Es ist ein Stoff wie aus dem Mythenschatz der Menschheit: Ein junger, so brot- wie talentloser Dichter liebt die Tochter eines Bäckermeisters. Als er den Fehler macht, ausgerechnet vor der Backstube den Duft des frisch gebackenen Brots zu inhalieren, sieht der Bäcker seine Chance gekommen, dem unerwünschten Bewerber eins auszuwischen: Zahlen solle der für den Genuss. Das kann er natürlich nicht, weshalb der Bäcker ihn als Dieb anklagen und ins Gefängnis werfen lässt. Erst dann erfährt er, welch brachiale Strafe auf Diebstahl steht, nämlich Handabhacken. Aber die Anklage zurückziehen und sich lächerlich machen will der gestrenge Bäcker dann doch nicht.
Der britische Komponist, Dirigent und Posaunist Simon Wills hat aus dieser Geschichte, die sich in mehreren Kulturkreisen des Orients findet, das Libretto zu seiner neuen Oper „The Stolen Smells“ gemacht. Kurz nach der Uraufführung am Luzerner Theater hat das Stück im Rahmen einer Koproduktion mit dem NDR jetzt seine deutsche Erstaufführung in Hamburg auf Kampnagel erlebt, dort unter der Leitung von Thomas Hengelbrock, der es für den NDR bei Wills in Auftrag gegeben hatte.
Als „nocturnal comedy“, ja als Opera buffa war das Stück angekündigt worden. Doch das löste „The Stolen Smells“ nicht ein. Turbulenz und Tempo blieben ebenso aus wie Gelächter im Publikum. Werner Hutterli hatte ein ansprechendes Einheitsbühnenbild geschaffen, eine Art Multifunktionswand, die immer mal Farbe und Position wechselte. Susanne Boners Kostümentwürfe blieben unzusammenhängend: mal arg naturalistisch, mal unmotiviert grotesk. Dominique Mentha inszenierte zwar sorgfältig im Detail, doch kam das Ganze über einen bieder bebilderten Abend nicht hinaus.
Dessen Längen verdankten sich freilich in erster Linie dem Libretto. Fast schien es, als traute Wills seiner Geschichte nicht: Die Festsetzung des Diebs auf dem Marktplatz etwa ließ er wörtlich wiederholen und verschenkte so die dramatische Wirkung. Dass es mancher Szene an Wucht fehlte, lag auch an den oft unkonturierten Singstimmen, so sicher Hengelbrock Solisten und Chor durch den Abend führte.
Der selbstgerechte Bäcker Muchtada ist mit dem schmalen und stimmlich begrenzten Bariton Todd Boyce schlicht fehlbesetzt – weder nimmt man ihm die grimmige Wut ab, die es braucht, um einen harmlosen Zeitgenossen derart zu drangsalieren, noch erschließt sich, was seine Ehefrau an ihm finden mag. Die wiederum heißt zwar Scheherazade wie die gewitzte Heldin von Tausendundeiner Nacht, aber weder die Sängerin Marie-Luise Dressen noch die Regie schlagen Funken aus dieser Anspielung. Da stöckelt eine Frau über die Bühne, die erst viel zu spät an Profil gewinnt. Dafür ist Madelaine Wibom eine überzeugende trotzig-pubertäre Bäckerstochter Amina, wenn auch mit leicht metallischem Sopran. Und Carlo Jung-Heyk Cho gibt den von ihr geliebten Unglücksraben Djemaal mit Spielwitz und wohltönender Tenorstimme.
Überhaupt war die Musik das Erfreulichste an dem Abend. Wills schreibt explizit keine Avantgarde, er will verstanden werden. Seinen Bauchladen mit Stilzitaten von barocken Gesten über Wagner, Gershwin und Weill bis zu Bartók und Britten kann man eklektisch finden, aber melodisch und geistreich ist seine Musik stets. Ihr sind die Augenblicke zu verdanken, in denen sich das Geschehen zu einem gewissen existentiellen Ernst verdichtet, aber auch lustvoll auskomponierte Schluchzer und Stampfer oder das Schmatzen und Lamentieren der Posaune. Thomas Hengelbrock und das klein und ohne Violinen besetzte NDR Sinfonieorchester agierten präzise und mit viel Gespür für die raffinierten Klangfarben.
Selbst am Schluss schien sich Wills nicht von der Geschichte trennen zu können, sondern gab dem Publikum noch ein paar vom Kerkermeister Kadayif (Patrick Zielke) pointiert gesungene Ermahnungen mit auf den Weg. Eine herrlich kauzige Idee – aber so ausgewalzt, dass der Schlussapplaus geradezu ermüdet schütter ausfiel. Kürzer wäre mehr gewesen.