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Foto: Theâtre Royal de la Monnaie
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Grandioses Solo: „Ismène“ von Georges Aperghis in Brüssel uraufgeführt

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Sie war aus Thebens stolzem altem Königshaus: Ismene, Tochter von Oedipus sowie Tochter und Enkelin von dessen Ehefrau und Mutter Iokaste. Sophokles charakterisierte sie in „Ödipus auf Kolonos“ und „Antigone“ im Vergleich zur älteren Schwester als vorsichtiger, schwächer und in jeder Hinsicht ‚weiblicher’. Als es freilich ernst wurde damals in grauer Vorzeit auf dem Peloponnes, soll sie sich solidarisiert haben: Antigone erweist dem Bruder Polyneikes, der mit seinen Kumpanen einen Krieg gegen die Heimatstadt anzettelte, die letzte Ehre, nachdem er im Zweikampf mit dem (nicht mehr rechtmäßig regierenden) Bruder Eteokles getötet wurde.

Sie bestattet den auf dem Kampfplatz Liegengebliebenen symbolisch, obwohl der Onkel und neue Machthaber Kreon dies ausdrücklich untersagte.Deshalb soll Antigone lebendig ins Grab gesperrt werden. Ismene erklärt sich bereit, ihr Schicksal zu teilen.

Dies späte Engagement fand in der Rezeptionsgeschichte bislang kaum Aufmerksamkeit. Das kann sich durch die Bemühung von Yannis Ritsos ein wenig ändern. Sein Text erweckt zwar Ismenes allzeit im Schatten der aktiveren Verwandten gebliebene Biographie nicht aus dem Dunkel der Prähistorie zu lichtem Leben. Aber er vermag ein Schlaglicht auf eine (möglicherweise recht moderne) Frauenseele zu werfen – auf eine Frau, die sich nach Liebe und Glück sehnt und der die Zeit verflogen ist. Dies lyrische Ich teilt seine Befindlichkeit mit, singt und sagt von den Sorgen und Ängsten. Dabei muß und kann diese Ismène dank live-Elektronik mit sich selbst im Kanon singen.

Marianne Pousseur, nur mit ein paar Perlenketten bekleidet, rezitiert anfänglich vor dunklem Hintergrund, scharf beleuchtet auf einem Stuhl von einem dicht vor ihr stehenden Scheinwerfer. Sie spricht, immer wieder in Klangrede und kleine stimmartistische Ausflüge übergehend, über einer erst später sichtbar werdenden Wasserfläche (und über den Wassern herrscht zunächst Ruh’). Der Sprechgesang, der fast unbegleitet bleibt, rückt vom am Rand des flachen Bassins in dessen Mitte und in den Hintergrund. Indem die einsame Ismène Trockeneiswürfelchen auf die Wasserfläche wirft, beginnt diese zu sprudeln, zu wallen, zu dampfen – welch ein Theaterbild! Projektionen von Pousseurs Gesicht und eines altgriechischen Textes werden auf die Fläche projiziert und den Erschütterungen der kleinen Wellen ausgesetzt. Sie fangen an zu leben. Und ein blutiger Becher treibt auch in der Gischt.

Eine Produktion mit einer fulminanten Darstellerin konzentriert sich da auf das, was dem Text wesentlich ist. Anspruch, Aufwand und sparsam-musikalische Zutat von Georges Aperghis befinden sich völlig im Lot. „Verflogen tijd“: das ist ein Schlüsselbegriff in der Produktion der Compagnie Khroma, die in Koproduktion mit dem Festival Ars Musica, dem Théâtre de la Monnaie in Brüssel und dem Grand Théâtre de Luxembourg dieses Ein-Personen-Stück im Théâtre de la Balsamine präsentiert, einem Kulturzentrum in Schaerbeek, einem nördlichen Stadtteil der belgischen Hauptstadt – und die 75 Monolog-Minuten verstreichen wie im Flug.

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