Natürlich sind auch Preise und Jury-Entscheidungen relativ. In der Vergangenheit gab es durchaus genügend Gründe, um sich über den Musikpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung zu ärgern – weil die Wahl der Ausgezeichneten nicht wirklich einleuchten wollte oder die Ehre viel zu spät kam. Dennoch steht außer Zweifel fest, dass die Siemens Musikstiftung größte Verdienste um die Entwicklung und Pflege des internationalen Musiklebens hat – zumal in der neuen Musik.
Seit Beginn ihres Wirkens im Jahr 1973 wurden nicht zuletzt 1.350 musikalische Projekte und zahlreiche junge Komponisten gefördert. Ohne diese Stiftung wäre das Musikleben ärmer, was Grund genug ist, um den vierzigsten Geburtstag dieser Einrichtung groß zu feiern. Hierzu hat die Siemens Musikstiftung eine Reihe mit insgesamt neun Konzerten ausgetüftelt, zu denen im Laufe des Jahres nach Luzern (August), Bonn und Warschau (September), Donaueschingen und Rom (Oktober) sowie Paris, Wien und Darmstadt (November) geladen wird. Auftakt war nun in München.
Das Arditti Quartet, 1999 selbst ausgezeichnet, gestaltete Werke von Preisträgern – wobei interpretatorisch die Streichquartette Nr. 3 „Grido“ von Helmut Lachenmann (2001) und „Dum Transisset I-IV“ von Brian Ferneyhough (2006/07) die Höhepunkte markierten. Mit äußerster Präzision und Transparenz durchdrangen Irvine Arditti und Ashot Sarkissjan (Violine) sowie Ralf Ehlers (Viola) und Lucas Fels (Cello) die geräuschhaften, teils auch stillen Ergründungen von Klang und Farbe. Hörmusiken waren zu erleben, die bis zur letzten Klangaktion zutiefst bewegten, auch berührten – im besten Sinn virtuos und einnehmend.
Zugleich machten die Musiker hörbar, wie sehr gerade Lachenmann einst Ohren und Geist öffnen musste, bis seine Klangsprache endlich zum Gemeingut werden konnte. Dass die Ergebnisse dabei höchst sinnlich sind, zeigte die packende Interpretation des Arditti Quartets. Neben Werken von Lachenmann hat das Ensemble auch den im vorigen Jahr 103-jährig verstorbenen Elliot Carter auf Tonträger eingespielt; beim Konzert in München musste sich das Quartett indessen erst einmal finden, bis in Carters Streichquartett Nr. 5 von 1995 eine konzise Dramaturgie in Zeit und Raum erwachsen konnte.
Dies galt noch mehr für das „Quartettino“, das Benjamin Britten 1930 im Alter von sechzehn Jahren geschaffen hatte und den Abend einläutete. Hörbar Mühe hatten die Musiker, sich in dieses Frühwerk einzuleben, das sich sehr stark an der Tradition orientiert – trotz der staunenswert originellen Kunstfertigkeit, die die Partitur zweifellos verrät. Dabei ließ die Intonation partiell deutlich zu wünschen übrig. Nein – sobald es „traditioneller“ wird, vermag das Arditti Quartett nur eingeschränkt zu überzeugen. Sie sind Meister der Exegese des Neuen, Ungewöhnlichen, Anderen. Hier vermögen sie eigene, bleibende Akzente zu setzen.