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Khatuna Mikaberidze in „Die Teufel von Loudun“ in Hannover. Foto: Thomas M. Jauk
Khatuna Mikaberidze in „Die Teufel von Loudun“ in Hannover. Foto: Thomas M. Jauk
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Exkurs zur abendländischen Toleranz: Pendereckis frühe Oper „Die Teufel von Loudun“ in Hannover

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„Dem Teufel ist nicht zu trauen, auch wenn er die Wahrheit spricht“ – Aldous Huxley zielte auf den Umgang mit Wahrheitsfindung, Rechtsstaatlichkeit und im weitesten Sinn die Anerkennung evidenter Tatsachen durch die Machthaber in Geschichte und Gegenwart, als er – gestützt auf akkurate historische Recherchen – 1952 „The Devils of Loudon“ schrieb. An der Oberfläche dieses Textes, der ein paar Jahre später von John Robert Whiting dramatisiert wurde, geht es um politische Auseinandersetzungen, religiösen Wahnsinn und Hexenhysterie in einer südfranzösischen Kleinstadt während des Dreißigjährigen Kriegs.

Freilich zielt die Geschichte nicht zuletzt auch auf den virulenten Totalitarismus in der Mitte des 20. Jahrhunderts: auf den noch immer staatstragenden terroristischen Stalinismus wie auf den in der westlichen Hemisphäre aufblühenden und eben auch menschenverderbenden McCarthyismus. Der Plot, den sich Krzysztof Penderecki für seine 1969 in Hamburg uraufgeführte Oper aus der Huxley-Vorlage und einer Übertragung des Whiting-Dramas ins Deutsche durch Erich Fried selbst arrangierte, kontrastiert die Lebens- und Leidensgeschichte des attraktiven und wortgewaltigen Geistlichen Urbain Grandier mit besonders krassen Fällen von Hysterie unter Ursulinen-Ordensschwestern. Der Pfarrer, der für die Reize der Frauen empfänglich ist, gerät politisch zwischen die Fronten, indem er es mit denen hält, die auf die Zusagen des jungen Königs Louis XIII bauen und zu spät realisieren, dass Kardinal Richelieu das Gesetz des Handelns an sich zog und die Zentralmacht in Frankreich sich rabiat durchsetzen wird. In Loudun war 1634 der Teufel los – nur gibt es in der Nachwelt eben keinen Konsens darüber, wer oder was Kraft des Bösen war und was als göttliche Fügung zu verstehen ist.

Balázs Kovaliks Inszenierung des von Anfang an umstrittenen Werks an der Staatsoper Hannover vermeidet alle Anspielungen auf Huxleys Subtexte gegen den Totalitarismus in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Sie folgt dem Wortlaut des vom Komponisten arrangierten Librettos. Der Bühnenbildner Florian Parbs stellte Gerüste bereit, von denen die Bürger Louduns, angezogen wie Leute von heute, nach hinten und nach vorn gaffen. Immer wieder aber zeigt ein Bildkasten in der Mitte der Bühne dicht zusammengedrängte Tableaux vivants: Pontius Pilatus in den Kostümen und Bildinszenierungen der großen Wandgemälde des frühen 17. Jahrhunderts (wie er sich die Hände wäscht und den Religionsgründer auf dessen letzten Weg schickt) oder Salome, die den Kopf des Täufers abgehackt und serviert bekommt, den Schädel dann lasziv liebkost. Die Statisten gruppieren sich ebenso diskret grotesk und allzu dicht zusammengedrängt zu einer Figurengruppe um eine von Pfeilen durchbohrte Heilige mit starker erotischer Ausstrahlungskraft, zur wilden Sex-Orgie am letzten Abendmahlstisch und zu verschiedenen Ensembles schöner Schwangerer (gewiss haben Kovalik und Parbs Monthy Python’s „Life of Brian“ ebenso gesehen wie Peter Greenaways „Wunder von Macon“).

Die ironisch gebrochene Kunstschönheit der barocken Bilder kontrastiert mit dem ernüchternden Fortgang der brutalen Realpolitik und der an die Nieren gehende Entrechtung, Demütigung, Folterung und physische Vernichtung Grandiers. Kovalik zeigt – das Libretto sieht dies vor – wie dem Delinquenten nach dem Brauch der Zeit vom Chirurgen die Haare geschoren und die Fingernägel ausgerissen, dann die Beinknochen gebrochen werden. Dann allerdings wird er nicht geräuchert und verbrannt, sondern in einer kreuzförmigen Schalung einbetoniert (da fordert die Kenntnis einschlägiger Mafia-Filme ihren Tribut).

Brian Davis verleiht mit seiner geschmeidigen und doch entschiedenen Stimme dem erfolgreichen Pfarrer ebenso bedeutendes Format wie dem standhaft Leidenden. Khatuna Mikaberidze bleibt der Partie der Gegenspielerin Jeanne gleichfalls nichts schuldig: Weder der Darstellung und dem Aussingen der unerfüllten Geilheit noch der geheuchelten Naivität, die sie an den Tag legt, als der aufgeklärte Prinz Henri öffentlich demonstriert, dass sich die von ihr vorgespielte Befreiung von den bösen Dämonen einem Placebo-Effekt verdankt. Kovalik lässt es den Emissär des Hofes mit dem Leben büßen: wie sein Vater, der tolerante König Henri IV in der wirklichen Weltgeschichte, wird er von einem Geistlichen gemeuchelt. Der Regisseur schont die Nerven der Hannoveraner nicht – die nach der Uraufführung besonders umstrittene Klistier-Szene, bei denen das Böse aus den Nonnen auf bewährte medizinische Weise expediert wird, zeigt Kovalik als zwangsweise und höchst gewaltförmig vorgenommene Vaginalspülungen.

Das Werk wurde also mehr oder minder gewinnbringend aktualisiert und doch der historischen Folie nicht gänzlich entkleidet. In der Hauptsache vermittelte der Regisseur eine einfache und klare Botschaft: Dass vor noch nicht all zu langer Zeit die Rechtsstaatlichkeit und der Umgang mit Menschenrechten in West- und Mitteleuropa so funktionierte, wie dies von diesem Libretto behauptet und von der grobkörnigen Musik drastisch unterstrichen wird. Mag sein, dass diese Botschaft gerade auch an jenen Menschenschlag adressiert ist, der glaubt, „wir“ müssten „die Chinesen“ oder „die arabische Welt“ hinsichtlich „westlicher Werte“ belehren. Die Inszenierung verweist wie beiläufig darauf, lieber noch einmal vor der eigenen Tür zu kehren. Sie ruft wie beiläufig in Erinnerung, dass noch kein halbes Jahrhundert vergangenen ist, seit die Katholische Kirche und einige ihr besonders ergebene Fußtruppen Aufführungen der „Teufel von Loudun“ verhindern und die nicht ernsthaft zu bestreitenden Wahrheiten des Textes unterdrückt wissen wollten. Und da diese Kräfte sich derzeit erneut anschicken, in dieser Weise zu agieren, war es höchste Zeit für eine Erinnerung an diese Oper mit ihrer einst provozierend plakativen Musik.

Stefan Klingele sorgt dafür, dass sie aufs Neue im besten Theatersinn wirkt. Und dazu tragen auch Neele Kramer, Ania Vegry und Julie-Marie Sundal als gemeine Ordensschwestern ebenso bei wie die auf treffliche Weise schrill-begehrliche Ina Yoshikawa als Philippe, die sich Grandier an den Hals und – folgenreich – ins Bett wirft. Unterdrückte Sexualität und Sexualneid, das schrieb der demonstrativ gläubige Katholik Penderecki seiner Kirche noch einmal hinter die Ohren, können übelste Folgen haben. Es steht aber zu fürchten, dass zumindest die Konzernzentrale der politischen Vereinigung in Rom fortdauernd harthörig bleibt.

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