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Dirigent an der Krolloper. Otto Klemperer. Briefmarke von 1985.
Dirigent an der Krolloper. Otto Klemperer. Briefmarke von 1985.
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Berliner Krolloper: Hort der Avantgarde – Vor 90 Jahren Start in eine strahlende Ära

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Wo am Rande des Berliner Tiergartens die westliche Sichtachse des Reichstags und die südliche des Bundeskanzleramts aufeinanderstoßen, stand einst die in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts viel beachtete Krolloper. Mit Richard Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ unter der Leitung von Generalmusikdirektor Erich Kleiber (1890–1956) von der Preußischen Staatsoper hatte vor 90 Jahren, am 1. Januar 1924, die strahlende Ära für Berlins damals jüngsten Musikttempel begonnen.

Kleiber und vor allem von 1927 an dessen Kollege Otto Klemperer (1885–1973) drückten dem Haus als Anwälte der musikalischen Avantgarde ihren Stempel auf. In dem nach seinem Besitzer benannten „Krolls Etablissement“ hatten sich die Berliner seit 1844 vergnügt. Geboten wurde nur leichte bis seichte Kost. Nun aber machte die Krolloper wegen ihrer bahnbrechenden Inszenierungen in der Musikwelt Schlagzeilen. Die beiden Dirigenten setzten sich sowohl für die Neuinterpretation klassischer Werke als auch für die moderne Musik ein. So stand am 21. Oktober 1924 Ernst Kreneks (1900-1991) szenische Kantate „Die Zwingburg“ nach einem Text von Franz Werfel (1890-1945) auf dem Programm. Aber bereits 1931 kam das bittere Ende: Die Politiker des Landes Preußen drehten der Krolloper den Geldhahn zu. Nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 führte in dem Gebäude der Ungeist Adolf Hitlers und seines Paladins, des Reichstagspräsidenten Hermann Göring, Regie. Die Krolloper verwahrloste zum Versammlungsort für das braune Scheinparlament.

Der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. hatte anstelle der zuletzt mehr schlecht als recht dahinvegetierenden Vergnügungsstätte, die auch als Ausweichort für die Theater der Stadt dienen musste, ein neues Opernhaus nach seinem spießbürgerlichen Geschmack hochziehen wollen. Der Abriss war schon im Gange, da begann der Erste Weltkrieg. Der Abbruch ruhte und der wilhelminische Opernhausplan wurde bis zum Sankt Nimmerleinstag verschoben. Der traurige Rest des Gebäudes diente nun als Lazarett sowie als Sammellager für Wolle und Lumpen.

Nach dem Untergang des Kaiserreiches machte sich die Volksbühne daran, die Ruine als Opernhaus instandzusetzen. Doch ihr gingen die Mittel aus, so dass der preußische Staat einspringen musste. Das neue Krolltheater nannte sich zunächst „Staatsoper am Königsplatz" und nach der Umbenennung der Freifläche vor dem Parlamentsgebäude 1926 „Staatsoper am Platz der Republik". Für die Berliner war das Haus die Kroll - oder Republikoper. Das Musiktheater mit seinen 2.100 Plätzen unterstand der Preußischen Staatsoper. Es verfügte zunächst über kein eigenes Ensemble oder Orchester, auf Dauer ein unhaltbarer Zustand. Im Herbst 1927 rang sich das preußische Kultusministerium dazu durch, der Außenstelle die künstlerische Selbständigkeit zu geben, sie aber ansonsten weiterhin bei der Generalintendanz der Lindenoper zu belassen. Damit einhergehend berief das Kultusministerium den in Wiesbaden tätigen jüdischen Generalmusikdirektor Klemperer, Cousin des Romanisten und Schriftstellers Victor Klemperer (1881-1960), an das Opernhaus am Tiergarten.

Der Gustav-Mahler-Schüler, der auch selbst Regie führte, stellte sich am 19. November 1927 mit einer fulminanten „Fidelio“-Inszenierung vor. An diese erinnerte sich Zeitzeuge Werner Oehlmann (1901-1985), nach dem Zweiten Weltkrieg Musikkritiker des Berliner „Tagesspiegel", später noch sehr genau: „Wer diese Aufführung erlebt hat, dem ist sie noch heute in allen ihren Einzelzügen gegenwärtig; es war, als sei alles Verhüllende und Verfälschende, was Konvention und Gewohnheit dem Werk angehängt hatten, abgerissen und ausgeschieden, als trete Beethovens Idee in reiner Ursprünglichkeit vor Auge und Ohr." Oehlmann schilderte Einzelheiten: „Das Bühnenbild Ewald Dülbergs war ohne alles naturalistische Detail aus schlichten Elementarformen gefügt und durch Licht charakterisiert; die idyllischen Anfangsszenen in Sonnengelb, der Gefängnishof nebelgrau, der Kerker tief schwarz, das Schlußbild, ein im Halbkreis die Bühne umschließender Stufenaufbau, strahlend weiß. Klemperers Inszenierung hatte große Momente: wenn Pizarro in der Kerkerszene seinen schwarzen, rot gefütterten Mantel auseinanderriß und, rot angestrahlt, als Teufel dastand; wenn beim zweiten Trompetensignal plötzlich ein Lichtquadrat auf den Boden des Kerkerverlieses fiel, als werde oben eine Falltür aufgerissen und dem Retter der Weg geöffnet; wenn der Minister - damals etwas überraschend Neues - ganz in Weiß, in deutlichem Kontrast zum teuflischen Pizarro als irdischer Engel des Lichts erschien; wenn Florestan im Finale bei der raketenartig aufschießenden Triolenfigur der Violinen ekstatisch auf das höchste Podest sprang und – mit ausgestrecktem Arm auf Leonore deutend, den Jubelchor anführte..." Der Beifall war enthusiastisch.

Die Beethoven-Oper und die Neuinszenierungen anderer klassischer Werke wie 1928 die des „Don Giovanni“, 1929 die der „Zauberflöte“ und 1931 die von „Figaros Hochzeit“ setzten Maßstäbe. Für viele Berliner war der „Kapellmeister-Regisseur" nur noch „Kl'Empereur". Um seine Hünengestalt scharte sich eine Reihe kühner Modernisten, zum Beispiel die Regisseure Jürgen Fehling (1885-1968) und Gustav Gründgens (1899-1963) oder der Dramaturg Hans Curjel (1896-1974). Die sensationellen Bühnenbilder lieferten ihm neben dem bereits erwähnten Dülberg (1888-1933) der Bauhaus-Maler Oskar Schlemmer (1888-1943), dessen ungarischer Kollege László Moholy-Nagy (1895-1946) und sogar der italienische Surrealist Giorgio de Chirico (1888-1978).

Am 8. Juni 1929 eröffnete Klemperer die Berliner Festspiele mit der Uraufführung der Hindemith-Oper „Neues vom Tage". In dieser Oper singt eine Darstellerin, in der Badewanne sitzend, eine Arie. Über diese vermeintliche Freizügigkeit der Frau regte sich später ausgerechnet Schürzenjäger Goebbels als Propagandaminster bei seinen Angriffen auf Paul Hindemith künstlich auf. Klemperer war es auch, der am 21. November 1931 in der Philharmonie Hindemiths Oratorium „Das Unaufhörliche" nach Texten von Gottfried Benn mit dem Philharmonischen Orchester, dem Philharmonischen Chor und dem Pianisten Walter Gieseking uraufführte. Schon am 3. November 1927 hatte er Hindemiths Kammermusik Nr. 5 mit dem Komponisten als Solisten in der Krolloper zur Uraufführung gebracht.

Auch die Bühnenwerke Igor Strawinskys (1882-1971) eroberten die Republikoper, wo der Komponist mindestens zwei Mal zu Gast war: Am 17. Juni 1929 schaute er sich die Ballett-Aufführung seines „Apollon Musagète“ während der Berliner Festspiele an und am 23. Januar 1930 trat er als Solist in „Capriccio“, seinem neuesten Werk, auf. Drei Monate zuvor, am 11. Oktober 1929, hatte Klemperer die Aufführung der Strawinsky - Oper „Geschichte vom Soldaten" geleitet. Mit einem Russenkittel bekleidet, dirigierte er das auf die Bühne geholte Orchester. Die Bühnenarbeiter vollzogen vor dem Publikum die Umbauten. Im Zuschauerraum saßen Männer, die im Who´s who der Weltgeschichte ihren Platz gefunden haben: Physik - Nobelpreisträger (1921) Albert Einstein (1879-1955), der päpstliche Nuntius Eugenio Pacelli (1876-1958), von März 1939 an Papst Pius XII., Außenminister Gustav Stresemann (1878-1929), der Schriftsteller Bert Brecht (1898-1956)und der Komponist Kurt Weill (1900-1950). Die Begeisterung bei der Premiere war unbeschreiblich. Am nächsten Tag telegrafierte Klemperer dem Komponisten nach Paris: „Beifall kolossal“. Doch als einige Tage später die Spießbürger des reaktionären Bühnenvolksbundes, nicht zu verwechseln mit der republikanischen Volksbühne, diese Aufführung sahen, bildeten Pfeifen, Gejohle und Zischen die schrille Begleitmusik zu Strawinskys Werk.

Der Chef der Krolloper hauchte aber auch alten Werken neuen Geist ein. Heute unvorstellbar: Als Klemperer am 14. November 1929 einen ganzen Bach-Abend wagte, blieben viele Sitze in der Kroll-Oper leer. Alfred Einstein (1880-1952), der Kritiker des „Berliner Tageblatts“ und Neffe des Nobelpreisträgers, meinte: „Die vielen Hörer, die aus berechtigter Angst vor Johann Sebastian Bach – berechtigt, denn er ist ja der ,modernste‘ Musiker – Otto Klemperers zweites Sinfoniekonzert gemieden haben, haben sich um eins der wirklichen ,Ereignisse‘ des Berliner Konzertwinters gebracht.“ An diesem Abend wagte sich Klemperer auch an das 1. Brandenburgische Konzert heran, das man bis zu diesem Zeitpunkt fast nie im Konzertsaal hörte; die Dirigenten fürchteten nämlich den groben Klang der beiden exponierten Hörner. Einstein lobte Klemperer, weil er diesen Klang transparent gemacht habe.

Das Unglück wollte es, dass die anhaltende schwere Wirtschaftskrise schmerzhafte Einschnitte in den preußischen Etat erforderlich machte. Von den rigorosen Einsparungen war auch der Theater-Etat betroffen. Zur Diskussion standen die Schließung der Krolloper oder die der Theater in Breslau und Königsberg, beides „Vorposten des Deutschtums gegen Polen“, wie es damals auch im Sprachgebrauch der Demokraten hieß. Aus politischen Gründen wollten die Politiker die Häuser im Osten nicht schließen, deshalb musste die Krolloper daran glauben; schließlich verfüge Berlin dann immer noch über zwei Opernhäuser, lautete das Argument.

Für das Schließen der Krolloper machten sich aus durchsichtigen Gründen vor allem die „Völkischen“ stark. In dieser Situation geschah das Unfassbare: Das katholische Zentrum, in Preußen Koalitionspartner der SPD, unterstützte die Reaktionäre. Es hatte sein Wählerpotential vor allem im Westen des Reiches und befürchtete dort ebenfalls Einsparungen an den Theatern in den Städten nahe der französischen und belgischen Grenze. Um diese Gefahr von vornherein auszuschließen, plädierte die katholische Partei für das Ende der Klemperer-Oper. Am 25. März 1931 versetzte der Preußische Landtag mit den Stimmen der Rechtsparteien, des Zentrums und der Deutschen Demokratischen Volkspartei der Krolloper den Todesstoß, nur die Kommunisten waren für den Erhalt. Und die SPD? Sie enthielt sich der Stimme. Kultusminister war damals der Sozialdemokrat Adolf Grimme (1889-1963), nach dem Zweiten Weltkrieg in gleicher Funktion Minister in Niedersachsen und von 1948 bis 1956 Intendant des Nordwestdeutschen Rundfunks. Nach ihm ist der Fernsehpreis des Volkshochschulverbands benannt. Sein Einsatz für den Erhalt des Hauses war nicht der Rede wert. Zu den Totengräbern zählte auch der preußische Finanzminister Hermann Höpker-Aschoff (1883-1954) von der DDVP, er stellte einfach keine Mittel mehr bereit. Nach dem Krieg war er prominentes Mitglied der FDP und von 1951 an der erste Präsident des neu gebildeten Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe.

Die Krolloper schloss am 3. Juli 1931 mit „Figaros Hochzeit“. Das „Berliner Tageblatt“ kommentierte den Abgang von der Kulturbühne Berlins am folgenden Tage so: „...man wollte also keine tragischen Gesichter sehen und in Schönheit sterben.“ Der Musik -Kritiker Hans Heinz Stuckenschmidt (1901-1988) sah das völlig anders: „Es war ein schmerzlicher Abend ... Nie hat man die Grausamkeit, mit der heute politische und wirtschaftliche Mächte in Kulturdinge eingreifen, so stark empfunden ... Dann verloschen die Lichter. Man verließ das Haus ergriffen und bitteren Herzens. Eine Epoche europäischer Opernkultur liegt hinter uns.“

„Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen“ – Berüchtigtes Zitat fiel hier

Zweieinhalb Jahre später okkupierten die Nazis als Ersatz für den ausgebrannten Plenarsaal des Reichstags das Haus. Am 21. März 1933 peitschten sie mit den Stimmen des Zentrums und der Liberalen das Ermächtigungsgesetz durch; die KPD-Abgeordneten waren alle bereits inhaftiert. Die SPD stimmte nach einer dramatischen Rede ihres Fraktionsvorsitzenden Otto Wels (1878-1939) dagegen. Wels hatte Hitler und seiner Partei vor der Abstimmung zugerufen : „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“

Als die Nazis am 1. April ihren ersten großen Pogrom an den Juden begingen, wusste Klemperer, dass er nicht länger in Deutschland bleiben konnte. Drei Tage später bestieg er zusammen mit seiner Ehefrau und vielen anderen jüdischen Leidensgefährten am Anhalter Bahnhof in Kreuzberg den Zug nach Basel. Als der Dirigent am Abend in der Schweiz angelangt war, fühlte er sich so erleichtert „wie die Juden nach der Durchquerung des Roten Meeres“.1935 wanderte er mit seiner Familie in die USA aus, wo er in Los Angeles das Philharmonic Orchestra leitete. Er entwickelte sich nun zu einem großen Interpreten der Werke seines Lehrers Gustav Mahler. Er starb in Zürich, wo er auf dem israelitischen Friedhof Oberer Friesenberg bestattet wurde.

Am 30. Januar 1939 kündigte Hitler in der ehemaligen Krolloper in einer vom Rundfunk übertragenen Rede den Juden in Europa bei Ausbruch eines Krieges ihre Ermordung an. Wörtlich sagte er: „Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.“ Vom Podium der Krolloper aus erklärte der Diktator am 1. September 1939 Polen den Krieg: „Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen. Und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten!“ Der Zweite Weltkrieg begann. Nach der Zerstörung der Lindenoper durch britische Bomben am 10. April 1941 wich die Staatsoper auf die Krolloper aus, da Hitler zwischenzeitlich sein Scheinparlament nicht einmal als Staffage benötigte. Bei dem großen Bombenangriff auf Berlin am 22. November 1943 wurde auch die Krolloper so schwer beschädigt, dass ein Spielbetrieb nicht mehr möglich war. Eine Abrisskolonne beseitigte im Mai 1957 die letzten Ruinenreste.

Die Reste der Krolloper deckt der grüne Rasen. Dort macht seit August 2007 eine Informations - und Gedenktafel auf die bewegte Geschichte des Hauses aufmerksam.

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