Was die Politik nicht schafft, das schaffen Kunst und Kultur: Sachsen und Salzburg sind zu den Osterfestspielen so eng verbunden wie nie zuvor. Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle haben ihren Einstand an der Salzach bestanden und sehen einer wachsenden internationalen Zukunft entgegen.
Am 1. April war alles vorbei. Die ersten Salzburger Osterfestspiele ohne Berliner Philharmoniker waren die ersten Salzburger Osterfestspiele mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Deren Chefdirigent Christian Thielemann ist nun auch der Künstlerische Leiter dieses 1967 durch Herbert von Karajan gegründeten Elitefestivals. Einst war Thielemann Karajans Assistent, just zu Richard Wagners „Parsifal“. Am 1. April stand das Bühnenweihfestspiel, mit dem dieser erste Jahrgang des Neubeginns vor knapp eineinhalb Wochen auch eröffnet worden ist (nmz online 25.3.2013) ein zweites Mal auf der riesig breiten Bühne des Großen Festspielhauses. Und am Pult stand ein Geburtstagskind, das sich selbst das wohl schönste Geschenk gemacht hatte. Thielemann, nunmehr 54 Jahre jung, darf glücklich auf ein erfülltes Festspieldebüt zurückblicken. Er tut das offensichtlich auch gern: „Es ist über die Maßen gut gegangen. Wenn ich jetzt sagen würde, ich habe das erwartet, dann klänge das arrogant. Vielleicht hab ich nicht damit gerechnet, dass wir uns hier so wohlfühlen würden. Dass wir uns hier wohlfühlen war mir klar.“
Sie sind in der Tat ein Erfolg, die ersten Salzburger Osterfestspiele der neuen Ära. Nach fast einem halben Jahrhundert in Berliner Händen, weht nun ein frischer sächsischer Wind durch das Elitefestival an der Salzach. Das Publikum war ziemlich einhellig begeistert, die beiden Opernaufführungen waren ausverkauft wie auch die meisten der großen Orchesterkonzerte, lediglich bei Kammermusik und einem Kinderprogramm zeigte man sich noch reserviert. Das dürfte im kommenden Jahr sicherlich anders aussehen, wenn sich herumgesprochen hat, wie gut eine solche Novität wie die „Kapelle für Kids“ bei den jungen Familien angekommen ist.
In den zurückliegenden zehn Tagen bestritten der Chefdirigent und seine Dresdner Kapelle zusammen mit Myung-Whun Chung, dem Ersten Gastdirigenten des Orchesters, in Salzburg ein musikalisches Feuerwerk der Superlative. Den sächsischen Gästen gelang damit eine Charme-Offensive, wie sie so wohl nicht zu erwarten gewesen ist. Vom stürmischen Applaus für Orchester, Chöre und Solisten zur „Parifal“-Premiere wurde bereits berichtet, an der ablehnenden Haltung zum Inszenierungskonzept gibt es nichts zu beschönigen. Zwei Orchesterkonzerte, ein Chor- und ein Kammerkonzert haben sich angeschlossen. Wie in den Vorjahren ist diese Aufführungsserie jeweils zweimal erklungen.
„Der Herbert hätte sich gefreut!“
Der schon wiederholt mit der Staatskapelle arbeitende Gastdirigent Myung-Whun Chung bestach mit einer fein nuancierten „Freischütz“-Ouvertüre Carl Maria von Webers und zelebrierte Gustav Mahlers 1. Sinfonie in einem so spannungsreichen Bogen, dass die kleineren Intonationsschwächen und Wackler darin beinahe vergessen waren. Für den Ausnahmepianisten Evgeny Kissin bereiteten Chung und Kapelle einen äußerst flexiblen Klangteppich, auf dem der Virtuose seine fast schon gespensterhaft maschinelle Sicht auf Beethovens 4. Klavierkonzert rasant, nichtsdestotrotz klar und luftig austoben konnte.
Ein reichlich anderes Herangehen bewies Yefim Bronfman in seiner Interpretation von Beethovens Klavierkonzert Nr. 5, das er unter Thielemann sehr poetisch austastete. Anstelle einer geplanten Uraufführung von Hans Werner Henze wurde in diesem Konzert dessen Orchesterstück „Fraternité“ gegeben, von Teilen des Publikums zwar mit einiger Achtung verfolgt, nicht aber mit spürbar großem Interesse. Anders in der abschließenden Brahms-Sinfonie Nr. 4, die mit frenetischem Jubel bedacht wurde – und die Gäste aus Dresden bedankten sich mit einer überwältigenden Wiederholung des Schlusssatzes – ein absolutes Novum in Salzburg.
Solche Erfolge wie auch der enorme Beifall nach dem ebenfalls von Thielemann geleiteten „Deutschen Requiem“ von Johannes Brahms sind deutlicher Ausdruck dafür, dass dieses von höchster Qualität schon heftig verwöhnte Publikum den Dresdner Klang zu schätzen wusste. Eliette von Karajan, die Witwe des Festivalgründers und heutige Schirmherrin der Osterfestspiele, brachte es auf den Punkt: „Der Herbert hätte sich gefreut!“
Daran mag auch Christian Thielemann gedacht haben, der vor dem gemeinsam mit Myung-Whun Chung dirigierten „Konzert für Salzburg“ – quasi eine Fermate zwischen beiden Aufführungsserien als Reverenz an das einheimische Publikum – bekannte, er fühle sich bei diesen Festspielen „wie ein Fisch im Wasser“. Damit dürfte er die hervorragenden Arbeitsbedingungen ebenso wie die herzliche Aufnahme in dieser einzigartig von Kunst, Kultur und Kulinarik geprägten Stadt gemeint haben. In ihrem Doppelkonzert teilten sich die beiden Dirigenten in die Werke der in diesem Jahr berühmtesten Jubilare der Musikwelt, Wagner und Verdi. Mit relativ günstigen Preisen sollte die lokale Zuhörerschaft angesprochen werden, die denn auch zahlreich ins Festspielhaus strömte – teilweise in Jeans statt in Pelzen, mit Kindern sogar!
Mit Speck fängt man Mäuse
Wagner wurde hier einmal mehr beinahe kammermusikalisch interpretiert (Thielemann), Verdi erklang in festspielreifer Opulenz (Chung). An diesen in all seiner Buntheit prächtigen Abend im ausverkauften Festspielhaus schloss sich in einem einstigen Kino die „Nacht der Dresdner Kammermusik“ als weiterer Gunstbeweis den Salzburgern gegenüber an. Ein Stelldichein mehrerer Kammerensembles der Staatskapelle, die ihre musikalischen Vorlieben mit virtuosen Fähigkeiten mal sehr unterhaltsam unter Beweis stellten. Krönender Abschluss nach Mozart, Weber und Henze war darin ein Wagner-Medley, in dem so ziemlich alles steckte, was der Meister in Melodie fasste. Das Publikum war aus dem Häuschen und wurde mit einem Hauch Richard Strauss schon ganz sanft auf den Osterfestspieljahrgang 2014 eingestimmt. Mit Speck fängt man Mäuse, mag man sich dabei gedacht haben – und dieser vergnügliche Köder wurde gerne geschluckt. Etwas mehr Zuspruch wäre allenfalls einer Matinee mit Kammermusik im Mozarteum zu wünschen gewesen, in der exzellente Interpretationen von Brahms und Henze zu hören waren.
Nach einem so gelungenen Debüt schauen alle Beteiligten – die „Macher“ aus Sachsen wie die Veranstalter in Salzburg – erwartungsfroh auf die Osterfestspiele 2014. Das bereits präsentierte Programm widmet sich dem Jubilar Richard Strauss zum 150. Geburtstag mit dessen „Arabella“ (Musikalische Leitung Christian Thielemann, Inszenierung Florentine Klepper) sowie ausgewählten Orchesterwerken nebst „Letzten Liedern“. Solisten werden unter anderen Renée Fleming und Thomas Hampson (in „Arabella“), der Cellist Gautier Capuçon, die Sopranistin Anja Harteros sowie Maurizio Pollini in Mozarts C-Dur-Klavierkonzert KV 467 sein. Ein Chorkonzert mit Musik von Wolfgang Rihm, Richard Strauss und Mozarts „Requiem“ erklingt zum Gedenken an den 25. Todestag des Festivalgründers Herbert von Karajan. Als mehrfach mitwirkender Gastdirigent konnte Christoph Eschenbach gewonnen werden.
Die zu 88 Prozent ausgebuchten Salzburger Osterfestspiele 2013 sind Geschichte. Mehr als 135 Journalisten aus aller Welt haben darüber berichtet, ein neuer Festspielrekord.