Die Kölner Musikszene lebt - und hat auch in Sachen neutönender, improvisierter Vielfalt genug zu bieten. Vor allem, seit sich die freie Szene aus Initiativen, Clubs und Projekten zu „ON – Neue Musik in Köln“ zusammengeschlossen hat – und hier das Netzwerk Neue Musik zu den Förderern gehört. Solche Vernetzungen werden von Festivals gekrönt, denn diese bündeln Kreativität und sorgen für Publicity.
Das neue Festival „Comprovise“ geht maßgeblich auf die Initiative des Kölner ZAM, dem Zentrum für aktuell Musik zurück. Und es will seinem trademark-verdächtigen Titel gerecht werden. Komponiertes und Improvisiertes wächst hier zusammen, wie es schon längst zusammengehört im unverkrampften Umgang, den viele Musiker mit diesen beiden soziokulturell oft separierten Sphären pflegen.
Angedacht war Comprovise Vol.1 als weitaus größeres Festival, das viele aktuelle Ensembles im Querschnitt präsentieren wollte. Der Rahmen musste reduziert werden, aber das kam einem vitalen Gesamtkonzept für das Festival-Debüt hervorragend zugute: An zwei langen Konzertabenden nebst Podiumsdiskussionen entstand im Kulturzentrum Alte Feuerwache eine fruchtbare, höchst kommunikative Werkstattatmosphäre.
Wenn drei Mitglieder des Thürmchen-Ensembles Carola Bauckholts Klarinettentrio oder eine frische Komposition von Christian Pfeifer musizieren, kommt darin eine Menge intuitives Erfühlen des Augenblicks und dessen Ausgestaltung zum Zuge. Wenn die Vokalartistin Jennifer Walshe sensibel in die schwebenden Gitarrencluster von Burkhard Stangl hineinhört, dann öffnet sich ein innerer Kosmos, der einfach da ist, weil er auf Erfahrungen, Überzeugungen und Fertigkeiten rekurriert. Frederik Rzsewki sprach in der vorausgehenden Podiumsdiskussion von einem unweigerlich vorhandenen „Design“, um dann lakonische Worte für die Dualität zwischen Ausschöpfung des Vorhandenen und spontaner Aktion zu finden: Erfahrung und Kenntnisse sind Grundlagen, um im Straßenverkehr zu überleben. Das Ausweichen vor einem Bus – etwa beim Überqueren der Straße – kommt als improvisatorischer Akt dazu.
Mal mit und mal ohne Notenständer wurde also von einem guten Dutzend Musikern in ständig wechselnden Konstellation zwischen diesen Gegenpolen navigiert - mit einer verblüffenden Skala an Abstufungen und allgegenwärtig hör- und sichtbarem Spaß an der Sache! Die Gemeinsamkeiten zwischen komponierter und improvisierter Musik der Gegenwart, aber auch deren grundsätzliche Unterschiede traten immer vielgestaltiger hervor, je weiter das Festival voran schritt.
Improvisation heißt auch Verweigerung. Diesem Prinzip huldigten Frederik Rzewski und Schlagzeuger Roger Turner, als sie schwatzend auf der Bühne herumschlenderten, an ihren Instrumenten herumprobierten und später vereinzelte Urlaute ausstießen, wenn sie doch mal an ihren Instrumenten spielten. Jennifer Walshe zog mit ihrer extremen, so selbstentblößenden Lautkrobatik immer wieder in ihren Bann – diese ist nicht selten als Abbild akustischer Alltagsumgebungen konzipiert.
Oft ließen die Darbietungen eine Art Wettstreit assoziieren, ob nun die komponierte oder die improvisierte Musik(alität) die Nase vorn hat. Das Thürmchen Ensemble setzte mit seinem Spiel immer wieder wunderbar organische Ruhepunkte, vor allem die effektstrotzende Behandlung des Violoncellos seitens Caspar Johannes Walter förderte leuchtende Details zutage.
Einige Improvisatoren begegneten sich in der Alten Feuerwache zum ersten Mal. Und es mutete zuweilen fast unwirklich an, wie schnell sich die Beteiligten aufeinander einstellten, um extrem reaktionsschnell die Geräuschgesten, Impulse, Assoziationen ihrer Spielpartner zu beantworten. Vor allem in der letzten Improvisation von Jennifer Walshe, Richard Barrett, Elisabeth Harnik und Roger Turner schien die Übereinstimmung neue Maßstäbe für eine perfekte „Echtzeit“-Musik setzen zu wollen.
Das belegte die Stimmigkeit der von den Kuratoren getroffenen Auswahl an charaktervollen Teilnehmern für dieses Festival. Perkussionist Le Quan Ninh ist ein äußerst fantasiereicher Darsteller - seine Welt aus Klängen und Gesten scheint oft von naturhafter Mystik aufgeladen, nicht nur, wenn er mit großen Pinienzapfen über das Trommelfell streicht.
Elisabeth Harniks Pianistik kann noch so abstrakt mit treffsicher verfremdeten Klavierklängen jonglieren – aber sie sprüht dabei vor anmutiger Musikalität in jedem Moment. Richard Barrett als elektronisches Mastermind kann es mit jedem aufnehmen, das zeigte er in vielerlei Rollen mit wechselnden Partnern. Seine Beherrschung von Laptop-Soundeffekten aus dem völligen Stegreif sucht seinesgleichen und hat Führungsqualitäten, egal auf welch assoziative Abwege ein Ensemble gerade vordringt. Er zeichnete dann auch für das finale „Auftragswerk“ verantwortlich, eine „Komprovisation“ für alle Beteiligten im wortwörtlichen Sinne.