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Unterwegs zwischen den Zeitebenen: Detlef Roth (Amfortas) und Simon O’Neill (Parsifal) in Stefan Herheims Bayreuther Parsifal-Deutung. Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
Unterwegs zwischen den Zeitebenen: Detlef Roth (Amfortas) und Simon O’Neill (Parsifal) in Stefan Herheims Bayreuther Parsifal-Deutung. Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
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Beflügelte Raum- und Zeitreise: „Parsifal“-Premiere bei den Bayreuther Festspielen

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Nietzsches Vorwurf gegen Wagner, ein stets mehrdeutiger Zauberer zu sein, trifft vor allem für „Parsifal“ zu. Tatsächlich hat Wagner in seinem „Weltabschiedswerk“ extrem viele Schichten übereinander gehäuft, wohl auch um seiner Gattin Cosima, die ihm in die vorausgegangenen Werke hineingepfuscht hatte, zu überlisten. Regisseur Stefan Herheim gelingt es in seiner Bayreuther Inszenierung, eine Vielzahl dieser übereinander gelagerten Schichten gleichzeitig und dabei auch in sich stimmig umzusetzen. Der immense Erfolg dieser Produktion, die obendrein noch die (Rezeptions-)Geschichte der Bayreuther Festspiele selbst ins Bild setzt, gibt seiner Vorgehensweise Recht.

Dabei sind die Veränderungen der bereits im ersten Jahr verblüffend schlüssigen und exakt ausgearbeiteten szenischen Deutung marginal. Beim wiederholten Sehen kann sich der Betrachter dieser Zeitreise durch die deutsche und die Bayreuther Geschichte von 1882 bis 1951 auf Details konzentrieren.

Gurnemanz’ Erklärung „zum Raum wird hier die Zeit“, ist das Schlüsselwort für die ständigen Veränderungen der Zeitebenen zwischen der Geschichte des jungen Parsifal einerseits und den von Gurnemanz und Kundry berichteten, hier ins Bild gesetzten Vorgeschichten andererseits, sowie der konkreten Bayreuther Historie.

Die rasche Abfolge der sich auf unterschiedlichen Zeitebenen entsprechenden Personen erfolgt zumeist durch die Versenkung im zentralen Bett, in welchem Herzeleide, Kundry und (mit nahezu identischer, roter Haarfarbe!) Amfortas ablösen, aber auch Parsifal, Gurnemanz und Klingsor. Selbst die Badwanne dient in dieser perfekten Zaubershow als Ort der Verwandlung; so erhebt sich daraus der Knabe Parsifal einmal in der Gestalt des greisen Titurel.

Aber auch der Spielort der Innenansicht des Hauses Wahnfried wird ständigen Perspektivwechseln unterzogen, zwischen Drinnen und Draußen und der wiederholten Verwandlung in den historischen Gralstempel. Parsifals sterbende, aber zombiehaft immer wieder lebende Mutter Herzeleide, will nach dem Verlust ihres Mannes ihren jungen Sohn immer wieder zu sich ins Bett ziehen und wird dabei unterstützt von Kundry, die zu diesem Zeitpunkt als Dienstmädchen daselbst arbeitet. Aber auch Amfortas steht in einer Beziehung zu Herzeleide, er gibt ihr aus dem Gralskelch zu trinken und verleiht ihr so neues Leben.

Die Erzählung der „heilig ernste[n] Nacht“ setzt Herheim gleich mit der Heiligen Nacht, also dem Weihnachtsfest, das in Wahnfried stets feierlich (und sogar mit einer eigenen Komposition Wagners) begangen wurde und nun als Lichterbaum aus der Halle in das Schneetreiben des Gartens strahlt.

Hier lustwandelt sich die frühe, elitäre Patronatsgesellschaft, die alles, was im „Parsifal“ besungen wird, intensiv am eigenen Leibe verspürt: Diese frühen beflügelten, weil in Bayreuth wie auf Wolken schwebenden Wagnerianer tragen Gralslampen in Händen, die sie am Grab Wagners im Wahnfriedgarten abstellen. Bewundernd schauen sie bei dem Satz „Dem Heiltum baute er das Heiligtum“ in das sich erleuchtende Auditorium des Festspielhauses. Inmitten rieselnder Blütenblätter vernehmen sie, was in der von Klingsor zum Wonnegarten umgestalteten Wüste Verbotenes passiert und praktizieren dabei selbst Cunnilingus und Fellatio.

Und als Kundrys Luftritt besungen wird, muss das Schaukelpferd des Knaben Parsifal dafür herhalten, das sich die Wagnerianer zuwerfen und am Boden hin und her schubsen. Der Ruf nach einem Helden, als einem ‚Retter für Deutschland’, erfüllt sie alle. Die Schmerzensklänge des Amfortas mischen sich optisch mit den Wehen der Herzeleide, der jüdische Arzt, alias 2. Gralsritter, entbindet den Knaben. Parsifals Beschneidung erfolgt auf dem Gralstisch, und löst – wegen der verwandten Wunde – einen Schmerzensschrei des Amfortas aus. Das Neugeborene wird als erhoffter Erlöser wird wie ein Heiligtum herumgereicht, und die gesteuerte Babypuppe streckt die Arme empor.

Dann tauscht die Gralsgesellschaft der männlichen Bayreuther Patronate des Kaiserreichs ihre wagnerianischen Flügel gegen Tornister und zeiht in den Krieg. Im der zu einem Lazarett umfunktionierten Wahnfried-Halle des zweiten Aufzugs wird der Katzenjammer ob des Kriegsausgangs vom Glamour der Zwanzigerjahre übertüncht. Transvestit Klingsor, der ursprünglich selbst Gralsritter werden sollte, trägt immer noch schwarze Flügel, und Kundry wandelt sich in den Blauen Engel, um Parsifal in Marlene-Dietrich-Maske zu verführen. Direkter wird sie gegenüber dem „gelobte[n] Held“, wenn sie die Herzeleide doubelt und Parsifal an seinen frühen sexuellen Missbrauch durch die Mutter gemahnt. Ihre verzweifelten Bitten an Parsifal, sie zu verstehen und ihr zu helfen („Mitleid mit mir!“) mischen sich mit denen der anderen ahasverisch Ruheloser und Verfolgter, die vor dem Holocaust fliehen wollen.

Aber Parsifal, nun als Hitlerjunge, ist selbst zum Instrument der Macht geworden, das der gereifte Parsifal endlich, zusammen mit seinem Kindheitstrauma, bewältigt. Das Dritte Reich zerbricht und stürzt alles in Chaos. Vor den Trümmern des von einer Bombe getroffenen Hauses Wahnfried soll eine neue Demokratie errichtet werden.

Damit passiert ein großer Sprung ins Neubayreuth Wieland Wagners, an dessen Chiffrensprache nun auch, nach der Opulenz der ersten beiden Aufzüge, der deutlich reduzierte 3. Aufzug gemahnt, mit einer Festspielhausbühne auf der Festspielhausbühne. Die bewusste Ernüchterung in einem primär durch Projektionen gestalteten Neubayreuth wird gesteigert durch farbiges Licht beim Karfreitagszauber und eine Spiegelung des aktuellen Publikums im Zuschauerraum.

Da das Publikum im Nachkriegsbayreuth personell häufig identisch war mit dem der Vorkriegs- und Kriegszeit, hingen die neuen Festspielleier im Jahre 1951 erneut einen Aufruf Siegfried Wagners aus dem Jahre 1924 aus, bitte von politischen Debatten auf dem Festspielhügel abzusehen. Die Projektion dieser Neuauflage durch Wieland und Wolfgang Wagner, als ein nunmehr neues Mittel von Brechts epischem Theater auf der von Heike Scheele gestalteten Bühne, bildet den Übergang zum Schlussbild im Plenarsaal des Deutschen Bundestages.

Diese Dekoration – mit Bundesadler anstelle der vorangegangenen Wappen mit Schwan, Adler und Hakenkreuz – hat allerdings nichts mehr mit Garten und Heimstätte Wagners gemein. Gelächter auf den Rängen der sich befehdenden Parteien beim Doppelchor der Gralsritter, der Sarg Titurels mit der bundesdeutschen Flagge geziert. Amfortas, im schwarzen Anzug. mit nunmehr zur einer kurzen Dornenkronenfrisur gestylten, vordem langen Haaren. Amfortas steckt den Kopf in den Sarg und verbleibt so bis zum Ende.

Parsifal, getreu dem Wagnerschen Anarchismus (und analog zu Sartres Orest in den „Fliegen“) verlässt den Bonner Plenarsaal; dafür erscheint auf der Vorbühne eines seiner Kinder-Doubles, das nun mit Gurnemanz und Kundry eine heile Familienwelt der Fünfzigerjahre des symbolisert.

Alles dies ist auch in musikalischer Hinsicht exakt inszeniert, vom Speermotiv, bis hin zur der als ominöse „Vernichtungspauke“ in die Wagner-Literatur eingangenen, dezenten Klangmischung, mit der Kundry hier wieder einmal – wie in dieser Inszenierung Herzeleide wiederholt – ihr altes Leben aushaucht. Und musikalisch sowie der von Wagner selbst eindeutig intendierten Lesart getreu, zerstört Parsifal nicht etwa Klingsors Reich, wenn er von der Bannung des (Grals-)Zaubers spricht, den er Jesus von Nazareths Heilandsklage folgend, mit dem Wiederbringen des Speers als „Zeichen“ vollführen wird, sondern antizipierend das Modell der von ihm selbst aufgebauten Gralsburg.

Der in keinem Moment langatmigen, stets überaus spannenden Erzählweise kongruent ist das Dirigat von Daniele Gatti, der einmal mehr die Antizipation von Filmmusik durch Richard Wagner hervorkehrt. Wagners Tonsprache löst im Betrachter, hier also auch im Inneren des Haus Wahnfried, filmische Bilder aus, wie den wallenden heiligen See oder die Aufbruchsbegeisterung zu Beginn des Ersten Weltkrieges.

Auch im zweiten Jahr beeindruckt die Mezzosopranistin Susan Maclean als Kundry mehr mit ihrem Spiel als mit ihren Spitzentönen. Kernig und souverän in der Stimmführung bietet Simon O’Neill als neuer Protagonist der Titelpartie eine gesanglich und darstellerisch gleichermaßen glaubhafte Verkörperung der vielschichtigen Partie, wenngleich er im Kostüm der Germania im dritten Aufzug wahrlich keine gute Figur macht. Rhythmisch nicht immer sicher, aber stimmlich faszinierend lebendig ist der stets textverständliche Gurnemanz von Kwangchul Youn. Eindrucksstark agieren Detlef Roth als Amfortas in gebändigter Dramatik und Thomas Jesatko als sein Gegenspieler Klingsor, stimmlich leicht, in gebotener erotischer Ambivalenz.

Dem Hollywood-Gesetz getreu, sind auch die kleinen Partien bestmöglich besetzt, die Knappen Julia Borchaert, Martina Rüping, Christiane Kohl und Ultrike Helzel. Ein Erlebnis ist die Rollenaufwertung des ersten und zweiten Gralsritters zum verzückte Gralspriester durch Arnold Bezuyen und zum Arzt durch Friedemann Röhlig. Das Ensemble der Soloblumen als Krankenschwestern mischt sich stimmlich homogen mit den blumigen Wasserballett-Damen des wiederum stimmgewaltigen und spielfreudigen Festspielchors in der Einstudierung von Eberhard Friedrich. Der Chorleiter verneigte sich, im Gegensatz zum Regieteam, obgleich Regisseur Stefan Herheim durchaus anwesend war.

Kein Buhruf trübte den stürmischen Schlussapplaus des beigeistert trampelnden und applaudierenden Publikums, zu dem auch der bildende Künstler Jonathan Meese, häufiger Ausstatter bei Frank Castorf, angehörte. Der noch unbenannte Bühnen- und Kostümbildner für den „Ring“ im Sommer 2013 scheint also gefunden!

Nächste Aufführungen: 3., 9., 15., 21. und 27. August 2011.

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