Mehr kann ein in seinem Hauptprogramm, der Oper auf dem See, populär ausgerichtetes Festival wohl nicht für einen lebenden Komponisten tun als die Bregenzer Festspiele in diesem Jahre für die 1954 geborene schottische Komponistin Judith Weir. Das Programmheft präsentiert sie in einer Vielfalt von 15 Abbildungen, und neben der Uraufführung der Oper „Achterbahn“ im großen Festspielhaus, erklingen in drei Konzerten symphonische Werke und Kammermusik. In der „Kammeroper der Bregenzer Festspiele“, dem Theater am Kornmarkt, welches in den Vorjahren als Ort für ungewöhnliche Operettenausgrabungen diente, erlebte nun auch Judith Weirs besonders viel gespielte Oper „Der blonde Eckbert“ ihre Vorarlberger Premiere.
Die 1994 als abendfüllendes Auftragswerk der English National Opera uraufgeführte Oper wurde in einer zwei Jahre erfolgten verkürzten und orchestral reduzierten Fassung, der s „Taschenversion“, durch Aufführungen kleinerer Ensembles zu einer der meistgespielten zeitgenössischen Opern in Großbritannien.
Dabei erweist sich Judith Weir mit ihren Stoffen zumeist als literarisch germanophil. So hat sie auch Jeremias Gotthelfs „Die schwarze Spinne“ (deutsche Erstaufführung bei den Rudolstädter Festspielen 1994 als Mitwandertheater) und E. T. A. Hoffmanns Sandmann-Stoff als „Heaven Ablaze in His Breast“ (deutsche Erstaufführung durch das pianopianissimo-musiktheater München, 2002 in Pegnitz) als literarische Vorlagen genutzt. Ihre Dramatisierung von Ludwig Tiecks 1797 entstandener Novelle hat sie so angelegt, dass „jeder Besucher zu unterschiedlichen Schlüssen“ bei der Deutung jener Geschichte kommen kann, deren Märchenhaftigkeit Tieck expressis verbis leugnet.
Dem Freund Walther, der das Paar Berthe und Eckbert besucht, erzählt Berthe von ihrer Jugend. Nachdem Walther durch die Nennung des Namens eines Hundes von Bethes Ziehmutter, einer magischen alten Frau, verrät, mehr zu wissen, als dem Paar lieb ist, entflieht Berthe – und ihre Stimme erklingt nur noch as dem Orchester. Da Walther wird von Eckbert im Winterwald erschossen. Aber dann zeigt sich Walter als ein Zombie: der Untote schlüpft zunächst in die Rolle eines weiteren Freundes und schließlich in die jener alten Magierin, Berthes Mutter, um Eckbert das Geheimnis des Inzests zu enthüllen: Berthe ist Eckberts Halbschwester.
In Österreich wurde Judith Weiors „The Blond Eckbert“ bereits in Wien und in Innsbruck gespielt. Die Bregenzer Neuinszenierung ist eine Koproduktion mit dem Muziektheater Transparant Antwerpen, in Zusammenarbeit mit den Opera Days Rotterdam und Oxalys Ensemble.
Der Regisseur Wouter deutet Berthe als eine gereifte Frau, die nicht erwachsen werden, in ihrer Märchenwelt verbleiben will. Er hat als fünfte Figur ein Kind eingeführt, das vom Vogel eingeladen wird, in die stumme Rolle der jungen Berthe zu schlüpfen, deren düstere Geschichte zu spielen. Die romantische Mär zwischen Wahn und Waldesrauschen wandelt van Looy mit mehreren Kameras, die durch wechselnde Passepartouts filmen und durch die schwarzweiße Projektion dieser Live-Videos – in der klassisch filmischen Kombination der Handlungsträger mit gebauten Modellen – zu einem Psychodrama á la Hitchcock. Den filmischen Eindruck verstärken noch die deutschen Untertitel auf der Filmleinwand.
Deutlich karger wird die Erzählweise nach Berthes Verschwinden (Bühne, Kostüme und Video: Sarah & Charles). Im zweiten Akt stehen die Rückseiten zweier Hausfronten als Bild für die Kulissenhaftigkeit der Stadt, fernab jener „Waldeinsamkeit“, die in Weirs selbst verfasstem Libretto nicht ins Englische übersetzt ist. Statt Videoprojektion gibt es nur noch Schattenrisse der Wirklichkeit.
Der Kölner Dirigent Robert Engelen, der bereits die Aufführungen in Antwerpen und Rotterdam geleitet hat, lässt die in einem kammermusikalisch verbrämten wagnerschen Waldweben wurzelnde Partitur aufblühen und arbeitet die musikalisch zwischen Orchester und Singstimmen hin- und herspringenden Modelle trefflich heraus. Nachhaltig das Wechselspiel von Oboe und Horn. In Bregenz tritt zum gemeinschaftlich mit der Flämischen Oper gecasteten Solistenensemble das Symphonieorchester Vorarlberg; 1984 aus dem Funkorchester Vorarlberg hervorgegangen, erweist es sich als ein hochwertiger Klangkörper.
Die österreichische Sopranistin Romana Beutel als erzählender, vielfältig brillierender Vogel (mit ausgestopftem Vogel an ihrer Seite) bildet die Spitze eines rollendeckenden Ensembles, in dem allerdings weder Eckbert (der Bariton Adrian Clarke) noch Berthe (die belgische Mezzosopranistin Lien Haegemann) blond sind.
Judith Weir hat inzwischen ein Bregenzer Fanpublikum: am Ende der pausenlosen, gut einstündigen Aufführung gab es ausschließlich Bravorufe für alle Beteiligten.
Weitere Aufführung: 9. August 2011