Sättigungserscheinungen zu spüren, denn das Wohlwollen, das den Chicks On Speed allerorten entgegensprüht sowie die Tatsache, dass sie sich der allgemeinen Vereinnahmung nicht massiv entgegenstemmen, sprengt einerseits den familiären Rahmen, andererseits befriedigt es nicht den diskursiven Bedarf der Szene. Was ist schon interessant, wenn sich alle darauf einigen können. Bestimmte Automatismen sind da vorauszusehen: Die Chicks On Speed werden bald in die höheren Sphären entlassen, in den unteren beginnt erneut die Suche nach den nächsten Identifikationsmodellen. Die Domain gestaltet sich mit der Zeit so unübersichtlich, dass die Pflege und Aktualisierung vernachlässigt wird. Sie gerinnt zu einem historischen Dokument im Netz, zu einer der Ruinen, von denen schon unzählige auf unzähligen Servern lagern. Nach einiger Zeit (Monaten? Jahren?) haben Kiki, Melissa und Alex selbst genug von dem Wirbel, ziehen sich in den Schoß der Subkultur zurück und werden dort, wahrscheinlich mit Soloprojekten, irgendwann wieder entdeckt. Und auf einmal wird da dann wieder ein aktueller Eintrag sein, wenn man – weil’s einem zufällig gerade einfällt – das gute alte Stichwort in die Suchmaschine tippt. Der Zyklus beginnt von vorn.