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Nicholas Isherwood als Tribun in der Kagel-Produktion der Berliner Staatsoper im Schillertheater. Foto: Barbara Braun
Nicholas Isherwood als Tribun in der Kagel-Produktion der Berliner Staatsoper im Schillertheater. Foto: Barbara Braun
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Auch Miss Piggy ist ein Tribun: Mauricio Kagels Politsatire mit Vorspiel von John Cage an der Berliner Staatsoper

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Während Mauricio Kagels 1979 im WDR produzierter „Tribun – für einen politischen Redner, Marschklänge und Lautsprecher“ sich unmissverständlich gegen östliche Gewaltherrschaft richtet, ohne dabei über echte musikalische Entwicklung des Materials und über zündenden Witz zu verfügen, versucht die Neuproduktion der der Berliner Staatsoper dem politischen Affen mächtig Zucker zu geben, – in Form von Fast Food, Ketchup und Senf.

Betritt der Zuschauer den Spielort Werkstatt, das Kleine Haus des Schillertheaters, so fühlt er sich in ein Bierzelt versetzt: zu Volksmusik aus der Konserve servieren bayerische Kellnerinnen. Während John Cages „Credo in US“ für Klavier, zwei Schlagzeuger und Radio, als ein thematisch nicht unverwandtes Vorspiel zur Haupthandlung ertönt, mampft auf einem Podest der US-amerikanische Bassbariton Nicholas Isherwood Burger und Pommes. Als Tribun, zunächst mit Brille, Hakennase und Hitlerbärtchen, wendet er sich dann an die Bürger als sein Volk.

Die zweifelhafte Zuneigung des Tribuns gilt aber auch Kuscheltieren, die er („Ich bin euer Adler!“), bedeckt mit Wuschelkopfperücke auf seinem Tisch kopulieren lässt, während ein Pluto mit langer, roter Zunge den Senf auf dem Hintern des Männchens leckt. Aus einem Karton inmitten paketbandumklebter Möbel (Ausstattung. Christoph Ernst) fischt der Protagonist immer wieder neue Kostüme und Masken. Zunächst im blauen Anzug und mit roten Stöckelschuhen, dann mit Schweinenase und Barbiepuppe („Vereinigt euch und eure Produkte!“), im Kleid als Miss Piggy („Auch ein Atheist!“), als langhaariger Admiral und als Zombie mit Kopfschuss. Schließlich schießt er in weißer Unterhose um sich und besprüht sich mit Ketchup.

Nicholas Isherwood, der diese Rolle in Frankreich auch schon auf Französisch gespielt hat, trägt den Abend monodramatisch. Er deklamiert den von Kagel als Nonsens-Kombination politischer Reden collagierten Text mit Microport in nahezu akzentfreiem Deutsch, sieht man davon ab, dass er – wohl mit gezielter Absicht – das Wort „Nation“ jeweils als „Nazi-On“ artikuliert.

Bestand die Aggression dieses Kagelschen Musiktheaters ursprünglich in der unangenehm lauten Verstärkung der Volksmassen-Reaktion per Knopfdruck, so verzichtet die Berliner Neuinszenierung auf die historischen Zuspielbänder der Hörspiel-Fassung. Damit entfallen auch die vom Tribun manipulierten Applaus-Salven. Unter der musikalischen Leitung von Günther Albers, der zuvor den Wechsel von virtuosen Klavierpassagen und präpariertem Klavierklang bei Cage nuanciert ausgeführt hat, spielen neun Mitglieder der Staatskapelle Berlin in Dirndl und Lederhosen.

Wie Kagel mit seinen Notizen auf über 500 Karteikarten den Text für seinen „Tribun“ collagiert hatte, so beschreitet nun die Neuinszenierung von Thorsten Cölle den Weg der Collage in einer veränderten Abfolge der Texte. Auch die Musikeinsätze, die vom Komponisten als „10 Märsche um den Sieg zu verfehlen“ separat herausgegeben wurden, sind in der Neuproduktion neu collagiert. Wiederholt erklingt der durch des Diktators Befehle „Stop“ und „Ab“ wirkungsvoll ständig angehaltene und wieder abgefahrene vierte Marsch und bildet auch das Ende der Aufführung.

Das sommerliche, eher überalterte Publikum hatte Spaß an den Kontaktaufnahmen des ambivalent witzelnden Gewaltherrschers im biergeschwängerten Opernrahmen.

Weitere Vorstellungen: 10., 11., 15. Juni 2011

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