Daniel François Esprit Aubers „Le Cheval de bronze“ erntete 1835, bei der Uraufführung an der Opéra-Comique in Paris, einen überwältigenden Erfolg, der über 100 Wiederholungen erlebte. Weniger erfolgreich war dann Aubers erweiterte Ballett-Fassung des Jahres 1857, während Engelbert Humperdincks deutsche Fassung aus dem Jahre 1889 sich nachhaltiger Beliebtheit erfreute. Nach langem Verstummen scheint die Neuinszenierung der wohl besten komischen Oper Aubers nunmehr an ihre einstigen Erfolge anzuknüpfen: einhelliger Jubel über eine rundum gelungene Produktion an der Komischen Oper Berlin.
„Kinder und Tiere auf der Bühne“, lautet ein viel geschmähtes, aber zumeist erfolgreiches Rezept. Hier sind es Jugendliche im Tierkostüm, fünf freche, schreiend auf Polstermöbeln hopsende Affen, sowie zwei possierliche, am Bambus nagende Panda-Bären – denn die Handlung spielt, wie im Original, in China, und die bereits die Potpourri-Ouvertüre bebildernden Tiere verfehlen beim Publikum nicht die intendierte komische Wirkung.
In Eugène Scribes selbst erfundener Geschichte führt ein ehernes Pferd Männer auf den nur von Frauen bewohnten Planeten Venus. Dort müssen sie 24 Stunden lang den Verführungen der Frauen widerstehen, sonst werden sie auf die Erde zurück geworfen, und wenn sie dort etwas von ihren Erlebnissen berichten, werden sie zu Stein. So geht es einem jungen Bauern, der das schöne Bauernmädchen Pe-Ki liebt und auch einem Mandarin, der sie als seine fünfte Ehefrau heiraten will. Der kaiserliche Prinz Yang erleidet ebenfalls dieses Los, da er sich in die Mogul-Prinzessin Stella verliebt, welche auf der Venus gefangen gehalten wird. Pe-Ki, als Mann verkleidet, besteigt dann selbst den Flugkörper zur Venus, widersteht den Reizen der Frauen und erlöst mit dem magischen Armband der Stella die versteinerten Männer.
„Das eherne Pferd“ hieß die ältere deutsche Fassung, in der Bearbeitung von Engelbert Humperdinck. Aber heute weiß das Gros des Publikums mit dem Begriff „ehern“ offenbar nichts mehr anzufangen und denkt dabei bestenfalls an „Ehen“ – was allerdings bei dieser Spielvorlage gar nicht so falsch wäre. In der deutschen Neuübersetzung von Bettina Bartz und Werner Hintze, in Musiknummern und Dialogen prall gefüllt mit zündendem Wortwitz, heißt die Oper „Das bronzene Pferd“. Die trefflich gebaute Situationskomik hat Frank Hilbrich in seiner Inszenierung rasant versinnlicht. Auch Slapstick darf nicht fehlen, Bananen für die Affen und überdimensionale Umzugskartons als „Schleier“ und Versteck, sowie zwei große Polstersessel, die als echte Spielrequisiten behandelt und auch geworfen werden, und ein Sofa-Tisch mit seiner von geilen Phallokraten gehaltenen Tischplatte, lässt sich bei Bedarf herauskullern.
Die Schwierigkeit für die Ausstattung stellt in der Regel das eherne Luftross dar. In der Komischen Oper Berlin sieht man zunächst nur den Unrat, den dessen qualmender Start auslöst, im zweiten Akt bricht die mit einer fahrbaren Tapete der chinesischen Mauer verhängte Betonwand des Bauern Tschin-Kao in Form einer Pferdesilhouette durch (Bühnenbild: Volker Thiele). Auf dem Planeten Venus erhebt sich über Sandboden ein weißes Stoff-Lamellen-Geviert, vertikal geschlitzt. Den Damenchor der sich eurhythmisch bewegenden Venus-Frauen hat Gabriele Rupprecht in enge weiße Abendkleider gesteckt, deren Vorderseite die unverhüllte weibliche Nacktansicht integriert. Die chinesischen Frauen sind hingegen grell-gelb, in seidene Mao-Anzüge, die Herren entsprechend in Pink gewandet.
Die drei ersten (stummen) Ehefrauen des Mandarins sind über Gebühr fett ausgepolstert, wie auch der Mandarin selbst, während Erika Roos als seine vierte Ehefrau Tao-Jin eigene Körperfülle mitbringt, diese aber mit virtuoser Körperlichkeit, geradezu artistisch überhöht: die abenteuerliche Partie der Möchtegern-Witwe, von der Altlage bis zum hohen C, verkörpert sie hinreißend, sogar kopfüber. Julia Giebel als zickige Mogul-Prinzessin Stella wird den stimmlichen Schwierigkeiten bravourös und mit Biss gerecht. Auch Annelie Sophie Müller als begehrte Pe-Ki gewinnt mit breiter Charakterisierungspalette die Sympathie des Publikums. Neben diesen drei großen Frauenrollen gibt es noch die einer Komikerin, Stellas Ehrendame Lo-Mangli, deren auch stimmlich nicht unerheblichen Anforderungen Violetta Madjarowa gerecht wird.
Nicht mit ganz so brillanter Musik hat der Komponist die Riege der männlichen Widerparts bedacht: mit maskuliner Selbstironie verkörpert Tom Erik Lie den alten Mandarin, der Bassist Juri Batukov zeichnet Pe-Kis Vater Tschin-Kao als Neokapitalisten. Etwas farblos bleibt Stephan Boving als armer Bauernbursche Yan-Ko. Als kaiserlicher Prinz von China mischt der koranische Tenor Sung-Keun Park stimmliche Nuancierung mit pantomimischem Vermögen und feurigen Dialogen. Der von André Kellinghaus einstudierte Chor der Komischen Oper Berlin singt und spielt wieder einmal, dass es eine Freude ist.
Mit italienischem Tempo und mit rhythmischer Schärfe geht Dirigent Maurizio Barbacini an die Partitur, die in ihren Ensembles und Finales Mozart und Rossinis Buffo-Opern nahe steht. In Ironie, Doppelbödigkeit und tänzerischer Ausgelassenheit des Can-Can ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zu Jacques Offenbach.
Ein Seitenstück zur Singschule in Lortzings gleichaltriger Oper „Zar und Zimmermann“, ebenfalls eine Szene für Bass und Chor, ist die Kantate, welche die Bauern, auf Geheiß des geldgierigen Bauern Tschin-Kao, dem Mandarin als Ständchen bringen sollen; liegt der Witz bei Lortzing in den harmonischen Rückungen und formalen Brüchen, so hier in der dynamischen Steigerung von Pianisissimo bis zum vierfachen Forte, mit dem der Chor den vermeintlich eingeschlafenen, zu Stein erstarrten Mandarin, schließlich brüllend, vergeblich aufzuwecken versucht.
Bei der Musikalisierung des nur von nackten Frauen bevölkerten Planeten Venus greift der Komponist den Topos des Elysiums von Glucks „Orphée“ auf. Auch die fioriturenreiche Chanteuse à roulades, die dem diesen Akt eröffnenden Damenchor folgt, scheint Glucks französische Fassung zum Vorbild zu haben, hier allerdings im elysäischen Effekt noch gesteigert durch das Höherschrauben der Sopranstimme der Prinzessin Stella mit aberwitzigen Koloraturen.
Trotz der turbulenten Exzentrik dieser Inszenierung, in der Yang, der kaiserliche Prinz, in eine Blumenvase kotzt, der Mandarin Tsing-Sing angesichts seiner neuesten, jungen Ehefrau Pe-Ki, onaniert und am Ende der gesamte Chor es dem im Rudel bumsenden Affen gleichtut, erntet der Abend einen ungeteilten, stürmischen Applaus.
Weitere Aufführungen: 20., 26. März, 7., 27. April, 6., 15., 28. Mai, 3. Juli 2012.