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Das Curtis Symphony Orchestra bei den Dresdner Musikfestspielen 2012. Foto: Curtis Institute
Das Curtis Symphony Orchestra bei den Dresdner Musikfestspielen 2012. Foto: Curtis Institute
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Europas Herz in Dresden – Festspiele schlagen Brücke zwischen Wien, Budapest und Prag

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Der Anspruch war immens: „Herz Europas“ lautete das Motto der diesjährigen Dresdner Musikfestspiele. Wer sich den kontinentalen Körper vorstellt, mag ahnen, wo da der (musikalische) Herzschlag zu Hause ist. Eine klingende Brücke von den Kulturstädten Wien – Budapest – Prag sollte diesmal nach Dresden geschlagen werden, Donauklang und Moldauton wogten bis an die Elbe. Aber war diesem Motto binnen zweieinhalb Wochen gerecht zu werden?

 

Das „Herz Europas“, es hat dieser Tage in Dresden geschlagen, wenn man dem Motto der Mitte Mai gestarteten Musikfestspiele trauen kann. Intendant Jan Vogler wollte damit eine musikalische Brücke zwischen Dresden und den Kulturstädten Wien – Budapest – Prag verlegen. Donauklänge an der Elbe, mit reichlich Moldauwasser vermischt, um den 35. Jahrgang des Dresdner Musikfestes herzhaft zu erfrischen?

Das Abschlusskonzert des seit 1978 bestehenden Festivals wurde von der Filarmonica della Scala, dem Orchester der Mailänder Scala bestritten. Für den Auftakt Mitte Mai holte man gar das Curtis Symphony Orchestra aus Philadelphia nach Sachsen. Und zwischendurch trat, da es ohnehin grad unterwegs war, das Orchester des Petersburger Mariinsky-Theaters auf. Ist damit das „Herz Europas“ schon als Mogelpackung entlarvt?

Mitnichten. Denn einerseits hat das im besten Sinne elitäre Studentenorchester vom Curtis-Institut durchaus europäische Wurzeln und pflegt diese Bande bis heute, zum anderen gaben sich namhafte Klangkörper und Interpreten aus eben der musikalischen Herz-Gegend die Dresdner Klinken in die Hand. Gewiss mag das als Orchestra in Residence nach Dresden geholte US-Orchester als nordamerikanischer Schrittmacher für den Jahrgang „Herz Europas“  (miss-)verstanden werden können, ein Bypass aber war es nicht. Unter Robert Spano absolvierte es neben dem Eröffnungskonzert in der immer wieder an akustischen Problemen scheiternden Frauenkirche einen geistreichen Kammermusik-Marathon, gab Meisterkurse am Heinrich-Schütz-Konservatorium und bestritt das Tanzprojekt „Let's Dance!“ von Royston Maldoom. Der durch „Rhythm Is It!“ berühmt gewordene Choreograf zelebrierte diesmal mit Schülerinnen und Schülern diverser Dresdner Lehreinrichtungen das Konzert für Orchester von Béla Bartók und ließ den Ungarn von New York aus, dem Entstehungsort dieser durchaus biografisch zu verstehenden Musik, Rückblick auf sein Leben und Werk halten. Damit war an Strawinskys „Feuervogel“ angeknüpft, den Maldoom vor zwei Jahren in Dresden als Jugendarbeit vertanzte, und es wurde ein weiteres Mal die Tür weit geöffnet, um das Publikum von morgen und übermorgen an die klassische Musik heranzuführen.

Einen ganzen Nachmittag lang funktionierte das auch mit „All you can hear“, einem Mega-Unterfangen in den schummrigen Lagerhallen der Messe, wo das MDR-Sinfonieorchester gemeinsam mit dem Baltic Youth Philharmonic unter Leitung von Kristjan Järvi großformatig und in diversen Kammerbesetzungen aufspielte. Selbst noch am Abschlusswochenende zählte ein Kinderkonzert mit Daniel Hope und Sebastian Knauer zu den bedeutsamen Publikumserfolgen, bei denen gezeigt wurde, wie wichtig die Verknüpfung von künstlerischer Qualität mit Nachwuchsförderung ist. Da bahnt sich der Cellist und Festivalleiter Jan Vogler seinen eigenen Weg in die Zukunft. Derartiges Engagement wird sich erst in den kommenden Jahren auszahlen, schon jetzt aber resümierten die Festspiele einen bislang nie dagewesenen Einnahmerekord. Insgesamt 821.000 Euro wurden durch Kartenverkäufe in die Kassen gespült, ein wunderbares Argument wider die politisch-kleingeistige Sparwut.

Dass dennoch nicht auf kleiner Flamme gekocht und serviert wurde, bewiesen Gäste wie die Wiener Philharmoniker unter Daniel Barenboim, das NDR Sinfonieorchester unter Thomas Hengelbrock, das Mahler Chamber Orchestra mit Leif Ove Andsnes und die Tschechische Philharmonie mit Ingo Metzmacher. Dem Motto gerecht wurden die Wiener Sängerknaben, Gäste mit Zigeunermusik, mit Dresdner Philharmonie und Sächsischer Staatskapelle selbstredend auch die Klangkörper vor Ort und überhaupt die Programmauswahl. Viel Brahms gab es da, viel Beethoven und reichlich Bruckner, aber auch Mozart und die gemäßigte Moderne des 20. Jahrhunderts. Kammermusik und Solokonzerte rundeten das gewaltige Angebot ab. Als herausragender Programmpunkt stand eine Reise nach Terezín an, wo das Pavel Haas Quartett im einstigen Lager Theresienstadt an den nazistischen Infarkt im europäischen Herzen gemahnte.

Dieser Spagat aus hohem künstlerischen Anspruch, durchdachter Programmatik und zukunftsorientierter Dramaturgie machte den Gesamterfolg der Festspiele aus, die zweieinhalb Wochen lang das ohnehin reichhaltige Kulturangebot Dresdens mit einer geballten Ladung herzlich europäisch gewürzt haben.

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