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Megumi Masaki. Foto: Susan Hall
Megumi Masaki. Foto: Susan Hall
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Klang und Bild: „Music 4 Eyes & Ears“ an der Musikhochschule Mainz

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Welche Perspektiven gibt es für die zeitgemäße Weiterentwicklung der Musik, für ihre gesellschaftliche Relevanz, für Existenz und Sinnsuche junger Künstler? Fragen wie diese werden im Konzert- und Hochschulbetrieb eher selten gestellt. Doch Anne Shih, Violinprofessorin an der Mainzer Musikhochschule, sprach sie in ihrem Nachwort zum Gastspiel der kanadischen Pianistin Megumi Masaki an – und stellte das ungewöhnliche Programm “Music 4 Eyes & Ears“ damit zugleich in einen größeren Rahmen.

Shih ist 2. Vorsitzendes des 2010 in Mainz gegründeten Vereins MING Connection Mainz – wobei die Abkürzung für „Music International Next Generation“ steht. Dieser Verein ist ein Ableger des Internationalen Musikfestivals im italienischen Casalmaggiore (Provinz Cremona), als dessen künstlerische Leitung die Mainzer Geigenprofessorin fungiert. Zum Kreis der Dozenten dort gehört auch Megumi Masaki – Pianistin, Expertin für zeitgenössische Musik und Professorin an der kanadischen Universität Brandon (Manitoba.) Sie folgte nun der Einladung, im Roten Saal der Mainzer Hochschule ein multimediales Konzertprogramm mit für sie entwickelten Werken vorzustellen: Musik für Augen und Ohren. In Kanada nämlich arbeitet eine ganze Gruppe von Komponisten an einer zeitgemäßen Verbindung akustischer Klänge mit Computertechnologie und Videokunst.

Keith Hamel aus Vancouver verzichtet in seinem Stück „Touch“ für Klavier und interaktiven Computerprozessor ganz auf die Ausstellung von Video-Elementen. Allerdings werden die Hände der Pianistin  von einer Videokamera aufgenommen und beeinflussen die im Computer gespeicherten Klänge – wozu schon schwebende Handbewegungen deutlich oberhalb der Tastatur genügen. Hamel, der sich intensiv mit dem Klang von Glocken befasst hat, entlockt dem Klavier glockenartige Klänge und Tonfolgen und mischt das Ergebnis mit realistischen und bearbeiteten Glocken-Sounds. Daraus entsteht eine meditativ wirkende Musik, deren klangliche Differenzierungen man wahrscheinlich erst beim zweiten Hören erfasst.

Bilder ziehen in der Regel die Aufmerksamkeit stärker auf sich als Klänge. Darunter leidet „Orpheus Drones“, eine Arbeit des Komponisten T. Patrick Carrabré (Brandon, Manitoba) mit seinem Universitätskollegen, dem Videokünstler Kevin Ei-ichi deForest. Das Stück über den Tod des mythischen Sängers Orpheus ist inhaltlich mit Bedeutung überladen: Der Text zitiert Ovid, das Video spielt auf Jean Cocteaus legendären „Orpheus“-Film an. Die filmische Umsetzung, die den Künstler selbst zeigt, wirkt aber insgesamt recht hausbacken, wogegen sich die in der Musik entstehende Dramatik nur mühsam behauptet.

Bilder von Zugfahrten, Bahnhöfen, Zügen und Orten in erst langen, dann kürzeren Sequenzen zeigt das Video von Sigi Torinus zu „Ferrovia“ von Brent Lee (beide aus Windsor, Ontario). Die Videokünstlerin spielt reizvoll mit Motiven und Perspektiven und erreicht durch verschwimmende, sich überlagernde und überkreuzende Bilder am Ende eine deutliche Steigerung. Lees Musik, elektronisch und von Klavier, erinnert an freundliche Minimal Music. Die Verdichtungen auf der Bildebene vollzieht sie aber kaum mit.

Nicole Lizée aus Montreal hat es schon geschafft, erfolgreiche Stücke für DJ-Turntable und klassisches Orchester zu komponieren. Auf die in Wiederholungen, Cover-Versionen und Remakes versinkende Musik-Landschaft reagiert die junge Komponistin offensichtlich mit bewusster Dekonstruktion des Vorhandenen. Wichtiger ist ihr aber noch die Re-Kontextualisierung, also der Einbau des dadurch gewonnenen Materials in verschiedene Zusammenhänge. In ihren „Hitchcock-Etüden“ nimmt sie Bild- und Ton-Sequenzen aus bekannten Filmen von Alfred Hitchcock. Sie trennt diese auf in kurze Folgen, wiederholt, verlangsamt und kontrastiert sie, so dass die Szenen anfangen, sich gegenseitig zu kommentieren.

Dadurch entsteht etwas Neues: Eine spannende Studie über Hitchcocks Art, Filme zu machen, über menschliche Extremsituationen und über die Herstellung von Spannung durch Bild, Geräusch und Musik. Die Live-Musik vom Klavier spielt nicht nebenher, sondern kriecht förmlich in die Strukturen hinein. Sie passt sich (ähnlich wie in Steve Reichs dokumentarischem Oratorium „The Cave“) bisweilen einem Sprechtonfall an. Sie schärft Klang und Bild - und gibt dem Stück eine Lebendigkeit, wie sie die bloße Ton-Bild-Konserve nie hätte. Ein überaus anregender Abend!

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