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Der Musikwissenschaftler Peter Wicke. Foto: Hufner
Der Musikwissenschaftler Peter Wicke. Foto: Hufner
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Recht und künstlerisch-kulturelle Praxis im Disput – Ein „Dialog“ über Pop und Musik und über akustische Blindheit

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Die Sphären der künstlerischen Praxis und des geltenden Rechts stehen ganz offensichtlich im Bereich der Pop-Produktion in einem Dissens, der nicht überwindbar scheint. In der Reihe „Immaterielle Güter im Dialog: Wem gehört mein Werk“ trafen der Musikwissenschaftler Peter Wicke von der Humboldt-Universität und der renommierte Berliner Rechtsanwalt Paul W. Hertin aufeinander und redeten in Kernpunkten aneinander vorbei.

In seinem Einführungsstatement machte Wicke zunächst auf den Umstand aufmerksam, dass seit geraumer Zeit die Herstellung von Popmusikprodukten im Hintergrund aber durchgreifend von verschiedenen Vertragsbeziehungen der Hersteller gekennzeichnet sind, Pop sei Leben in Verträgen. Soweit die Einigkeit. Hertin führte einige Beispiele für das komplexe Ineinanderwirken von verschiedenen Rechten an, die bei Musikproduktionen betroffen sind, insbesondere das Urheberrecht und die Leistungsschutzrechte. Welche Konflikte dabei auftreten können, zeigte er an Lou Begas Sommerhit von 1999 Mambo No. 5 oder an Soundlogos. Genug, über das man reden und streiten könnte. Für den Rechtsanwalt ist die Sache freilich immer klar. Er holt die entsprechenden Paragraphen geltenden Rechts aus den Gesetzen und urteilt danach. Was im Einzelnen zu darüber hinaus zu regeln ist, wäre das Urhebervertragsrecht, damit den Urhebern im Dschungel der Vertragsbeziehungen nicht das Geld davon läuft.

Für Wicke sieht die Sache anders aus: Er fragt nach dem Musikbegriff, der für das Gesetz relevant ist und stellt ihm die künstlerische Praxis des Pop, die sich in DJ-Kultur des Remixens und Samplens mitunter, wenn nicht zentral, äußert gegenüber. Pop als Kommunikationsform auch in der Musik selbst kommt dann mit geltenden Rechtsauslegungen in Konflikt und sieht es als legitime Forderung, dass hier das Recht nicht Kunst behindern möge. Das aber sei der Fall, wenn man aus veröffentlichten Produktionen Klangteile übernehme. Diese müssten nämlich über Lizenzen abgegolten werden. Das laufe aber auf eine Sisyphus-Arbeit hinaus. Für Hertin ist Remixen kurz gesagt: nix. Man könne die Sachen doch im Zweifel auch selbst nachproduzieren etc. Mixen sei keine Kunst. Als Hertin dann fragte, was denn im Pop noch an großen Hits seit 2000 so passiert sei, erntete er ungläubiges Kopfschütteln seitens Wickes und weiter Teile des Publikums.

Diese Situation ist typisch für das Missverständnis aktueller Popproduktionen und geltender Rechtsauffassung. Diese bewege sich in einem an sich geschlossenen Feld der Kunstauffassung und ihrer Verwertungszusammenhänge und –rechte. Das funktioniert heute aber nicht mehr so, bzw. umgekehrt, es funktioniert sogar sehr gut, behindert aber damit aktuelles Popmusikproduzieren und nötigt der Kunst gewissermaßen ihr „Sein“ auf. Da muss die Frage erlaubt sein: Darf das das Recht? Ist es die Instanz, nach der sich Musikproduktion richten soll, nach der sich gesellschaftlich, kulturelle und politische Kommunikation richten muss. Versteckt sich nicht das Recht hinter seiner Faktizität, statt den Boden für kulturelle Kommunikation so zu bereiten, dass sie sich angemessen entfalten kann? Hertin sagt: Nein. Recht ist Recht.

Und er sagt auch das Gegenteil, dann, wenn andere Rechtsauffassungen gelten. Wicke führte an, dass er zum Beispiel für Publikationen im anglosächsischen Bereich für jedes Notenbeispiel sowohl die Rechte einholen müsse und diese auch abzugelten habe. Für ein dreizeiliges Notenbeispiel aus einem Beatles-Stück würden dann schon mal 8000 Euro anfallen. Hertin setzte dagegen, das wäre in Deutschland nicht nötig, da hier kontinentaleuropäisches Urheberrecht gelte und nicht das angloamerikanische Copyright. Richtig! Aber gerade an diesem Beispiel müsste auch der Rechtsanwalt erkennen können, dass es nicht „das“ Recht gebe, sondern dieses eben auch Ausdruck eines Verhältnisses von Gesellschaft und Kultur sei. Mal ist das Recht so, mal ist das Recht anders, mal sind die Gesetze so, mal sind die Gesetze anders.

Die künstlerische Praxis stellt das Recht vor neue Probleme, ob es um das „Schwarze Quadrat“ von Malewitsch oder ob es um das Grey Album von Danger Mouse geht. So soll es sein und Recht hat darauf zu reagieren, genauso wie auf den digitalen Wandel insgesamt. Häufig sieht es aber eher so aus, als wolle das Recht sich auch zum Kunstrichter aufspielen, dann versagt es.

Natürlich verändert sich das Recht auch im Bereich der von Kunst betroffenen Teile. Die Frage ist dabei eher, wer es denn setzt und unter welchen Bedingungen es gesetzt wird. Kunst und Künstler scheinen auch in diesem Bereich eher unter die Räder der Lobbyisten aus der Industrie wie unter die Kunstgroßgrundbesitzer zu geraten. Man wird auch hier also nicht Lösungen finden, die auch künftig akzeptabel sind, wenn nicht mit offenen Karten seitens der Teilnehmer des Diskurses gespielt wird.

Wenn freilich diese Teilnehmer auch noch von Blindheit gegen existierende Phänomene geschlagen sind, dann bleibt das Risiko der Illegalität der Kunst bestehen.

Die Veranstaltungsreihe:

Humboldt-Universität zu Berlin
Auditorium des Jacob und Wilhelm Grimm-Zentrums
Geschwister-Scholl-Straße 3
10117 Berlin

Donnerstag 9. Januar 2014, 19:30 Uhr
I. Urheberrecht und Rechtsethnographie

Eva Inés Obergfell (Humboldt-Universität zu Berlin)
Veit Erlmann (University of Texas Austin)

Donnerstag 23. Januar 2014, 19:30 Uhr
II. Pop und Musik

Peter Wicke (Humboldt-Universität zu Berlin)
Paul W. Hertin (Rechtsanwalt Berlin)

Donnerstag 22. Mai 2014, 19:30 Uhr
III. Kunsttheorie und Ökonomie

Stefan Römer (Kunstwissenschaftler Berlin)
 N.N.

Donnerstag 5. Juni 2014, 19:30 Uhr
IV. Medien und Literatur

N.N.
 N.N.

Donnerstag 3. Juli 2014, 19:30 Uhr
V. Tanz und Theater

N.N.
Artur-Axel Wandtke (Juristische Fakultät)

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