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Janáceks "Aus einem Totenhaus" an der Berl. Staatsoper. Foto: Monika Rittershaus
Janáceks "Aus einem Totenhaus" an der Berl. Staatsoper. Foto: Monika Rittershaus
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Erzählen als Überlebensstrategie: Leoš Janáčeks „Aus einem Totenhaus“ an der Staatsoper Berlin

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An den Berliner Opernhäusern herrscht unabgesprochen ein Janáček-Schwerpunkt: der vorletzten Oper des Komponisten an der Komischen Oper Berlin folgte im Tagesabstand das letzte Bühnenwerk an der Staatsoper in Schillertheater, dem in dieser Saison noch, schräg gegenüber in der Deutschen Oper Berlin, die „Jenufa“ folgen wird.

Während „Das schlaue Füchslein“ und dann auch die „Jenufa“ weiter im Repertoire bleiben werden, sind die sechs Aufführungen  „Aus einem Totenhaus“, dem Stagione-System der Staatsoper geschuldet, innerhalb von vierzehn Tagen abgespielt. Und damit wird eine Reihe gefeierter Stationen einer Meisterinszenierung von Patrice Chéreau zum Abschluss kommen, die im Jahre 2007 bei den Wiener Festwochen begann, beim Holland Festival in Amsterdam und beim Festival d’Aix-en-Provence, sodann an der Metropolitan Opera New York, der Mailänder Scala und in Birmingham fortgesetzt worden war.

Nun ist diese Koproduktion von Janáčeks Dramatisierung des Romans von Fjodor M. Dostojewskis also auch in Berlin angekommen. Die Aufführung wird in tschechischer Originalsprache gesungen, und der Regisseur verlegt die inzwischen klassische Übertitelung der deutschen Übersetzung mit fünf Beamern in das kinetische Bühnenbild von Richard Peduzzi, das den Raum des Spielgeschehens ständig, kaum merkbar aber effektiv, verändert.

Szenisch ist dieser Abend als eine immense Ensembleleistung über die Jahre gewachsen und bietet – trotz teils differenzierender Besetzungen an den unterschiedlichen  Aufführungsorten – ein bestens auf einander eingespieltes Team in seinem Kampf ums Überleben im Gulag. Auch in Berlin Hat Patrice Chéreau ausgiebig geprobt, und so fügt sich der von Eberhard Friedrich einstudierte Chor der Staatsoper nahtlos ins intensive Spielgeschehen der neunzehn Solisten und der sechzehn Schauspieler, die das erotisch anzügliche Spiel im Spiel des zweiten Aktes, „Don Juan“ und „Schöne Müllerin“ eindrucksstark gestalten. Das – mit Ausnahme der Minipartie einer Dirne (Susannah Haberfeld) – reine Männerstück wird vom Regisseur mit deutlich ausgespielter Homoerotik in Szene gesetzt, wobei Filme, wie „Der Kuss der Spinnenfrau“ und „Einer flog über das Kuckucksnest“ (ein Fußballspiel mit einem Schuh), alludiert werden. Der junge Adler, den die Häftlinge am Ende der Opernhandlung die Freiheit schenken, während sie wieder zu ihrem gewohnten Marsch aufbrechen müssen, ist eine von den Darstellern in ihrem Flügelschlag bewegte Puppe und damit eine zusätzliche Desillusionierung beim Erzählen als Überlebensstrategie.

Mit seiner häufig kargen Instrumentation antizipiert Janáček Spaltklänge, die aber auch in seiner letzten, 1930 uraufgeführten Partitur immer wieder in hymnische Ballungen münden, dann, wenn hohe Emotion geboten ist und der Komponist in den fragwürdigen Kreaturen des Gulags, in den politisch Verurteilten, wie in den Mördern, den „Funken Gottes“ erkennt und klanglich symbolisiert. Das wird von Dirigent Simon Rattle optimal exerziert. Der bestens disponierten Staatskapelle gelingen auch heikle Stellen wie die hohen, offenen Streicher zu Beginn der Oper, bravourös.

Die Besetzung der intensiv spielenden und in der tschechischen Sprachmelodie ihre Stimmpracht klangvoll zur Entfaltung bringenden Solisten ist erstklassig, von Willard White als Gorantschikow, über Eric Stoklossa als junger Tartar Aleja und Peter Straka als großer Sträfling, bis hin zum ganz alten Sträfling von Heinz Zednik. Für Schischkow mit seiner Mammuterzählung in dritten Akt war Roman Trekel vorgesehen, aber eine Erkrankung verhinderte dieses Heimspiel; Pavlo Hunka aus Birmingham rettete ohne Verluste.

Die pausenlose Aufführung löste beim Premierenpublikum ungeteilten Jubel aus.

Weitere Aufführungen: 6., 9., 11., 14. und 17. Oktober 2011
 

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