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In concert: die Bluegrass-Band Chicken Wire Empire. © Rainer Zellner

In concert: die Bluegrass-Band Chicken Wire Empire. © Rainer Zellner

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Das Jahr der Mandoline in der nmz (Teil 12): Bill Monroe, Bluegrass und die Liebe

Vorspann / Teaser

William Smith Monroe war ein kleiner unscheinbarer und introvertierter Junge, der obendrein noch eine Sehbehinderung hatte. Von solchen Äußerlichkeiten darf man sich keinesfalls täuschen lassen! Bill (wie er genannt wurde) Monroe war der „Erfinder“ und über viele Jahre der Hauptvertreter eines neuen Musikstils, der in Amerika gleichwertig neben dem Jazz steht: dem Bluegrass. Bis heute haben die europäischen (Schalenhals)Mandolinen in Amerika nicht wirklich Fuß fassen können, beim Bluegrass steht die maßgeblich von Orville H. Gibson entwickelte Flachmandoline im Mittelpunkt des musikalischen Geschehens.

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Liebe ist die Grundessenz allen Lebens. Das hört sich ein wenig nach Bibel und Christentum an – ist aber mehr: eine allesdurchdringende Lebensweisheit. Wer ohne Liebe kocht, der bringt eine passable Mahlzeit auf den Tisch – aber mit Liebe gekocht (wir erinnern uns dabei an die sonntäglichen Besuche bei unserer eigenen Oma) schmeckt dasselbe ein klein wenig besser. Diese bis heute in ihrem Wesen undefinierte Liebe bringt Dinge hervor, die man nicht für möglich gehalten hätte – bis hin an die Grenze zu einem gewissen Wahnsinn. Ein Projekt (https://mandoline2023.de), wie es Michael Reichenbach im Jahr der Mandoline realisiert hat, ist Ausdruck solcher Liebe und solchen Wahnsinns: jeden Tag des Jahres hat er einen anderen Mandolinenspieler mit der ihm je eigenen Musik portraitiert – 365 Tage – 365 Mandolinisten – genial!

Auch wenn hier die Mandoline als exotisches Instrument dargestellt wurde, so hat sie doch eine enorme geografische Verbreitung und die auf ihr gespielte Musik hat eine unvorstellbar große stilistische Bandbreite. Nun war ist das „Instrument des Jahres“ ein deutsches Projekt, weshalb auch die deutsche Mandolinenkultur über weite Strecken im Mittelpunkt der Betrachtungen stand. Im November haben wir einen kleinen Blick auf die orientalischen Geschwister der Mandoline gewagt. Ein weiterer Blick aber muß nun noch sein, denn sonst ist der Kosmos der Mandoline nicht vollständig durchschritten – der Blick nach Amerika. Dort hat sich mit der Flachmandoline ein ganz anderer Mandolinentypus durchgesetzt, als in Europa. Auch hat sich dort eine sehr spezielle Musikrichtung entwickelt, die heute gern als- neben dem Jazz – als zweiter originärer Musikstil der USA bezeichnet wird: der Bluegrass.

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Eine typische Flachmandoline mit den charakteristischen F-Löchern und einer Schnecke. © Hendrik Ahrend

Eine typische Flachmandoline mit den charakteristischen F-Löchern und einer Schnecke. © Hendrik Ahrend

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„Any good history of bluegrass begins with Bill Monroe“, schreibt Emma John in ihrem sehr lesenswerten Buch „Wayfaring Stranger. A Musical Journey in the American South“. Um es gleich vorwegzunehmen: über Bill Monroe, der als so etwas wie der Erfinder oder Promoter des Bluegrass gilt, kann man sich dem Bluegrass ein gutes Stück nähern. Aber selbst sehr erfahrene Bluegrass-Spieler sagen mit großer Einhelligkeit: „Das kann man nicht beschreiben.“

Es muß Liebe gewesen sein, die Bill Monroes Eltern getragen hat, als sie ihre Kinder an die Musik heranführten. Bill (eigentlich: William Smith Monroe) wurde am 13. September 1911 in Rosine, Kentucky geboren und wuchs dort auf der Farm seiner Eltern auf. Er war das jüngste von acht Kindern. Vielleicht war es seine Sehbehinderung, die den ehrgeizigen Jungen zu einem erfolgreichen Kämpfer machte. Als Kind war er eher introvertiert, wußte aber als Erwachsener sehr wohl die Marschrichtung anzugeben. Die Mutter brachte den Kindern schon früh das Singen bei. Als Jüngster sang er immer die höchste Stimme – das mag bereits die Grundlage für seine spätere sehr hohe Singstimme im Bluegrass gewesen sein.

Bill erlernte das Mandolinenspiel – ein zu jener Zeit eher seltenes Instrument. Eine nicht bestätigte Geschichte erzählt, dass man Bill eine Mandoline mit vier Saiten (als nicht Doppelsaiten) gab. Seine Brüder Birch und Charlie spielten Fiddle bzw. Gitarre. Weitere Einflüsse kamen von seinem Onkel Pendelton Vandiver („Uncle Pen“), der die Fiddle spielte, und dem afroamerikanischen Bluesgitarristen Arnold Shultz.

Mit seinen Brüdern machte er gemeinsam als Trio Musik. Als sie sich in einer Ölraffinerie in Chicago als Arbeiter verdingten, traten sie erstmals öffentlich auf – bei einem Radiosender. Bill war damals etwa 16 Jahre alt. Bald darauf starben seine Eltern. Immer wieder trat das Trio auf. 1934 trennte sich Birch von dem Trio und Bill und Charlie beschlossen professionell Musik zu machen. Mit zahlreichen Radioauftritten wuchs der Bekanntheitsgrad der „Monroe Brothers“. Ihren ersten Plattenvertrag schlossen sie 1936 bei RCA Victors Sublabel Bluebird Records ab. Auf ihre erste Aufnahme „What Would You Give in Exchange for Your Soul“ verkaufte sich so gut, das weitere etwa 60 Plattenaufnahmen folgten. 1938 trennten sich die Brüder im Streit.

Bill gründete bald darauf die Band „The Kentuckians“, den er später in „The Blue Grass Boys“ änderte. Stilistisch griff Bill auf das zurück, was seine Heimat bereits musikalisch zu bieten hatte. Das war hauptsächlich die Musik der Auswanderer aus England, Schottland und Irland und die Gospel-Musik der schwarzen Ureinwohner. Über die Zeit hin hat sich der Bluegrass immer wieder gewandelt und neue Stilmittel aufgenommen und verarbeitet. Das typische am Bluegrass war und ist immer noch die Besetzung des Ensembles, die Rolle der einzelnen Instrumente darin und die Inszenierung der Musik. Äußerlich setzten sich die Musiker von den gewöhnlichen Tanzmusikern ihrer Zeit durch ihre immer gepflegte Erscheinung, bestehend aus Anzug und Cowboyhut, ab.

Ein Bluegrass-Ensemble besteht normalerweise aus Fiddle, Mandoline, Stahlseitengitarre, 5-String-Banjo, Kontrabaß und (zumeist mehrstimmigem) Gesang. Die Fiddle und die Mandoline spielen hauptsächlich die Melodie, können aber jeweils wechselseitig auch für die Harmonie eingesetzt werden. Der Kontrabaß ist in der Begleitung für die Taktzeiten 1 und 3 zuständig, die Mandoline – wenn sie denn nicht die Melodie spielt – für die Taktzeiten 2 und 4, auf denen sie kurze und harte Akkordschläge (Chops) spielt. Das Banjo ist in erster Linie für den Rhythmus zuständig. Durch die Technik des 3-finger-pickings entstehen hier stark synkopierte Rhythmen.

Durch den Wechsel der Instrumente etwa in der Hauptstimme entsteht eine Art Choreographie. Diejenigen mit einer Hauptstimme oder einer Solostimme treten an das einzig vorhandene Mikrofon heran. Ist ihr Part zu Ende wechseln sie mit den folgenden musikalischen Protagonisten. Dadurch wird die Musik auch sichtbar verständlicher.

Für Bill Monroe war sein Stil auch immer so etwas wie ein Wettbewerb der Extreme. Seine Stimme – dadurch wurde sein Stil von Anfang an besonders wahrgenommen – war besonders hoch. Dazu entwickelte er eine höchst virtuose Spieltechnik auf der Mandoline. Unter anderem dieses Tempo war ein zentrales Merkmal des Bluegrass. Am besten nähert sich man dieser Musik, indem man sie hört – deswegen die Musikvorschläge am Ende dieses Textes.

Im Laufe der Jahre haben etwa 150 unterschiedliche Musik in Monroes Band mitgespielt. Dabei entpuppte sich Monroe als sehr liberaler Bandleader. Es war ihm nicht wichtig, dass die Musiker so spielten, wie er es tat. Vielmehr forderte er sie auf, ihr eigenes Ding zu machen und ließ sie gewähren. Immer wieder gab es aber Streitigkeiten und einzelne Musiker gingen wieder, die meisten davon konnten aber nachträglich den Einfluß von Monroe nicht leugnen. Streitpunkt war immer wieder das liebe Geld. Monroe verdiente zwar nicht schlecht, hatte aber kein wirkliches Planungs- und Organisationstalent. Die Auftritte waren zu unzusammenhängend oder zu weit entfernt voneinander. Die Reisezeiten waren unnötig und nervig. Die Musiker bekamen zwar eine wohl ordentliche Gage, ihre Unterkunft vor Ort mußten sie aber selbst bezahlen. Das war für viele von ihnen nicht realisierbar.

Bluegrass wird ohne Noten nach Gehör gespielt. Die inneren Stilrichtungen sind breit gefächert. Immer aber berufen sich die Bluegrass-Musiker – gleich wie weit sie ich von den Ursprüngen in ihrer eigenen Stilistik entfernt haben – auf ihre Wurzeln. Diese liegen in Kentucky, in einer Spielart der Countrymusik, der Folkmusik, des Gospels und in diesen blaugrünen Blättern der Grasart „Poa pratensis“, die aus dem nährstoffreichen Boden sprießen.

Damit soll der Blick auf die Mandoline vorerst enden. In der zweiten Hälfte des kommenden Jahres werden wir hier noch einmal ansetzen und fragen, welche nachhaltigen Ergebnisse das Jahr der Mandoline gebracht hat. Gibt es mehr neue Mandolinisten, mehr Komponisten und Komponistinnen, die sich diesem Instrument widmen, eine Schar von neuen Zuhörern, die 2023 dieses Instrument für sich neu entdeckt haben ….. ? Der Autor dieser Zeilen hatte im vergangenen Jahr zahlreiche Begegnungen mit Menschen und Musik, die ihn sehr beeindruckt haben und ihn bei seinen Recherchen sehr unterstützt haben. Ihnen sei ausdrücklich für ihre immer freundliche Aufnahme, manche Tasse Tee und viele neue Erfahrungen gedankt. (Mindestens) Eine Mandolinen-CD wird er in Zukunft immer in seinem Auto haben und hören – eine wunderbare Musik, die ihm vor einem Jahr noch ziemlich fremd war. Das es dem einen Leser oder der anderen Leserin auch so geht, dass sie etwas Neues und Unbekanntes entdeckt haben – das wünscht er sich.

Was sagt man zum Abschied? Paulchen Panther würde sagen: „Heute ist nicht alle Tage, ich komme wieder, keine Frage“. Der Theaterkritiker Friedrich Luft im RIAS: „Gleiche Welle, gleiche Stelle.“ Es geht weiter – immer so um den 20. eines Monats herum – hier bei nmz-online. Das neue Instrument des Jahres 2024 steht schon fest (wird aber heute noch nicht verraten) – und es ist in fast jeder Hinsicht total anders als die Mandoline. Das wird eine spannende Geschichte – aber davon im nächsten Jahr mehr.

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Auf dem Berliner Flughafen BER ist vor ein paar Tagen zumindest schon einmal ein naher Verwandter des Instrumentes des Jahres 2024 gesichtet worden. © Bente Illevold

Auf dem Berliner Flughafen BER ist vor ein paar Tagen zumindest schon einmal ein naher Verwandter des Instrumentes des Jahres 2024 gesichtet worden. © Bente Illevold

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Einige Bluegrass-Musikvorschläge mit Bill Monroe:

Informationen:

  • https://www.mandoisland.de – MandoIsland, die Homepage des Mandolinisten Michael Reichenbach, die auch zur https://mandoline2023.de führt, der Seite, die im Jahr 2023 an jedem Tag einen Mandolinisten und seine Musik vorgestellt hat. Eine einzigartige Fundgrube für Musik und Menschen!
  • Emma John: Wayfaring Stranger. A Musical Journey in the American South. Weidenfeld & Nicolson 2019

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