Die Meldung über die geplante Versteigerung des lange Zeit verschollenen Manuskripts der 2. Sinfonie in e-Moll op. 27 aus der Feder Sergej Rachmaninows (1873–1943) durch Sotheby‘s in London weckt Erinnerungen an den mehrjährigen Aufenthalt des russischen Komponisten und Klaviervirtuosen in der sächsischen Königsstadt Dresden. Dort komponierte er neben seiner 1. Klaviersonate und der sinfonischen Dichtung „Die Toteninsel“ die häufig aufgeführte spätromantische zweite Sinfonie. Die Dresdener Jahre zählten zu den produktivsten seines künstlerischen Schaffens.
Zusammen mit seiner Frau Natascha lebte er nach seiner Zeit als Dirigent am Bolschoj-Theater in Moskau von November 1906 bis April 1909 in Elbflorenz. Das Ehepaar wohnte in einer Villa in der Sidonienstraße 6, die der Feuersturm in der schrecklichen Bombennacht am 13. Februar 1945 hinwegfegte. Der Standort des Hauses ist nur noch zu erahnen. Es dürfte auf der Ödfläche des Parkplatzes zwischen der Reitbahnstraße und der heutigen Sidonienstraße gelegen haben.
Die Jahresmiete für die Villa betrug 2.200 Mark. Richard Strauss zahlte zur selben Zeit für seine Neun-Zimmerwohnung im Berliner Vorort Charlottenburg 2.800 Mark. Seinem Freund Nikita Semjonowitsch Morosow schilderte Rachmaninow in einem Brief die Lebenshaltungskosten damals: „Das Leben hier ist sehr teuer. Glaube künftig nicht, wenn sie Dir erzählen, daß es hier billiger sei. Ich gebe Dir einige Beispiele: 1 Pfd. Suppenfleisch kostet 1 Mark, ein Pfund Schinken 2 Mark, 1 Huhn oder Ente – 3 Mark ... 6 Kerzen kosten 75 Pfennige, eine Flasche Milch 22 Pfennige usw. Teuer ist auch die Musik. Ein schlechter Platz im zweiten Logenrang kostet 6 Mark.“ Ein junger kaufmännischer Angestellter verdiente damals im Jahr zwischen 900 und 1.800 Mark, sein älterer Kollege kam auf 3.000 bis 4.000 pro anno, allerdings bei einer Arbeitszeit von bis zu zwölf und mehr Stunden am Tag.
In dem Brief hieß es weiter: „Übrigens hörte ich hier Richard Strauss‘ Oper ‚Salome‘ und geriet in völlige Aufregung. Am meisten über das Orchester natürlich, aber es gefiel mir auch vieles in der Musik, allerdings nur dann, wenn es nicht mehr so falsch klang. Und seine Instrumentierung ist unglaublich. Wenn ich, im Theater sitzend, mir vorstellte, dass sie hier plötzlich und sofort zum Beispiel meine Oper anfangen würden zu spielen, wäre das für mich peinlich und beschämend. (Rachmaninow hatte bis dahin drei Opern für das Bolschoj-Theater geschrieben: 1893 „Aleko“ und 1896 „Der geizige Ritter“ und „Francesca da Rimini“. Anm. W.Sch.) Es wäre ein solches Gefühl, als ob ich vor das Publikum entblößt treten würde. Sehr viel mehr versteht es Strauss, sich zu kleiden...“
Einem anderen Freund teilte er voller Entsetzen mit, „dass Herrenschuhe hier nur junge Damen verkaufen und anprobieren.“ – „Ich ging hinein, um mir Stiefel zu kaufen und wusste nicht, wie ich nur wieder entrinnen könnte. Eine junge Dame probierte an, und die anderen, wie absichtlich frei, stehen auf der Stelle und kichern. Ich kaufte mir enge Stiefel und beschloss, von nun an Stiefel in Russland zu kaufen.“
Während seiner Dresdener Jahre suchte er immer wieder seine Heimat auf. Seine Tochter Tatjana kam am 21. Juni 1907 in Russland zur Welt.
Die 2. Sinfonie, die er seinem Lehrer Sergej Tanejew (1856–1915) widmete, wurde unter seiner Leitung am 8. Februar 1908 in St. Petersburg uraufgeführt. Die sinfonische Dichtung „Die Toteninsel“ nach dem berühmten Gemälde von Böcklin erlebte ihre Weltpremiere am 18. April 1909 in Moskau. Das Böcklin-Bild inspirierte vier Jahre später auch Max Reger zu einer Komposition.
Ein halbes Jahrhundert lang galt das Manuskript der Zweiten von Rachmaninow als verschollen, jetzt soll das 2004 wie aus dem Nichts wieder aufgetauchte Dokument, dessen Wert auf eine bis 1,5 Millionen Euro geschätzt wird, im Auktionshaus Sotheby‘s am 20. Mai versteigert werden. Die Notenhandschrift war zunächst als Leihgabe an das British Museum in London gegangen.