Es klingt nach einer Anekdote, aber es ist verbürgt: Fragt man heute in den Vereinigten Staaten nach Namen deutscher Jazzmusiker, dann kennt man dort meist nur einen: Peter Brötzmann, eine Leitfigur aus der Epoche des Freejazz. Wie kommt das? An achtzehn deutschen Hochschulen werden seit beinahe drei Jahrzehnten Jazzmusiker auf internationalem Niveau ausgebildet, Deutschland besitzt heute eine der lebendigsten Jazzszenen. Warum kennt im Ausland keiner die Namen ihrer Protagonisten?
Angelika Niescier, Saxophonistin, Komponistin und seit Kurzem auch im Vorstand der Union Deutscher Jazzmusiker (UDJ), sprach im nmz-TV-Studio auf der Frankfurter Musikmesse Klartext: „Wir kommen nicht wirklich raus.“ Zwar gibt es seit Jahrzehnten die verdienstvolle Arbeit der sogenannten Mittlerorganisationen wie Goethe-Institut, Institut für Auslandsbeziehungen oder den Deutschen Akademischen Austauschdienst. Jazz aus Deutschland funktioniert bestens als kultureller Botschafter oder, zeitgemäßer gesprochen, als Stimulans des interkulturellen Austauschs. So gern die Improvisatoren unsere Kulturbotschafter sind, noch lieber würden sie auf den jeweiligen Festivals im Ausland spielen. Doch es fehlt an einer Jazzexportförderung, wie sie andere europäische Länder betreiben, allen voran Frankreich mit seinem Musikexportbüro oder vorbildhaft die skandinavischen Länder.
Die Bands aus diesen Staaten bringen teils ihre Gage – zumindest aber ihre Reisekosten – mit und sind somit ein begehrtes Schnäppchen für Veranstalter, solange auch die Qualität stimmt. Nun gibt es seit 2006 in Bremen die Messe „jazzahead“, die es zu ihrer Kernaufgabe gemacht hat, internationale Veranstalter und Agenten mit deutschen Musikern zusammenzubringen – und ausländische Künstler mit dem deutschen Markt. Das Ganze wird von einem Festival und einer Konferenz arrondiert. Ein Messekonzept, das für die „Musiknische“ Jazz inzwischen große Bedeutung erlangt hat. Während sich anfangs in Bremen eher die Newcomer trafen und auf das Karrieresprungbrett setzten, begegnet man heute auch den Stars der Szene, die hier die kurzen Wege nutzen, um sich national und international zu vernetzen. Das bislang zweijährig auf der „jazzahead“ stattfindende German Jazz Meeting, anfangs noch großzügig von der Kulturstiftung des Bundes und Goethe-Institut (2006), Bundeskulturminister Bernd Neumann (2008) und später – nicht mehr so opulent – von der Initiative Musik gefördert (2010), ist 2012 mangels ausreichender Finanzierung abgesagt worden.
Die Bremer Messe entwickelte darauf ein eigenes Format und exponierte kurzerhand eine German Jazz Expo: ein kommerziell orientiertes Showcase-Event mit insgesamt zehn teilnehmenden Bands. Im Gegensatz zum German Jazz Meeting, bei dem eine messeunabhängige Experten-Jury Künstler vorschlägt, wird bei der German Jazz Expo die Anmeldung als Aussteller oder Unteraussteller vorausgesetzt, erst dann wird eine Jury tätig. Honorare und Reisekostenerstattung vonseiten des Veranstalters entfallen. Die Premiere Ende April auf der „jazzahead“ konnte, was die Auswahl und das Niveau der Formationen und auch das Interesse des Fachpublikums anging, noch nicht ganz überzeugen. „Besser als gar keine Exportveranstaltung“, lautete dennoch der Tenor der Fachbesucher. Einen Indikator, wie gut die neue German Jazz Expo wirklich ist, wird zum einen die Anzahl der tatsächlich gebuchten Bands darstellen, und zum anderen, in welche Richtung sich Auswahl und Qualität der Bands im kommenden Jahr entwickeln.
Auch die Frage, was im tatsächlichen Fall einer Buchung ins Ausland passiert, bleibt unbeantwortet. Export kann für die engagierten Musiker teuer werden – oft genug heißt es, erst einmal Reisekosten vorstrecken. Ina Keßler von der Initiative Musik riet den Bands, gleichzeitig mit der Nominierung für die German Jazz Expo auch einen Antrag auf Fördergelder bei der Initiative Musik zu stellen. Ein zweiter Weg zu Fördergeldern ist der vom Goethe Institut aufgelegte Gastspielfonds, der Musikern und Ensembles die Möglichkeit gibt, fehlende Mittel für Gastspiele zu beantragen. Die Förderung von Musikexport ist zwar Bundesaufgabe, welche Bedeutung ihr aber derzeit zugemessen wird, wird in der 47-seitigen Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD zur Musikförderung deutlich: Musikexport kommt dort nur in vier Zeilen vor, von Jazzexport ist sowieso keine Rede.
War Jazz früher eine transatlantisch geprägte Stilrichtung, so ist sie spätestens seit den 70er-Jahren auch eine europäische – heute wird die Sprache des Jazz rund um den Globus verstanden und praktiziert. Ob Deutschland in diesem Feld ein Global Player sein will, ist eine politische Entscheidung, das künstlerische Potenzial ist vorhanden.
Messen in der Nische für globale Kulturen scheinen im Trend zu liegen: Die „classical next“, die vom 30. Mai bis 2. Juni erstmals in München stattfinden wird, nimmt sich der Musik zwischen Konzertsaal und Club Ambiente an. Wie beim Vorbild „jazzahead“ bilden auch hier zahlreiche Showcase-Präsentationen sowie eine Konferenz das Rückgrat. Bewusst in einer gewissen Distanz zu eurozentrischen Konzepten der Neuen Musik sollen sich hier Akteure aus der Musikwirtschaft und der freien Musikszene aus über 30 Ländern treffen. Die Konferenzsprache ist Englisch: „Club, Contemporary, Classical“ könnte man als Motto über die neue Veranstaltung stellen, die den Schulterschluss elektronischer Clubmusik mit E-Musik sucht, aber auch Musik aus Barock und Klassik in ein neues Ambiente stellen will.
Was der Frankfurter Musikmesse offensichtlich nicht wichtig ist, nämlich ihre kommerziellen Interessen mit qualitätvollen kulturellen Inhalten zu verbinden, das versuchen nun die Protagonisten von „classical next“ in München. Ob es ihnen ähnlich gut gelingt wie der Bremer Messe „jazzahead“, wird man sehen müssen.