Die Staatsoper Berlin hatte „R. Hot bzw. Die Hitze“, das erste Bühnenwerk des 1941 geborenen Komponisten Friedrich Goldmann, in Auftrag gegeben, aber bei ihrer Uraufführung im Jahre 1977 wurde die zum 25. Jahrestag der DDR preisgekrönte Oper in einer Inszenierung von Peter Konwitschny aus politischen Rücksichten doch nur verknappt aufgeführt. Die auf der stark autobiographisch gefärbten dramatischen Phantasie „Der Engländer“ von Jacob Michael Reinhold Lenz aus dem Jahre 1877 basierende Handlung wurde vor zwei Jahren in einer Inszenierung am Konzerthaus Berlin, sehr witzig nacherzählt. Die Neuinszenierung in der Werkstatt der Staatsoper hingegen geriet langatmig, verquast und für unvorbereitete Besucher unverständlich.
Lenz, wie auch Thomas Körner im Opernlibretto, erzählen von der Liebe des jungen Engländers Robert Hot zur italienischen Prinzessin Armida von Carignan. Er wird zum Deserteur, von der Prinzessin begnadigt und von seinem Vater frei gekauft. Doch er weigert sich, in seine Heimat zurückzukehren um dort die Tochter eines Lords zu heiraten. Den Sonderling besucht die Prinzessin, als Hure verkleidet, am Krankenlager. Ihrem Plan gemäß ersticht sich Hot, – bei Körner und Goldmann aber nur zum Schein, um mit der Prinzessin ein neues Leben zu beginnen.
Isabell Ostermann, Regieassistentin bei Schlingensief, Marthaler und Konwitschny, wollte Goldmanns Oper offensichtlich neu politisieren. So beginnt ihre Inszenierung mit einem akustisch eingeblendeten Interview-Text von Ulrike Meinhof, und ein inmitten des Publikums sitzender Sprecher (Nils Strunk) säuselt Texte von Lenz live ins Mikrofon. Goldmanns Vorschlag einer „Trivialmusik (Rock, Beat o. ä.) nach Wahl des Theaters“, folgend, öffnen sich einmal die Türen zum Nebenraum, wo ein Elektrogitarrist vor einem das Publikum blendenden Scheinwerfer und papierenen Spruchbändern („Genieße nicht – empfinde nicht – handele!“) schrill konzertiert.
Der – wie alle Handlungsträger – in Rot gewandete Sängerdarsteller der Titelpartie exerziert auf einem Podest, das er zwei Akte lang nicht verlässt, als seiner Gefängniszelle. Seine hampelmannartig abgezirkelten Bewegungen vermögen ihn nicht zur Sympathiefigur zu machen. Die anderen Personen der Handlung treten nicht in direkte Beziehung mit ihm, sondern erscheinen in drei mit Gaze abgeschrägten Zellen auf der darüber liegenden Bühnenebene (Bühne: Stephan von Wedel). Wenn die Prinzessin Hot begnadigt, ist sie als Guerillakämpferin maskiert, doch ihr Gewehr bleibt Pantomime.
Ab dem dritten Akt wird in Neon-Arbeitslicht gespielt. Hot baut eine TV-Anlage mit Kamera und zwei Monitoren auf, um sich als Agitator vor entsprechenden Spruchbändern („Befreit Euch selber“, „Weg mit den Vätern“) zu filmen. Dass er dann im Nebenraum einen Pilgerstab findet und sich mit Decke als Umhang zum Heiligen stempelt, erscheint offenbar selbst den Bühnentechnikern zu viel, die das Kamera-Equipment und die Zellenpodeste abtragen. Die Personen des vierten Aktes dringen nur noch als Stimmen über Lautsprecher an Hot.
Im fünften Akt erfolgt ein Zeitsprung: die roten Gewänder (Kostüme: Jana Bechert) sind durch heutige ersetzt. Die Prinzessin erscheint mit Reisetasche, in der mittleren Zelle oberhalb von Hot, aber statt ihm Rosen zuzuwerfen und dem Geliebten die Selbstmord-Schere zu reichen, führt sie ihn an unsichtbaren Bändern als Marionette. Die anderen Handlungsträger, die im Original als Hots Vater und als dessen Freund, sowie als Beichtväter, Robert Hot betrauern, begrapschen und entkleiden die neuzeitliche Prinzessin – bis auf ihre Unterwäsche. Sieb wird dann gezwungen, über eine Leiter zu Hot herabzusteigen, aber die Beiden finden nicht zueinander. Hot verlässt türenschlagend das Theater, und über der Einspielung des Kinderchors mit dem 1977 als obszön erachteten Text über den die Jungfrau ritzenden und heiß seinen Saft verspritzenden Hot dunkelt die Szene ein. Sodann ein letzter Agitationstext als Projektion und Blackout.
Aus der rechten Ecke des Saales leitet Max Renne den Klangkörper der sechs auch sprechenden, singenden, flüsternden und maultrommelnden Instrumentalisten der Staatskapelle Berlin – mit Flöte , Oboe, Klarinette, Fagott, Horn, Kontrabass und Elektronischer Orgel – in akkuratem Zusammenspiel mit den Sängern auf der Bühne. Aber konform zur Szene, entwickelt er nicht den Witz dieser politisch und erotisch gleichermaßen hintergründigen Partitur. Deren teilweise aberwitzige, mulitiple Klangfarben, welche den 112 Miniaturen des Librettos entsprechen, der Einsatz von Cluster und Orgelpunkt, Belcanto und Atonalität, Seriellem und Pop erscheint in dieser gedehnten Abfolge als Ausdruck von Beliebigkeit.
Der Charaktertenor Torsten Süring in der Titelpartie spielt sehr engagiert, forciert aber über Gebühr und auf Kosten seiner Stimmhygiene. Narine Yeghiyan hatte sich wenige Tage vor der Premiere ein Bein gebrochen und musste auf der Szene von der Regieassistentin (Sina Schecker) ersetzt werden. Gleichwohl überzeugte die armenische Sopranistin, trotz ihres Handicaps, neben dem Orchester sitzend und stehend, mimisch und gestisch und bot gesanglich die weitaus überzeugendste Leistung des Abends. Unter den weiteren Sängerdarstellern ragte der im Ruhestand befindliche Heldentenor Reiner Goldberg als Lord Hamilton hervor. Auch der Bassist Markus Hollop vermochte, als Hots Vater, stimmlich zu überzeugen.
Im Gegensatz zur Produktion des Jahres 2010 im Berliner Konzerthaus, hatte das Publikum während der Aufführung weder etwas zu schmunzeln, noch zu lachen. Die ausgiebige Ratlosigkeit wurde der Oper selbst angelastet, und so schenkte des Premierenpublikum am Ende des pausenlosen, zweistündigen Abends den Beteiligten freundlichen Applaus.
Weitere Aufführungen: 25., 26., 28., 29. September, 2., 6., 8. Oktober 2012.