„Jedes Eis klingt anders“, meint Terje Isungset. „Ich habe noch nicht heraus bekommen, an welchen Faktoren es tatsächlich liegt. Aber eines ist klar: Künstlich hergestelltes Eis klingt gar nicht“. Terje Isungset muss es wissen. Schließlich ist der norwegische Perkussionist einer der Pioniere der Ice Music, einer seltenen, weil flüchtigen akustischen Kunstform, die sich mit einem der zentralen Rohstoffe der Erde als Klangkörper beschäftigt. Und er ist auch einer der Protagonisten des Icemusic Festivals, das in diesen Tagen zum vierten Mal auf dem Schnalstaler Gletscher in Südtirol bei Meran stattfindet.
Schuld waren die Olympischen Spiele. Als sie 1994 im norwegischen Lillehammer stattfanden, suchten die Organisatoren nach etwas musikalisch Ungewöhnlichem, das im Rahmen des Kulturprogramms stattfinden könnte. Man besann sich auf das Material, das in der kühlen Region im Überfluss vorhanden ist und beauftragte Terje Isungset, Klänge aus dem Eis zu zaubern. Damit war der Startschuss gegeben und der Perkussionist, der zuvor im jazzafinen Experimentalumfeld bekannt geworden war, hatte sein Medium gefunden. Er begann, über diesen einen Anlass hinaus mit Eis als Instrument zu arbeiten, und ließ sich mehr und mehr von dessen besonderem Reiz fangen. Dabei war es nicht nur die akustische Qualität, die ihn faszinierte, sondern auch der Performance-Charakter, den seine Konzerte dadurch bekamen.
Musizieren mit Rohstoff
„Eis ist ein flüchtiges Material“, erläutert Terje Isungset seine Klangvorstellungen, „ich kann es nicht beeinflussen, sondern muss mich nach dem richten, was es mir vorgibt. Ich kann nicht auf einem festen Instrument üben, sondern muss mich jedes Mal neu darauf einstellen. Das heißt, ich bin der Diener der Musik, nicht umgekehrt“. Nicht zuletzt, fügt er hinzu, habe er damit auch eine politische Aufgabe. Schließlich sei Wasser der grundlegende Rohstoff der Erde und sein Engagement trage womöglich dazu bei, dass manch einer darin auch etwas Wertvolles sehe, der es sonst nicht zur Kenntnis nehme.
Natürlich hat das Musizieren mit Eis auch seine Grenzen. „Diesmal zum Beispiel ist es im Ice Dome wärmer als im vergangenen Jahr. Mein Eisxylofon hat sich deshalb gleich kräftig verstimmt“. Bereits zu Beginn der letzten Februarwoche war Terje Isungset aus Norwegen nach Südtirol gereist, um dort Instrumente mit scharfen japanischen Messern aus dem Gletschereis zu schnitzen. Er knüpft damit auf 3200 Metern Höhe in den Alpen an das an, was er mit seinem eigenen Festival in Geilo bereits begonnen hatte. Tatsächlich bildet sich bereits eine kleine Community von Liebhabern dieser sphärischen ungewohnten Klänge heraus, die von Kanada über Skandinavien bis in die hohen Lagen der Alpen reicht.
Eismusik im Schnalstal
Das Eismusikfestival im Schnalstal findet bereits zum vierten Mal statt. Noch bis zum 7. März sind Wanderer und vor allem Skifahrer dazu eigeladen, täglich um 14:30 Uhr dem Gast aus Norwegen und seinen beiden Mitmusikerinnen beim Improvisieren mit Eis zuzuhören. Der Ort ist ungewöhnlich, eine insgesamt 18 Meter hohe und in den Gletscher hinein geschnittene Eishöhle, in der das Icemusic Festival und darüber hinaus auch regelmäßiges Frozen Chill-Outen veranstaltet wird. Bis auf ein paar elektrische Leitungen und etwas Technik ist dort alles aus dem Eis geschlagen und lockt selbst dem eher zurückhaltenden Terje Isungset bewundernde Anmerkungen ab. „Ich meine, wo sonst auf der Welt kann ich auf den Skiern zum Konzert gleiten, dann Musik machen und im Anschluss daran kilometerlang ins Tal abfahren?“.
Diese spezielle Atmosphäre ist das Geheimnis des wachsenden Erfolges des Icemusic Festivals. Denn die Klänge selbst sind ungewöhnlich, aber tendenziell meditativ und entsprechen nicht dem traditionellen Bild virtuoser Leistungsschau. Isungsets Klöppelschläge erinnern an Xylofon-Sounds, seine Eistrompete an eine Mischung aus Didgeridoo und Sakuhachi. Sie werden durch die klanglich metallen wirkenden Akzente von Sidsel Walstads Eisharfe und durch ein paar erdenferne Vokalisen der Sängerin Lena Nymark ergänzt, getragen, schwebend, aus den Gegebenheiten der Instrumente und der Momente heraus improvisiert.
Spektakulär ist dabei nicht die Musik selbst, sondern das Zusammenwirken vieler Impulse: die Begeisterung der Schnalstaler für ihren Ort und die darin steckenden Möglichkeiten, die so eine Konzertreihe erst möglich macht; die gestalterischen Vorlieben der skandinavischen Gäste und die Atmosphäre des Ice Domes, die aus der Idee eines extremen Musikereignisses ein klangkulturelles Event machen, dass sich an kaum einem anderen Ort der Welt sonst erleben lässt.
4. Icemusic Festival, 26.2.-7.3.2010, Schnalstal in Südtirol, Anfahrt und Shuttle über Kurzras / Gondelbahn. Kontakt; 0039 0473 679 148