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Dramatische Steigerungskraft: Sophie Hunger beim Haldern Pop Festival 2010. Foto: Stefan Pieper
Dramatische Steigerungskraft: Sophie Hunger beim Haldern Pop Festival 2010. Foto: Stefan Pieper
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Das Publikum im Rampenlicht und neue Entdeckungen beim Haldern Pop Festival

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Die Gründer des Halderner Pop-Festivals denken in die Zukunft. Nachwachsende Generationen werden die Zukunft dieses 1983 ins Leben gerufenen unabhängigen Musikfestivals am Niederrhein bestimmen. Die gewachsenen Strukturen einer bürgerschaftlich-unabhängigen Selbstverwaltung müssen gewahrt bleiben, betont Wolfgang Linneweber, der zusammen mit Stefan Reichmann das Festival von Anbeginn groß gemacht hat.

In Zukunft soll eine noch zu gründende Stiftung die weitgehende, künstlerische Unabhängigkeit von kommerzieller Mehrwertlogik sicherstellen. Ein Muss in Zeiten sich immer mehr verschärfender Marktmechanismen, so die Festival-Macher. Vor allem aber: „Das Publikum auf dem Haldern-Festival ist die eigentliche Sensation“. Dieser Eindruck bestätigt sich aus Sicht der auftretenden Bands immer wieder neu in Haldern. Ob genau deswegen bei der 27. Festival-Ausgabe die brandneuen, superhellen LED-Spots so oft auf das Publikum gerichtet wurden? Etwa, damit sich die Musiker durch das sichtbar gemachte Feedback ihrer hellhörigen Hörerschaft umso mehr inspirieren können?

Musikalisch lebte einmal mehr eine Welt sorgsam gestreuter Gegensätze. Viel Indierock und Indiefolk zum Kuscheln sorgte für behagliches Heile-Welt-Feeling und ließ überall die Mundwinkel dem sonnig-blauen Himmel zustreben. „Mumford and Sons“ gehören aktuell zu den großen Lieblingen, die hier gehaltvoll und poetisch aus friedvollen Country-Gefilden a la „Crosby, Stills, Nash an Young“ zu schöpfen wussten. Oder „Efterklang“ aus Dänemark, die eine kammermusikalische Märchenwelt mit Chorgesängen, erhabenen Melodien und ganz viel, ja eigentlich viel zu viel Nettigkeit inszenierten. Man konnte in solchen Momenten zuweilen fürchten, in all der Süße zu ertrinken.

Doch das Programm hielt immer wieder solide Rettungsanker dagegen: Etwa den kargen Noise-Metal von „Sereena Manesh“ aus Norwegen. Bis zum letzten abzurocken wusste auch das Brightoner Duo „Blood Red Shoes“. Laura-Mary Carthy und Schlagzeuger Steven Ansell agieren unwiderstehlich hip, sexy und mit professioneller Coolness. Und Laura weiß Songs von punkiger Präsenz zu formulieren, kann zudem mit dem wuchtigen Soundorkan ihres Gitarrenspiels einer ganzen Band das Wasser zu reichen.

Das große Breitwandformat vor einer begeisterten Menge bedienen so viele Bands vor der Hauptbühne in Perfektion. Für die konzentrierteren Momente gibt es das sogenannte Spiegelzelt, jene kultig ausstaffierte Nebenbühne, die man in diesem Jahr zuweilen sogar ohne Warteschlagen erreichte. Wegen seiner begrenzten Kapazität nicht unumstritten, macht diese Lokalität die Verschmelzung zwischen intensivem Bühnengeschehen und teilnehmendem Publikum perfekt. „Esben and the Witch“ zogen hier in extrem elektrisierende Post-Darkwave-Gefilde hinein, und Sängerin Rachel Davies ging an diesem Ort erwartungsgemäß zum ekstatischen äußersten. Ganz und gar nicht schläfrig waren „Sleepy Sun“ mit ihrem hymnischem, zeitgenössisch aufgemotztem Psychedelic Blues Rock.

Draußen auf dem Festivalgelände ist die international angereiste Fangemeinde längst zur innigen bunten Gemeinschaft verschmolzen. Tanzend, zuhörend, feiernd, knutschend, schlafend. Alles passiert so wunderbar entschleunigt, von sommerlichem Grün umgeben. Und ganz wichtig: Gefühle zeigen! Das gelingt auch der Schweizer Sängerin Sophie Hunger auf grandiose Weise, wie sie mit dramatischer Steigerungskraft und stimmlich höchst eindringlich Rock, Chanson, Folk und Jazz zusammenbringt. Sensibel, aber auch mit unbändiger Energie. Man wird wohl noch einiges hören von dieser jungen Ausnahme-Künstlerin!

Haldern 2010 realisierte so viele wohldosierte Kontrapunkte mit vergleichsweise wenigen großen Namen. Auf dem Weg in letztere Kategorie hinein befindet sich die New Yorker Band „Yeasayer“. Das bewies ihr pulsierendes Ideenfeuerwerk auf der Hauptbühne: Ihre Songs sind von wagemutigen, oft rasch geschnittenen Melodien getragen, und alles ist in Soundfarben getaucht, die einem vielfältig ausgehörten Geräuschkosmos entspringen. Vor allem: „Yeasayer“ wissen seit ihrer letzten Albumveröffentlichung, ein Publikum aus der Post-Rave-Generation durchgängig mit körperlichen Tanzbeats zu packen und zu verführen.

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