Wieder tönt ein Renaissance-Madrigal herein in ein zeitgenössisches Stück Musiktheater. Doch anders als in der letztjährigen Passauer Produktion von Luigi Dallapiccolas „Der Gefangene“ ist es im Fall von Salvatore Sciarrinos Kammeroper „Luci mie traditrici“ Bestandteil des Stückes selbst. Zunächst vokal angedeutet, verflüchtigt sich der historische Tonsatz in drei Intermezzi immer weiter, bis schließlich nur noch entfernte Echos davon übrig sind.
Dennoch sind dies die musikalisch handfestesten Momente in einer Partitur, die ansonsten einer Implosion am Rande des Verstummens gleicht. Von der historischen Gestalt des Komponisten Carlo Gesualdo, der seine Frau und ihren Liebhaber ermordete, hat sich Salvatore Sciarrino nicht zu einem schwülstig-blutrünstigen Melodram inspirieren lassen, sondern zu einer Musik der unterdrückten Schreie, der erstarrenden Gesten, des auskomponierten Atmens.
Regisseur Roland Schwab, der schon für Dallapiccolas „Gefangenen“ eine schlüssige Bildersprache entwickelt hatte (siehe nmz Online vom 1.5.2010), geht mit seinem Ansatz ein hohes Wagnis ein. Statt die Abstraktion des Stückes mit Historienprunk aufzupeppen oder aber durch moderne Kargheit zu verdoppeln, siedelt er es in einem sehr konkreten Ambiente an: In einem 70er-Jahre-Motelzimmer (Bühne: David Hohmann), das nach hinten gespiegelt, de facto aber verdoppelt wird, bewegen sich die Figuren in einem mit dem tastenden Gestus der Gesangsparts korrespondierenden Zeitlupentempo.
Kleine ironische Brechungen innerhalb dieses sehr artifiziellen Szenarios entstehen durch die Auftritte des Dieners, der als heimlicher Beobachter in Tapetencamouflage unerkannt bleibt und den Ehebruch mittels Mikrofon-Angel dokumentiert. Denn dieser spielt sich übers Telefon ab, das der gehörnte Ehemann dann auch zur Fernfolterung einsetzt: Das Zerlegen des Hörers und das Entreißen seiner Kabeleingeweide fügt der Frau unmittelbaren Schmerz zu.
Diese sechste Szene bringt in ihrer langsam sich aufbauenden Intensität – auch Sciarrino zieht hier hörbar die Daumenschrauben an – einen entscheidenden Wendepunkt. Schwabs bis dahin etwas gesucht wirkende Bewegungsdehnungen entsprechen nun ganz dem unregelmäßigen Puls der Musik. Gebannt folgt man deren instrumentalen Details, von denen die Szene nie ablenkt.
Kai Röhrig hat das 27-köpfige Orchesterensemble fabelhaft für diese heikle Aufgabe präpariert. Mit großer Selbstverständlichkeit fügen sich die vielfach an der unteren Hörschwelle angesiedelten mikroskopischen Einzelereignisse zu beklemmender Dichte. Ausgezeichnet außerdem die Bewältigung der Vokalparts durch Ekkehard Abele, Roland Schneider, Nikolaus Meer und vor allem durch die sängerisch überragende, schauspielerisch enorm präsente Mandie de Villiers-Schutte in der Rolle der Malaspina.
Am Ende dieses in seiner szenischen wie musikalischen Kompetenz beeindruckenden Premierenabends gibt Roland Schwab dem Ganzen mit Anspielungen auf das verhüllte Mobiliar aus Alejandro Amenábars „The Others“ und Hitchcocks „Vertigo“-Spirale noch eine neue Wendung: Sind es Tote, denen wir da eine Stunde lang zugesehen und zugehört haben? Daraufhin könnte man die Reise nach Passau (bzw. Straubing oder Landshut) durchaus noch einmal antreten.
Weitere Vorstellungen: Straubing, 20.12.11; Passau, 06., 13. und 14.01.12; Landshut 27.01.12