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Spinnenkönigin der Nacht: Barrie Koskys „Zauberflöten“-Inszenierung an der Komischen Oper Berlin. Foto: Ilko Freese/drama-berlin.de
Spinnenkönigin der Nacht: Barrie Koskys „Zauberflöten“-Inszenierung an der Komischen Oper Berlin. Foto: Ilko Freese/drama-berlin.de
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„Ja gewiss, zum Malen schön!“ Mozarts „Zauberflöte“ als Live-Filmanimation an der Komischen Oper Berlin

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Nachdem mit Ende des 20. Jahrhundert der Einsatz von Video-Projektionen auf Opernbühnen immer mehr zugenommen hat, konnte es kaum ausbleiben, dass eines Tages Live-Sänger mit vorproduzierten Filmen interagieren würden. Barrie Kosky, der neue Intendant der Komischen Oper Berlin, hat dieses Experiment mit der britischen Theatertruppe „1927“, anhand von Mozarts „Zauberflöte“, gewagt – und hat dafür einen schlagenden Erfolg geerntet.

 Die Video-Animationskünstler Suzanne Andrade und Paul Barritt, die erstmals im Genre Oper gearbeitet haben, nehmen mit dem Namen ihrer Theatertruppe Bezug auf das Ende des Stumm- und auf den Beginn des Tonfilms. Doch als ein Vorläufer ihres Kunsthandwerks darf auch das 1901 von Ernst von Wolzogen in Berlin gegründete „Überbrettl“ gelten, mit gesungenen und optisch gewagten Live-Darbietungen farbiger Schattenspiele, die ihrerseits ästhetisch den Farbtonfilm vorweggenommen haben. Und auch Stummfilme wurden häufig mit großem Orchester und sogar mit Sängern und großen Chören begleitet, wie etwa im Jahre 1912 die Verfilmung von Max Reinhardts „Mirakel“.

Was in einfallsreichen Inszenierungen seit der Barockzeit in gemalter Form aus dem Schnürboden oder aus der Unterbühne kommt und wieder dahin verschwindet, ist nicht mit unbedingt viel weniger Zeitaufwand, aber sicher mit weniger Aufwand an Material und Theaterwerkstatt-Zeit als farbige Animation projizierbar. Und in der Neuinszenierung der Komischen Oper wird es, mit der 3. Dame der Königin der Nacht zu sprechen, „ja, ja gewiss zum Malen schön“ praktiziert.

Auf dem Boden oder in luftiger Höhe, zumeist per Drehtür auf die Szene befördert, singen die von Esther Bialas mit Bezug auf die Zwanzigerjahre gewandeten Solisten in helleren Flecken oder Lichtkegeln jenes Films, der parallel zur gemeinsamen Regiearbeit des Hausherrn mit den britischen Künstlern entstanden ist. Inmitten der bewegungsfreudigen Animationen agiert Papageno auf dem Fleck, während seine projizierten Beine rennen, und von der Sängerin der Königin der Nacht ist realiter nur der Kopf sichtbar, während ihr Corpus, psychologisch korrekt, als riesige Spinne filmisch belebt wird. Mit Witz erfolgt die Jagd der „grässlichen Schlange“, eines fernöstlichen Drachens, durch gezeichnete Pfeile der drei Damen. Die Herzen, die sie Tamino zuwerfen, während er im Magen des getöteten Drachens kauert, zerplatzen an der Zigarettenspitze der mittleren Dame.

Besonders imposant sind direkte Interaktionen zwischen Mensch und belebter Kunstfigur, etwa wenn Papageno einen ihm als stetigen Partner zugesellten schwarzen Kater streichelt. Die Zauberflöte ist eine nackte Fee, die bei der Wasserprobe – am Grund des Meeres – zu einer Seejungfrau mutiert, und auch die Glöckchen von Papagenos Glockenspiel sind berockte Lustobjekte. Die wilden Tiere, die durch den Klang der Zauberflöte besänftigt werden, sind hier nichts weniger als die animalischen Sternbilder am Himmelsfirmament, während Sarastro über ein künstliches Aufgebot an Maschinentieren verfügt, mit sichtbarer Mechanik als Bewegungsantrieb.

Auf Dialoge verzichtet die Inszenierung komplett. Die fehlenden Informationen erfolgen auf der Film-Ebene durch Schrift-Zwischentitel. Diese Momente werden von einem verstimmten Stummfilmklavier begleitet. Selbst diese Praktik lässt sich auf Mozart zurückführen, da der Komponist bei den Aufführungen der „Zauberflöte“ die Dialog-Szenen, am Klavier improvisierend, melodramatisch zu untermalen pflegte. Aber warum neben dem Priester-Duett auch die Bariton-Partie des Sprechers gestrichen ist, bleibt unerfindlich.

Isis und Osiris werden nicht bebildert, dafür ist der Gesang der beiden Geharnischten eine eindrucksvolle Grubenliftfahrt in die Erdmitte. Eine Bombe, mit der Papageno seinem Leben ein Ende bereiten will, explodiert versehentlich, doch so, dass Papagena im arg geschwärzten Nachtclub-Outfit mit dem stark versengten Papageno ihr Duett singt, während in ihrem monochrom gemalten Haus Unscharen von Kindern ihr Unwesen treiben. Den drei realen Knaben hingegen sind als Flugobjekte Schmetterlingsflügel beigemalt. Paminas Reifungsprozess erfolgt als Umzug auf offener Szene vom weißen in ein schwarzes Gewand, verdeckt durch den Herrenchor einäugiger Sarastro-Priester.

Das Ende der Opernhandlung, bei dem laut Szenenanweisung die Bühne eine Sonne darstellen soll, erfolgt – nach einer rasanten Erinnerungs-Abfolge sämtlicher gemalten Szenen – vor dem geschlossenen roten Vorhang, über den nur noch einmal der Notenschwanz der Zauberflöten-Fee gleitet. Und Pamina und Tamino, die bei ihrem Abschied vor den Prüfungen einem Uhrenpendel auszuweichen hatten, dürfen sich beim Schlussakkord endlich berühren und auf den Mund küssen.

Ganz ohne Projektionen erfolgte die Ouvertüre und lenkte damit die Konzentration auf eine die Nebenfiguren ungewöhnlich plastisch herausarbeitende, schwungvoll-feurige Lesart: um die imposante Schlagtechnik des Dirigenten Henrik Nánási zu erleben, drehten zahlreiche Zuschauer ihre Köpfe zu den im Auditorium für die Solisten aufgehängten Monitoren.

Dass diesmal, bedingt durch die flache Bühne vor der Leinwand, stets nahe am Orchestergraben gesungen wird, kommt den Solisten zugute, und auch der von André Kellinghaus einstudierte Chor intoniert, mal im Off oder in den sechs Proszeniumslogen, zumeist aber an der Rampe, präziser und klangvoller denn je.

Maureen McKay ist in Schöngesang und glockenreiner Intonation ihrer gespielten Mutter (Julia Giebel Julia Novikova als Königin der Nacht, mit einigen arg verrutschten Tönen) deutlich überlegen. Auch die Gefolgschaft der Königin, der hier weiße, überkopfige Monostatos (Stephan Boving) und die drei nicht ganz homogenen Damen (Ina Kringelborn, Karoline Gumos und Maija Skille) überzeugten am Premierenabend weniger als die fast makellosen drei Tölzer Knaben (Nicolas Brunhammer, Constantin Schmidt und Julian Mezger) und die männliche Gegenpartei, mit Christof Fischesser als fundamental basslastigem Sarastro und seinen Geharnischten (Christoph Späth und Carsten Sabrowski). Ohne Abstriche bravouröse Leistungen erbrachten Dominik Köninger als überaus souveräner Papageno, sowie Peter Sonn als Tamino, mit leicht anspringendem, aber schon heldische Entwicklungsmöglichkeiten ahnen lassenden Tenor.

Da insgesamt trefflich musiziert wurde und sich bei der optisch ungewöhnlichen Produktion szenische Provokationen sehr in Grenzen halten (in Vogelperspektive erlebt der Zuschauer, wie Monostatos Pamina im Ehebett heimsucht), gab es keinerlei Missfallenskundgebungen. Uneingeschränkter Jubel des mit viel Prominenz untersetzten Premierenpublikums, mündete in Standing Ovations.

Weitere Aufführungen: 29. November, 3., 8., 14., 22., 26., 31. Dezember 2012, 4., 25. Januar, 7. Februar, 3., 22. März, 27. April, 4., 9., 11., 16., 25. Mai, 7. Juni. 4. Juli 2013.

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