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Cassandra Wilson Fotos: nmz-Archiv
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Diven-Himmel

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Das Geschäft mit den Neo-Crooners
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Sie haben eine Bekannte, die ganz gut singt? Die es gerne jazzig hat, aber auf keinen Fall mit wildem Free Jazz verschrecken will? Sie sieht auch noch gut aus? Dann sollten Sie oder das Arbeitsamt ihr unbedingt raten, Jazzsängerin zu werden.

Ein Blick in die Jazzcharts würde die Empfehlung untermauern: dort herrschen Sängerinnen. Manche – etwa Cassandra Wilson – haben schon Jazz gesungen, als das Wort Jazz Marketing-Experten noch in Ohnmacht fallen ließ. Andere sind erst seit kurzem im Geschäft, posen dafür aber schon nach den allerersten Erfolgen um so aufdringlicher als Jazz-Diva oder Chanteuse.

Im März boten die Jazzcharts folgendes Bild. Auf Platz eins und zwei stand – natürlich – Norah Jones, die auch die Pop-Charts anführte. Von drei bis zehn folgten sechs weitere Sängerinnen: Skandinavierinnen wie Silje Nergaard, Rebekka Bakken und Viktoria Tolstoy, die wie ein nordischer Klon von Norah Jones klingt, danach Newcomer Lizz Wright und Cassandra Wilson, die mit ihren jazzigen Coverversionen von Blues-, Country- und Rocknummern so etwas wie die Blaupause und das Erfolgsrezept nicht nur für Norah Jones geliefert hat. Pop-, Rock- und Country-Klassiker, die in der richtigen Kombination unter dem neuen Genre „Americana“ figurieren, werden sachte eingejazzt und um Standards aus der Jazz-Tradition ergänzt. In der Summe ergibt das ein Repertoire, das mit Jazz im engeren Sinne nur noch am Rande etwas zu tun hat, dafür aber auch ein Publikum von außerhalb des Jazz-Gettos erreicht.

Noch weiblicher werden die Jazz-Charts ausfallen, seit im April das neue schöne Album von Diana Krall herausgekommen ist, der in den vergangenen Jahren erfolgreichsten und bestechendsten aller echten und unechten Jazzdiven. Oder wenn Nellie McKay endlich mehr Beachtung findet mit ihrem ungewöhnlichen Debüt „Get Away From Me“ – ein schwarzhumoriges Stück Musik, das im Titel die Dauerromantik von Norah Jones („Come Away With Me“) und Jane Monheit („Come Dream With Me“) ironisiert, auch wenn sie musikalisch manches mit ihnen teilt: den Jazz etwa, oder die unterkühlte Erotik des Torch-Songs.

Auffällig ist, dass der Crossover-Erfolg, der Vorstoß in Pop-Regionen also, was Verkaufszahlen und Medienecho betrifft, fast ausschließlich weißen Sängerinnen vorbehalten ist. Eine Dee Dee Bridgewater, eine Abbey Lincoln und selbst eine Cassandra Wilson hinken dem Erfolg von Diana Krall & Co. meilenweit hinterher, was die Diskussion um neuen und alten Rassismus im Musikgeschäft belebt hat. Diana Krall, als Musikerin geschätzt, wegen ihres unausgesprochen „weißen“ „Ich-bin-eine-Jazz-Diva“-Images aber von vielen angefeindet, ist es inzwischen leid, sich für unterschiedlich hohe Marketing-Budgets und Verkaufszahlen zu rechtfertigen. Über (schwarze) Kolleginnen und deren Äußerungen mag sich Diana Krall mittlerweile gar nicht mehr äußern.

Ausschau muss man bislang auch nach männlichen Kollegen von Diana Krall, Norah Jones oder Jane Monheit halten. Noch immer stehen sie im Schatten der Sängerinnen, auch wenn das Modell der männlichen Jazz-Diva – der Crooner – derzeit stärker denn je wiederbelebt wird. Da gibt es den erst 19-jährigen Peter Cincotti, der ganz nett Klavier und mit ergreifender Ausdruckslosigkeit eigene Songs spielt, die krampfhaft nach den großen Vorbildern wie den Gershwins oder Cole Porter klingen sollen. Vom „Spiegel“ ist er trotzdem zum Wunderkind ausgerufen worden. Immerhin hat er in den Charts schon seinen eigenen Förderer überholt, Harry Connick jr., der ebenfalls Klavier spielt, singt und von allen Neo-Croonern der mit dem längsten Atem ist. Connick croont mit allen Auf und Abs seit mehr als zwanzig Jahren und hat dabei abwechselnd verschnarchte und ganz nette Alben aufgenommen.

Aus England wird das „Great American Songbook“ von Jamie Cullum bedient, den seine Plattenfirma als „Sinatra in Turnschuhen“ bewirbt. Cullum mischt Evergreens wie „Singin’ in the Rain“ mit akustischen Jazzversionen von Radiohead- oder Hendrix-Songs auf. Ähnlich wie der Saxofonist und Sänger Curtis Stigers, der sich auf seiner neuesten CD croonend über Songs von Bob Dylan, Joe Jackson oder John Lennon hermacht. Bei Cullum prägt die Kombination aus poppigem Jazz und swingendem Rock auch den Live-Act. Wenn er unter den Flügel krabbelt und an der Tastatur so herumturnt, als sei der Steinway eine E-Gitarre, hat Jamie Cullums Neo-Crooning mehr mit Brit-Pop als der weltläufigen Eleganz im Smoking zu tun.

Für die Springflut an Möchte-Gern-Sinatras, die an den Erfolg ihrer erfolgreicheren Kolleginnen anzuknüpfen versuchen, gibt es mehrere Gründe. Der wichtigste heißt Robbie Williams. Dessen „Swing, when you’re winning“-Album war eigentlich nichts Neues: Einen Sänger, der im Pop und Rock alles erreicht hat, drängt es zu höheren Aufgaben. Indem er durch ein Sinatra- und Bobby-Darin-Repertoire croont, erteilt er sich den Ritterschlag vermeintlich höherer Pop-Weihen. Der Unterschied zu Croon-Experimenten von Leuten wie Bryan Ferry oder Rod Stewart: Robbie Williams machte seine Sache nicht nur gut, er war auch bei einem jüngeren Publikum damit erfolgreich. Als ob es darum ginge, sich mit größtmöglicher Authentizität vom Makel seiner Boy-Group-Vergangenheit freizusingen, tat Williams alles, um den Glamour swingenden Entertainments der 50er und 60er Jahre heraufzubeschwören. Originalgetreu nachgestellt waren nicht nur Musik, sondern auch Optik. Vom Gel im Haar über die Klamotten bis hin zum Capitol-Logo, das wie einst bei Sinatra auf der CD prangt, war „Swing when you’re winning“ ein Triumph historischer Aufführungspraxis.

Der um ihr Überleben bangenden Musikindustrie kommt der Trend mit den Jazz-Diven und Neo-Croonern gelegen. Ohne Diana Krall würde es „Verve“ in dieser Form nicht mehr geben, ohne Norah Jones und die 18 Millionen verkauften CDs ihres Debüts gäbe es bei EMI kein „Blue Note“-Label mehr – da ist es dann auch egal, dass Norah Jones’ unaufdringlich-sanfter Akustik-Balsam aus Country, Folk und Bluegrass im Gegensatz zu Diana Krall mit Jazz nur wenig zu tun hat. Wenn Millionen Leute es gerne ein klein wenig angejazzt haben und „Jazz“ in homöopathischer Dosis nicht mehr als Verkaufskiller, sondern Förderer funktioniert, setzt man eben auf das Etikett „Jazz“ und eine weitere Diversifizierung des Programms.

Auch Al Green und Van Morrison – verdiente Legenden, aber keine Crooner und schon gar keine Jazzer – stehen seit kurzem bei „Blue Note“ unter Vertrag. Wer da von Jazz spricht, betreibt Etikettenschwindel, allerdings einen, der sich lohnt. Als Synonym für musikalische Wertarbeit, die sich vom infantilen Zustand des Casting-Pop distanziert, zieht „Jazz“ – gerade in seiner vagesten und aufgeweichtesten Bedeutung – wieder ein Publikum an, das eigentlich schon ausgestorben schien: Eines, das Fans jeden Alters – vom 15-jährigen Teeanger bis zum Rentner – vereint, darunter besonders viele, die Musik nicht nur herunterladen und kopieren, sondern auch kaufen.

Wenn der 15-jährige Teenager über Jamie Cullum auch Frank Sinatra für sich entdeckt, müsste man über die ganze Schwemme an Croonern und Diven, Jazz und Angejazztem nicht einmal die Nase rümpfen. Dann würde der Zweck einfach nur die Mittel heiligen. Denn wer nur auf die Verkaufserfolge schielt, dem entgehen die wahren Gesangs-Größen des richtigen Jazz: Kevin Mahoganny etwa, ein Mann mit dem Brust- und Tonumfang einer Regentonne. Oder Shirley Horn, das Vorbild von Diana Krall. Die große alte Dame kann wegen eines amputierten Fußes die Beine zwar nicht mehr so hübsch übereinander schlagen wie Krall, aber die träge, schöne Coolness der Diana Krall wäre undenkbar ohne Shirley Horn und ihre Entdeckung der Langsamkeit für den Jazz.

Diskografie

Silje Nergaard: Nightwatch (Emarcy/Universal)
Viktoria Tolstoy: Shining On You (ACT)
Lizz Wright: Salt (Verve)
Rebekka Bakken: The Art of How to Fall (Emarcy/Universal)
Cassandra Wilson: Glamoured (Blue Note)
Peter Cincotti (Concord)
Harry Connick Jr.: Only You (Sony)
Curtis Stigers: You Inspire Me (Concord)
Jamie Cullum: Twenty Something (Universal)
Diana Krall: The Girl In The Other Room (Verve)
Nellie McKay: Get Away From Me (Sony/Columbia)
Kevin Mahoganny: Pride & Joy (Telarc Jazz)
Shirley Horn: May The Music Never End (Verve)

 

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