Seit unendlich vielen Jahren möchte die Stadt Frankfurt erreichen, dass sich die umliegenden zum Teil sehr finanzstarken Gemeinden (Beispiel: Eschborn) an den Kulturausgaben für die diversen Frankfurter Kunsttempel beteiligen, genannt seien nur die Museen, die Theater, die öffentlich geförderten Musikinstitutionen. Begründung: Frankfurt erbringt diese Leistungen nicht nur für die eigenen Bürger, sondern für die gesamte Region. Die ablehnende Haltung der angesprochenen Orte gipfelte in dem Argument, Frankfurt sollte doch froh sein, wenn die „umliegenden Theaterfreunde“ überhaupt nach Frankfurt kämen und Eintritt bezahlten, sonst wären Theater und Konzertsäle höchstens halbvoll.
Inzwischen hat sich die Lage jedoch gebessert. Die Gründung einer „Kulturregion Frankfurt am Main GmbH.“, der 31 Gesellschafter angehören, bedeutete einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Jetzt hat sich die zweite Gründung, die „Kulturfonds frankfurtrheinmain GmbH.“ nachdrücklich nach vorn geschoben. Die fünf Gesellschafter des Kulturfonds, die Städte Frankfurt und Darmstadt, der Hochtaunus- und der Main-Taunus-Kreis sowie das Land Hessen schlossen sich zusammen, um der Rhein-Main-Region endlich künstlerisch ein eigenständiges künstlerisches Profil zu verleihen. Dass sich der frühere Direktor des Städelschen Kunstinstituts in Frankfurt, Herbert Beck, als Leitfigur für das Unternehmen in die Pflicht nehmen ließ, garantiert sowohl die künstlerische Kompetenz der neuen Initiative als auch deren Seriosität.
Der Kulturfonds Rhein-Main (die offizielle Schreibweise, siehe oben, sieht grausig aus!) startet mit einem Etat von sechs Millionen Euro, der vornehmlich von den Gründungs-Gesellschaftern aufgebracht wird. Eine Vermehrung dieser Summe erscheint durchaus möglich und wünschenswert. Die ersten bekannt gegebenen Pläne hören sich realistisch und sinnvoll an: Eine umfassende Expressionismus-Darstellung – im Rhein-Main-Gebiet gibt es viele Beispiele für die originale Beteiligung von Künstlern und Instituten am „Phänomen Expressionismus“, wie der Titel der vielgestaltigen Schau lautet.
Für die neue musikzeitung sind natürlich vor allem die Pläne für den Musiksektor interessant. Armselig kann man das Musikangebot in der Region nicht nennen Die Opernhäuser in Frankfurt, Darmstadt, Wiesbaden und Mainz besitzen, jedes auf seine Art, einen guten bis überregionalen Ruf. Auch die Orchester dieser Städte agieren auf bemerkenswertem Niveau, vor allem in Frankfurt. Hinzu kommt noch das Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks. In den Konzerthäusern der Region, natürlich besonders in der Alten Oper Frankfurt, reichen sich die instrumentalen Spitzenensembles der Welt Jahr für Jahr die „Klinke in die Hand“, auch an solistischen „Stars“ herrscht kein Mangel und im Rheingau wirkt alljährlich das renommierte Musikfestival weit über die Region hinaus, nicht zu vergessen: die Kronberg Academy, deren Arbeit weltweit gerühmt wird. Also wofür einen Kulturfonds? Es ist doch alles bestens.
Es ist kein Geheimnis, dass die Musik der Gegenwart sich in der Region insgesamt doch eher zaghaft hervorwagt. Der Hessische Rundfunk scheint sich erst jetzt unter der neuen Leitung von Stefan Fricke etwas mehr für die Gegenwartsmusik engagieren zu wollen. Kein Vergleich mit den Aktivitäten von WDR oder SWR, obwohl auch dort die für die Avantgarde zuständigen Redaktionen oft harte Überzeugungsarbeit zu leisten haben. Natürlich, in Frankfurt präsentiert sich das Ensemble Modern mit einigen Konzerten in der Alten Oper, mit Kursen und Workshops im eigenen Probenhaus. In Wiesbaden leistet die „musik-theater-werkstatt“ des Staatstheaters unter Ernst-August Klötzke eine höchst verdienstvolle Arbeit (siehe den Artikel über die „Werkstatt“ auf Seite 4), auch gibt es in den Orchestern immer wieder ambitionierte Musiker, die sich für die Neue Musik in kleineren Formationen einsetzen. Was aber fehlt, ist die Signalwirkung eines großen Musikfestivals der Neuen Musik, mit Uraufführungen, intelligenten programmatischen Konzepten und den besten Interpreten – eine Art Rhein-Main-Donaueschingen sozusagen, das weit über die Grenzen der Region hinaus wahrgenommen wird.
Einen ersten Schritt in diese Richtung haben jetzt der Kulturfonds, das Ensemble Modern und die Darmstädter Ferienkurse unternommen. Der etwas verblasste, aber immer noch strahlende „historische“ Nimbus der Ferienkurse und die Qualität des Ensemble Modern sollten in einer Kooperation Garant dafür sein, dass ein konzipiertes Neue-Musik-Festival im Herbst eines jeden Jahres rasch ein individuelles Profil gewinnt, das die Avantgarde-Szene mit neuen Ideen und Musikwerken belebt. Schon geäußerte Befürchtungen, die Ferienkurse würden im neuen Projekt „untergehen“, sind gegenstandslos: die Ferienkurse finden, wie gewohnt als Biennale, weiterhin statt. Aber ihr neuer Leiter, Thomas Schäfer, sieht in der Kooperation mit dem neuen Festival und dem Ensemble Modern auch besondere Vorteile für die Ferienkurse, die dringender denn je einer konzeptionellen Auffrischung und Neuorientierung bedürfen. Auch das Ensemble Modern könnte von der Zusammenarbeit nur profitieren.