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Schrieb für die „Würzburger Apokalypse 2010“ die Kantate „... vom Anfang im Ende...“: Gerhard Stäbler. Foto: Pat Christ
Schrieb für die „Würzburger Apokalypse 2010“ die Kantate „... vom Anfang im Ende...“: Gerhard Stäbler. Foto: Pat Christ
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Der Manipulation gewahr: Gerhard Stäblers „... vom Anfang im Ende...“ wird am 14. Oktober in Würzburg uraufgeführt

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Um das letzte Wort, um den „Anfang“ im Ende, wurde lange gerungen. Was folgt aus der Beobachtung von „Hass“ und „Mord“, aus der Beobachtung von „Regen aus einer Wolke von Blut“? Resignation wäre die schlechteste Alternative. Hoffnungsappelle ins Vage hinein nicht viel besser. „Lebt!“ Mit dieser Aufforderung endet Gerhard Stäblers Kantate „...vom Anfang im Ende...“, die am 14. Oktober in der Würzburger Neumünsterkirche uraufgeführt wird.

„Würzburger Apokalypse 2010“ heißt die Kulturreihe mit Konzerten, Lesungen und Theateraufführungen, mit der die Diözese Würzburg seit Jahresbeginn die derzeitigen Krisenereignisse thematisiert. Dass sich der im Ruhrgebiet lebende Komponist Gerhard Stäbler an dem Kulturreigen beteiligt, ist in zweifacher Hinsicht bemerkenswert.

Als Atheist liegt es für den just 60 Jahre alt gewordenen Musiker nicht unbedingt nahe, mit Kirchenmännern zu kooperieren. Dass er es dennoch tat, ist Würzburgs diözesanen Kunstreferenten, Domkapitular Dr. Jürgen Lenssen, sowie Domschulleiter Dietmar Kretz, zwei in jeder Hinsicht ungewöhnlichen Kirchenmännern, zu verdanken. Nicht minder außerdem den Librettisten Alexander Jansen und Herrmann Schneider von der Intendanz des Würzburger Mainfranken Theaters, mit denen Stäbler seit Jahren befreundet ist und schon oft fruchtbar kooperierte.

Bemerkenswert ist Stäblers Einlassen auf den apokalyptischen Zyklus am Main außerdem deshalb, weil der Musiker die aktuelle Krisenhysterie aufgrund ihres manipulatorischen Charakters ablehnt. Eben dies macht sein Werk innerhalb der „Apokalpyse“-Reihe interessant. Dem Komponisten, der die Figur der Kassandra liebt, geht es nicht um das Beschwören der Krise. Auch nicht um deren akribische Analyse und schon gar nicht um konkrete Kritik an dem, was in den letzten Jahren passiert ist und in die jetzigen unguten Zeiten führte. Dies alles erscheint insofern müßig, da die Strukturmuster des krisenhaften Entstehens bei allen als apokalyptisch empfundenen Erscheinungen ähnlich sind.

Alban Bergs Zitate des Bach-Chorals „Es ist genug!“ im Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“, auf die sich Stäbler in seiner Kantate in komprimierten Akkorden bezieht, kann vor diesem Hintergrund inhaltlich mehrdeutig interpretiert werden. Lasst es endlich genug sein mit dem unnützen, disziplinierende Apokalypsegefühle weckenden Beklagen der krisenhaften Zustände! So die eine Deutungsmöglichkeit. Die andere verweist auf die Notwendigkeit, die Entwicklungen bei ihrem eigentlichen Namen zu nennen, um sie, im besten Falle, mit dem Aufschrei aufzuhalten: „Es ist genug!“ Interessant für den Komponisten der im Jahr 2000 uraufgeführten Oper „CassandraComplex“ und Motivation dafür, sich auf das Sujet „Apokalypse“ einzulassen, ist jener Moment, in dem die ersten Anzeichen einer Krise spürbar werden. Regelmäßig wird dieser Moment verpasst. Regelmäßig versagt, mangels Sensibilität und Selbstvertrauen, das emotionale Frühwarnsystem des Menschen.

Dies geschieht nach einem altbekannten Prinzip, das – auf die kindliche Entwicklung im System Familie bezogen – Alice Miller bereits in „Du sollst nicht merken“ analysierte. Es darf nicht gesagt, nicht einmal bemerkt werden, was an Argem, an Abartigem passiert. Und weil es nicht bemerkt werden darf, wird es nicht bemerkt. Werden mulmige Gefühle unterdrückt. Wird ausgeblendet, was zu krass gegen die unausgesprochenen, unaussprechbaren Tabus verstößt. Wagt einer dennoch, „vor-eilig“ zu sagen, was falsch läuft, wird er umgehend in die Rolle des Schuldigen bugsiert.

Es braucht jedoch, um der Apokalypse zu entrinnen, starke, sehr starke Persönlichkeiten, die merken, was als „falsch“ zu bemerken ist – und laut werden. Aufbegehren. Das ist mindestens unangenehm und mitunter unheimlich. Eben dieses Gefühl, plötzlich alleine dazustehen, plötzlich weithin als Einzelner hörbar zu werden, symbolisiert Stäbler in seiner Kantate dadurch, dass er das zu Beginn kompakt, quasi als ein einziges Instrument behandelte Orchester allmählich ausdünnt. Schließlich spielt jeder, Fortissimo bis zum Ende, seinen ureigenen Ton, die Streicher auf einen Bogen, die Bläser auf einem Atem – womit sie das Allerindividuellste von sich preisgeben.

Stäbler fängt mit diesem Vorgehen die Ambivalenz von Auflösungserscheinungen in ihrem gesamten Spektrum ein. Auflösung droht, ins Chaos zu führen, Halt und Orientierung zu rauben. Die Auflösung von verkrusteten Strukturen, von Leben zermalmenden Mechanismen befreit das Individuum gleichzeitig, gibt ihm seinen Wert zurück, löst es aus gesellschaftlichen Verklebungen, die dumpf und abgestumpft machen. Was in der Masse bloß vegetierte, spürt in der Auflösung auf erst erschreckende, dann stimulierende Weise die eigene Lebendigkeit.

In Krisenzeiten zu leben, beutelt die Seele, sorgt für Gefühlsaufruhr, der sich abwechselt mit mühsamen Versuchen, zu klaren Schlussfolgerungen zu kommen. Stäblers Kantate, die die Stimmen der Solisten an ihre Grenzen führt und den Tonumfang der Instrumente voll ausschöpft, changiert zwischen den Polen „emotionale Aufgeladenheit“ und „Reduktion“. Letzteres beschreibt das Ziel des Ringens. Aus der emotionalen Reduktion, der von Gefühlsbombast bereinigten Nüchternheit, entsteht jenseits eines nervöses Daueralarmiertsein Sensibilität für das, was sich vollzieht. Und jene geistige Klarheit, die sich abzugrenzen versteht von allem, was Mache, infame Manipulation ist.

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