Hauptbild
Jubiläumsfest auf dem Gärtnerplatz 4.11.2015. Foto: © Christian POGO Zach
Jubiläumsfest auf dem Gärtnerplatz 4.11.2015. Foto: © Christian POGO Zach
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Popularität und Qualität: 150 Jahre Gärtnerplatztheater

Publikationsdatum
Body

Das Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz kann auf 150 Jahre Bestehen zurückblicken. Wolf-Dieter Peter resümiert.

Bayerns Kultur- und Kunstszene hatte im 19.Jahrhundert Glück mit seinen Königen. Ludwig I. verwirklichte viel von seinem „Isar-Athen“-Traum: vom Königsplatz über die Alte Pinakothek zur Ludwigsstraße und weiter bis zur Walhalla. Max Joseph II. holte viele „Nordlichter“ nach München, um Kultur und Wissenschaft zu beflügeln. Der meist einseitig auf seine rückwärtsgewandten Schlossbauten reduzierte Ludwig II. rettete nicht nur wenige Wochen nach seinem Thronantritt den völlig ruinierten Richard Wagner und bewahrte später die Festspiele Bayreuth vor dem Scheitern, er billigte als eine seiner ersten Amtshandlungen einem Konsortium angesehener, voran jüdischer Bürger den Bau eines zweiten musikalischen Theaters neben dem großen Hof- und Nationaltheater: „Meiner Hauptstadt darf der Besitz eines würdigen Volkstheaters nicht länger vorenthalten bleiben“ verfügte Ludwig II. am 10.Mai 1864. An seinem Geburtstag am 25.August erfolgte die Grundsteinlegung – und kaum ein Jahr später, wurde das neue Bürgertheater am Gärtnerplatz feierlich eröffnet.

Die Gründungsidee war 1865: von der Vorstadt-Posse über das Volksstück mit Gesang hin zur damals heftig kritisierten „jungen Gattung“ Operette. Der Eröffnungsandrang war groß, doch dann funktionierte die Geschäftsidee der bürgerlichen Aktiengesellschaft nicht kontinuierlich, Folge: ein erster Bankrott 1868. Die Geschichte des Hauses samt Pleiten, Neuverpachtung und Teil-Übernahme in Staatsbesitz ist höchst wechselvoll: ein von Stefan Frey, einem Kenner des Genres, herausgegebenes Buch bebildert dieses vielfältige Auf und Ab höchst opulent. Schon nach 1900 war das Gärtnerplatztheater nicht nur Mittelpunkt eines neuen, höchst lebendigen Stadtviertels, sondern auch gleichwertige Auftrittsadresse zwischen Berlin und Wien: die Duse kam, auch Adele Sandrock; Karl Valentin trat auf, auch die „Geigenfeen“ Senkrah und Tua, eine japanische Theatertruppe oder die englische D’Oyly-Company mit Gilbert&Sullivans „Mikado“ auf Deutsch. Die ersten Aufführungen von Gerhart Hauptmann- und Hermann Sudermann-Werken fanden im Gärtnerplatztheater statt.

Sogar in den Jahren des 1.Weltkriegs und den extrem schwierigen Monaten nach Kriegsende – von der Monarchie über die Räterepublik zum Freistaat – gelang dem rührigen Direktor Hans Warnecke ein Spielbetrieb mit Premieren. Auch durch die Finanzierungsprobleme der Inflation 1921 hindurch führte Warnecke das Haus, wagte gegen die neuen Unterhaltungsmedien Radio und Film immer wieder Novitäten von Paul Abraham oder Ralph Benatzky, lud Stars wie Richard Tauber, Alfred Piccaver oder Leo Slezak samt Tochter Margarete ein.

Kurz vor dem europaweiten „Theatertod“ durch die Weltwirtschaftskrise wagte Warnecke 1928 die damals heftig umstrittene Jazz-Oper „Jonny spielt auf“ von Ernst Krenek: weiße Mäuse als Premierenstörung, 14 Vorstellungen mit ersten NS-Protesten. Dem Konkurs 1931 folgte eine umstrittene Verurteilung Warneckes – womöglich der Grund für seinen freiwilligen Todessturz im Münchner Justizpalast. In Abwehr jüdischer Bewerber wurde 1932 ein „deutsches“ Direktoren-Duo bestellt, das dann früh meldete, dass das Theater in der „Hauptstadt der Bewegung“ schon ab dem 1.Mai 1932 „judenfrei“ geführt werde, gipfelnd in der Aufwertung zur „Staatsoperette“ durch die NS-Führung – die als „Musteraufführung“ eingestufte „Lustige Witwe“ mit dem jungen Johannes Heesters besuchte Hitler siebenmal… Brandbomben setzten 1945 dem braunen Spuk ein Ende.

Die Nachkriegsintendanten, voran Kurt Pscherer führten das wiederaufgebaute und mehrfach teil-renovierte Haus dann zum Titel „Münchens anderes Opernhaus“: mit bewusster und gekonnter Repertoireerweiterung von der Barockoper über das neue Musical und die Opéra Comique bis zu Uraufführungen; er setzte auch die künstlerische Eigenständigkeit des Balletts unter eigenen Direktoren durch. Diese Linien führten die Intendanten Matiasek, Schultz und Peters erfolgreich fort, während der Bau alterte.

Waren anfangs Bayerns Könige für das Aufblühen der Künste Glücksfälle, so gelang Kunstminister Heubisch mit der Verpflichtung Joseph Köpplinger als Intendant und Regisseur 2012 ein vergleichbarer Coup. Der musste ohne eigenes Haus beginnen und wohl bis zum 4.November 2016 weiterhin Prinzregenten- und Cuvilliéstheater sowie den Circus Krone oder die Reithalle bespielen. Gleichsam „obdachlos“ musste so auch die 150-Jahr-Feier auf dem Gärtnerplatz vor 2000 Besuchern begangen werden. Stuntmen formten mit ihren Körpern auf der verdeckten Gerüstfassade eine „150“ und per Video wurden Glückwünsche aus der ganzen Theaterwelt zugespielt: Köpplingers Ensemble hatte auch in Peking und Tokio begeistert, während der Bauuntergrund aus Isarschwemmland, der Asbest des Wiederaufbaus nach dem Krieg und schwierige Erweiterungsankäufe eine Fertigstellung des Theaters zum Jubiläum unmöglich machten.

Doch um den Stellenwert des Hauses macht sich Köpplinger trotz zunehmender Eventisierung und RTLisierung keine Sorgen: „Ich denke, wir sind so der ‚missing link’ zwischen Schauspiel und großer Oper. Es ist ein Dach, wo unter dem Aspekt von Freiheit, Toleranz und Selbstverständlichkeit der Künste alles, was das musikalische Genre aufbieten kann, vereint wird.“ Das gelingt in seinen Jahren begeisternd, von „Anything goes“ bis zu einer fulminanten „Aida“. Folgerichtig macht sich Köpplinger trotz zunehmender Eventisierung und RTLisierung keine Sorgen: „Das Theater wird es länger geben als die Eventisierung - weil es ehrlicher ist. Ich spreche mit Voltaire, dessen „Candide“ wir demnächst spielen: dieser gelebte Ort, um eine bessere Welt zu machen – das ist mein Antrieb – und das teil’ ich mit meiner Theaterfamily am Gärtnerplatz.“

Stefan Frey/Deutsches Theatermuseum München (Hg.): Dem Volk zur Lust und zum Gedeihen – 150 Jahre Gärtnerplatztheater. 256 S., ca. 300 f+s/w Abb.. Henschel Verlag Berlin 2015. € 34,95
ISBN 978-3-89487-784-2

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!